Wenn ein international agierender Konzern Technologieberatung bekommt, die eigentlich für kleine und mittlere Unternehmen gedacht ist, ist das seltsam. Richtig ärgerlich wird es dann, wenn am Ende der Beratung die Schließung von vier Werken steht und die dort beschäftigten Kolleginnen und Kollegen ihren Job verlieren – so wie bei Rittal geschehen.
Doch von Anfang an. Das Lahn-Dill Gebiet im Nordwesten Hessens ist ein altes Industriegebiet, das auch heute noch durch einen hohen Anteil verarbeitender Industrie geprägt ist. Nicht wenige Betriebe in der Region sind in ihrer Nische Weltmarktführer. Über 50 Prozent der Gewerkschafter in der Region sind in der IG Metall organisiert. Die unter dem Stichwort „Digitalisierung“ stattfindenden Veränderungen im Produktionsprozess haben auch dort Folgen für die Industriestruktur und die Arbeitsbedingungen.
Aufgrund hoher Investitionskosten der neuen Technologien setzen sich die finanzstarken Monopole gegenüber den kleinen und mittleren Betrieben durch. Letzteren fehlen häufig auch Strategien und nötiges Fachwissen, um die neuen Technologien einzuführen. Durch gezielte Technologieberatung für kleine und mittlere Betriebe, so die offizielle Strategie der hessischen Wirtschaftsförderung, sollen diese Nachteile ausgeglichen werden, um industrielle Strukturen und Arbeitsplätze zu erhalten. Wie aber ausgerechnet Rittal in den Genuss einer solchen Technologieberatung kommen konnte, bleibt ein Geheimnis. Denn der Schaltschrankhersteller Rittal ist das größte Unternehmen der Loh Group, die zuletzt einen Umsatz von 2,5 Milliarden Euro verzeichnete. Der Konzern agiert weltweit und beschäftigt 11 500 Mitarbeiter. Eigentümer des Unternehmens ist Friedhelm Loh, der auch Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) ist und zu den reichsten Menschen in Deutschland gehört.
Am Ende von Digitalisierungsberatung und Umstrukturierungen bei Rittal stand jedenfalls nicht der Erhalt industrieller Arbeitsplätze in der Region. Im Gegenteil: Die Werke in Herborn, Rennerod, Wissenbach und Burbach wurden bzw. werden geschlossen, alle 850 Arbeitsplätze an den vier Standorten fallen weg. Die betroffenen Mitarbeiter konnten teilweise in eine Transfergesellschaft wechseln oder wurden betriebsbedingt gekündigt. Die Kolleginnen und Kollegen, die in der Transfergesellschaft landeten, konnten sich dann auf 180 Stellen am erweiterten und umstrukturierten Standort in Haiger bewerben. Für die hier Übernommenen gilt eine Probezeit von einem halben Jahr, auch wenn sie zuvor bereits viele Jahre bei Rittal beschäftigt waren. Wie groß die Weiterbeschäftigungschancen für die Kollegen sind, die als aktive Gewerkschafter bekannt sind, lässt sich erahnen. So kann der Konzern Mitbestimmung und Arbeitsschutzrechte unterlaufen. Wie sollen Betriebsräte ihre Mitbestimmungsrechte wirksam wahrnehmen, wenn aufgrund von neuer Arbeitsorganisation und neuen Arbeitsformen weder der Betriebs- noch der „Arbeitnehmer“-Begriff geklärt sind?
Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht davon aus, dass schon heute 15 Prozent der Arbeitsplätze davon bedroht sind, im Zuge der Digitalisierung ersetzt zu werden. Damit wächst der Druck auf Belegschaften und Gewerkschaften.
Der Fall Rittal ist damit nicht nur ein Beispiel dafür, dass hier ein großer Kapitalist von öffentlicher Technologieberatung profitiert. Das eigentliche Problem ist, dass das Kapital die mit der Digitalisierung verbundenen fundamentalen Veränderungen in der Produktionsweise benutzt, um die Kräfteverhältnisse im Betrieb zu seinen Gunsten zu verschieben.