Eduardo Serra, Mitglied des Zentralkomitees der Brasilianischen Kommunistischen Partei (PCB)
Die politische Situation in Brasilien ist schwierig und entwickelt sich derzeit in dramatischer Form. Die Zulassung des Amtsenthebungsverfahrens seitens der Abgeordnetenkammer wegen Korruption gegen Präsidentin Dilma Rousseff, wie auch gegen andere Parlamentarier/innen und Minister/innen ihrer und der vorherigen Regierung unter Präsident Lula da Silva, ist faktisch eine Art Staatsstreich gewesen – ein parlamentarisch-mediales Manöver, das einer illegitimen Regierung den Raum verschaffte, bis zu einer Verurteilung von Dilma Rousseff durch den Senat die Macht zu erlangen. Dieser Putsch wurde von der Mehrheit der Sektoren der Rechten unterstützt, darunter einiger, die in der Regierung waren; aber auch Bankenvertreter, das Agroexportbusiness und andere Sektoren neben der konservativen Opposition waren dabei, trotz diverser Unstimmigkeiten unter ihnen. Die Interessen dieser Fraktionen und bürgerlichen Gruppen konzentrieren sich auf eine Anstrengung zur Erhöhung der Ausbeutungsrate der Arbeiterklasse, mit weiteren Beschneidungen von Rechten der Arbeitenden sowie einer Verringerung des Sozialetats und anderem, das der Kapitalakkumulation dient. Die Austeritätspolitik, die „Staatsverschlankung“, mehr Privatisierungen und die Suche nach wirtschaftlicher Stabilität, mehr Steuern und eine Atmosphäre des Vertrauens sind zentrale Ziele dieser Regierung, damit die privaten Investitionen kommen und das Land wieder wächst, wie sie gern glauben machen wollen. International nähert sich die Regierung Temer derweil politisch und ökonomisch den USA an.
Die Regierung unter Michel Temer ist dabei nicht nur illegitim – in den letzten Umfragen hat sie nur 11 Prozent Zustimmung – sondern auch ziemlich fragil. Ihre Minister stellen die Schlüsselpositionen zwischen den großen privaten Wirtschaftsgruppen und dem Staat. Die Partei des neuen Präsidenten, die „Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung“ (PMDB) setzt sich aus lokalen Gruppen zusammen, die in ihren Einflussgebieten Klientelpolitik machen; ein System, das nicht neu ist und auch von der Arbeiterpartei (PT) umgesetzt wird. Sieben der Minister unterliegen Korruptionsprozessen, drei davon sind bereits darüber gestürzt
Der Wechsel kam in einem Moment der Erschöpfung der Wirtschaftspolitik der beiden Regierungen von Lula da Silva und der von Dilma Rousseff, die liberale Politik machten – teils sogar mit Privatisierungen oder mit Repression gegen die Volksbewegungen, wie beim „Anti-Terror-Gesetz“, das von Präsidentin Rousseff vorgeschlagen und noch vor der Amtsenthebung verabschiedet wurde. Lula hatte einmal gesagt, dass die Banker nicht opponieren müssten, denn „nie hatten sie so viel verdient“; gleichzeitig schaffte man es dank der Exportüberschüsse bei Erzen und Agrarprodukten Programme von Stipendien und Krediten für die Mittelschichten aufzulegen. Seit 2013, als es wegen der Erschöpfung der materiellen Basis dieser Politik einen großen Ausbruch von Unzufriedenheit gab, mit Demonstrationen gesellschaftlicher Bewegungen von links wie von rechts, ging auch die politische Hegemonie zurück, die diese Regierungen für zehn Jahre innegehabt hatten.
Michel Temer hat die Aufgabe vor sich einen wahrhaftigen Blitzkrieg gegen die sozialen Rechte zu führen, und er hat bereits das Wissenschafts- und Technologieministerium abgeschafft. Überhaupt muss er schnell sein, denn seine Regierung ist zerbrechlich und die Zeit arbeitet gegen ihn. Sektoren der Bourgeoisie haben ein Interesse ihn nicht zu sehr zu füttern, denn für die Wahlen 2018 mag eine Alternative gebraucht werden, z. B. von jemandem mit einem eher „moralischen“ Profil, sozusagen als Vaterlandsretter.
Aber die Klasse beginnt sich zu regen. Menschen, die die PT gewählt, ihr früher angehört oder zu deren Unterstützern gehört hatten, füllen die Straßen. Parteien, die in der linken Opposition gegen die Dilma-Regierung waren, wie die PSOL (Partei Sozialismus und Freiheit) und die PCB, die sich gegen das Amtsenthebungsverfahren gestellt haben, sind nun dabei Linksfronten zum Kampf gegen Temer aufzubauen oder sich anderen anzuschließen, die das gleiche Ziel haben. Die Losung „Weg mit Temer“ eint im Moment den Volkskampf.