Die Führung der Donezker Volksrepublik ist politisch in die Offensive gegangen. Am 18. Juli hat das Staatsoberhaupt der DVR, Alexander Sachartschenko, die Bildung eines unabhängigen Staates Malorossia (Kleinrussland) vorgeschlagen, der beitrittswillige Gebiete der ehemaligen Ukraine umfassen soll, mit Ausnahme der Krim. Diesen Vorschlag unterbreitete Sachartschenko gemeinsam mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats der DVR, Alexander Timofejew, und Vertretern aus zahlreichen Regionen der Ukraine, die als Flüchtlinge in der DVR leben.
Hintergrund für diese Initiative ist der unverändert bestehende Konflikt mit dem Kiewer Regime. Die Minsker Vereinbarungen, die auch von der Ukraine unterzeichnet worden sind, bestehen seit September 2014, der Maßnahmenkatalog zu deren Umsetzung seit Februar 2015. Doch Kiew hat keinen der dort festgehaltenen Punkte umgesetzt, nicht einmal die Regelungen zu einem Waffenstillstand. Waffenstillstandsvereinbarungen gibt es immer wieder, sie werden von Kiew, wenn überhaupt, nur wenige Stunden eingehalten, danach gehen die Angriffe auf Wohngebiete und Infrastruktur des Donbass weiter.
Auf politischer Ebene tut sich auch deshalb nichts, weil sich Kiew hartnäckig weigert, mit den Vertretern der Volksrepubliken ernsthaft über Schritte wie Kommunalwahlen, ein Amnestiegesetz oder einen besonderen Status des Donbass zu verhandeln – nicht einmal über Maßnahmen wie einen Gefangenenaustausch oder die Wiederaufnahme der Rentenzahlungen besteht Verhandlungsbereitschaft. Trotz dieses Stillstands ist die Regierung der Russischen Föderation bislang nicht bereit, die Republiken des Donbass diplomatisch anzuerkennen, wie dies die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) seit langem fordert.Die Initiative der DVR-Führung geht darüber hinaus. Veröffentlicht wurden dazu zwei Dokumente: Erstens eine politische Deklaration, in der das Projekt des Staates Ukraine als gescheitert erklärt wird. Die jetzige Regierung sei nicht legitim, da durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen. Die ökonomische Lage sei katastrophal, ein weiterer, diesmal offen ultranationalistischer bzw. faschistischer Staatsstreich stehe bevor. Gefordert wird ein Tribunal über die Verbrechen Poroschenkos und mit ihm verbundener Kräfte, auch die Auslieferung des frühen Präsidenten Janukowitsch durch Russland.
Die politische Aussage dieser Erklärung ist deutlich. Es geht nicht um eine Abspaltung des Donbass, sondern um die Ermutigung der Ukrainer zur Beseitigung des durch Faschisten unterstützten Oligarchenregimes, um eine weitgehende Föderalisierung und damit um einen Ausweg aus dem Krieg. Dazu sagte Sachartschenko: „Wenn wir eine deutliche Antwort auf die Frage geben, was wir nach dem Krieg wollen, werden wir am schnellsten eine Art finden, wie wir aus ihm herauskommen.“ Der Kampf richte sich weder gegen die Ukrainer noch gegen die ukrainische Kultur, sondern gegen das Kiewer Regime. Es geht dabei auch um den Weg heraus aus dem oligarchischen Wirtschaftsmodell, der teilweise schon über den Kapitalismus hinausweist.
Dies ist aus dem Verfassungsakt ersichtlich, der als eine Diskussionsgrundlage für eine mögliche verfassungsgebende Versammlung – mit einem anschließenden Referendum – dienen soll. Genannt werden darin u. a.: Wiederaufbau der Industrie des Landes bei Schaffung von Staatskonzernen in den industriellen Schlüsselbranchen, Verbot des Verkaufs von landwirtschaftlichem Boden, keine Erhöhung des Rentenalters, Einfrieren und perspektivisch Senkung der kommunalen Tarife, Arbeitsplatzgarantie für Hochschulabsolventen, ein System von Volkskontrolle in Wirtschaft und Politik, Elemente direkter Demokratie im Unterschied zur parteibezogenen Demokratie, eine systematische Entnazifizierung und die Rehabilitation des sowjetischen Erbes. Darüber hinaus wird ein Status der Blockfreiheit, eine Mitarbeit in der GUS sowie ein Beitritt zur Union von Russland und Weißrussland angestrebt, ohne jedoch die eigene Souveränität aufzugeben. Sachartschenko unterstrich, dass dieses Projekt die Bedingungen der Minsker Vereinbarungen nicht verletze. Es gehe gerade um die dort vorgesehene friedliche Regelung des Konflikts.
Die Bundesregierung lehnt das alles als „völlig inakzeptabel“ ab und erwartet auch von Russland eine Distanzierung. Die Ukraine bezeichnete die Initiative als Erklärung von Kreml-Marionetten, man werde den Donbass ohnehin bald von den „russischen Okkupanten“ befreien. Von Seiten der russischen Regierung wurde erklärt, es habe keinerlei Absprachen gegeben, man sei von der Erklärung überrascht. Die Idee müsse diskutiert werden.
In der Lugansker Volksrepublik (LVR) wurde der Schritt von offizieller Seite, u. a. vom Verhandlungsführer der LVR in Minsk Dejnego, als nicht zeitgemäß bezeichnet, da er gegenwärtig die Minsker Vereinbarungen gefährde, er sei jedoch diskussionswürdig.
Positiv reagierte der Vorsitzende des Duma-Komitees für Angelegenheiten der GUS-Staaten, Kalaschnikow, der zur KPRF-Fraktion gehört. Er vertrat die Auffassung, dass es „ein mögliches, vielleicht sogar unausweichliches Projekt“ sei, das einen Ausweg aus dem Krieg ermöglichen könne.
Inwieweit diese Initiative tatsächlich Ausstrahlung entfalten kann, ist derzeit kaum einzuschätzen. Viel hängt von der Entwicklung der Widerstandskräfte in der Ukraine selbst ab. Sachartschenko sprach vor wenigen Tagen von zahlreichen Reaktionen ukrainischer Bürger und Soldaten auf den Vorschlag. Auch wenn in der Öffentlichkeit eher Ruhe um das Projekt eingekehrt ist, sieht es aber so aus, als würde sich die Diskussion um eine engere Zusammenarbeit der beiden Volksrepubliken verstärken.