Geld reicht den deutschen Militaristen nicht, es geht um Strukturen und die Köpfe

Weg mit dem „Friedensbetriebsdenken“

Auch für die deutschen Militaristen und für die Rüstungsindustrie kam der plötzliche Geldregen zumindest scheinbar überraschend. Carlo Masala von der Bundeswehruniversität in München zeigte sich im Podcast „Sicherheitshalber“ erstaunt, wie durch die Rede von Olaf Scholz „Eckpfeiler deutscher Außenpolitik seit 1990 komplett abgeräumt wurden“. Der Podcast, betrieben unter anderem von Masala und Ulrike Franke vom „European Council on Foreign Relations“ (ECFR), bietet gute Einblicke in die Ideenwelt deutscher Militaristen. So machten die Podcaster in der Folge vom 27. Februar klar, worum es jetzt geht: Den unerwarteten Geldsegen im Sinne des deutschen Großmachtstrebens einzusetzen, freie Hand für die Militärs sowie der Kampf um die Köpfe, um endlich vom „Friedensbetriebsdenken“ wegzukommen.

Bei der Debatte um das Sondervermögen und den Rüstungsetat zahlt sich aus, was die letzten Jahre durch Meldungen über den schlechten Zustand der Bundeswehr vorbereitet worden ist: So lässt sich jetzt erklären, die Aufrüstung sei eigentlich gar keine, sondern nur die Behebung bestehender Mängel. Der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, erklärte bereits am 25. Februar über das Netzwerk „LinkedIn“, die Bundeswehr stehe „mehr oder weniger blank da“. Laut Henning Otte (CDU), Mitglied des Verteidigungsausschusses, und anderen müssten allein bis zu 20 Milliarden Euro zur Aufstockung der Munitionsvorräte investiert werden. Kriegsministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte Medienberichten zufolge, es gehe vor allem um die „persönliche Ausrüstung“ der Soldatinnen und Soldaten. Dass es dabei nicht bleiben wird, hatte Scholz in seiner Rede klar gemacht. Podcasterin Franke jubelte, ihr falle gar nichts ein, was Scholz in seiner Rede nicht genannt hätte – bewaffnete Drohnen, die im Wahlkampf vergangenen Jahres in der SPD noch für Aufruhr gesorgt hatten, nukleare Teilhabe, neue Flugzeuge, die Weiterentwicklung des Eurofighters für die elektronische Kriegsführung.

In Fragen Aufrüstung scheint jetzt also alles möglich. Bei „Sicherheitshalber“ wurde man sich trotz des Geldregens für Bundeswehr und Rüstungsindustrie recht schnell einig, dass der Job damit noch nicht erledigt sei. Denn Geld ist den Militaristen nicht genug: Wohlwollend wurde Christian Lindner (FDP) zitiert, man müsse auch über Strukturen und Auftrag der Bundeswehr reden. In eine ähnliche Kerbe schlug Generalinspekteur Eberhard Zorn laut Internetseite der Bundeswehr Anfang März in seinem sogenannten Tagesbefehl. Geld sei beim Ausbau der Bundeswehr zu „vollausgestatteten, aus dem Stand projektionsfähigen“ und zur „hochintensiven Gefechtsführung“ befähigten Streitkräften nicht alles: „Gleichzeitig müssen wir bürokratische Hürden abbauen, Strukturen modernisieren und Maßnahmen ergreifen, die die Einsatzbereitschaft der Truppe in der Fläche schnell und sichtbar erhöhen. Dazu zählten auch effektive „Führungsverfahren und -prozesse“. Lambrechts Parlamentarische Staatssekretärin, Simtje Möller (SPD), verwies am Montagmorgen im „Deutschlandfunk“ ebenfalls auf die Äußerungen ihrer Bundesministerin, dass es jetzt um Effizienzgestaltung gehe.

Was das bedeuten kann, konnte man wiederum bei „Sicherheitshalber“ hören. Vergabeverfahren müssten vereinfacht werden, entsprechende rechtliche Regelungen könnten leicht außer Kraft gesetzt werden, „wenn der politische Wille da ist“. Im Anschluss spekulierten die Podcast-Experten, dass auf EU-Ebene künftig Rüstungsgüter anders eingestuft werden und nicht mehr als unsoziale Investitionen gelten dürften. Wie die Tageszeitung „junge Welt“ berichtete, hatte die Rüstungsindustrie erst Anfang Februar diesen Jahres versucht, ihre Produkte auf EU-Ebene als nachhaltig einstufen zu lassen, um von besseren Finanzierungsbedingungen zu profitieren – bis jetzt waren die Reaktionen dazu verhalten gewesen.

Innerhalb weniger Tage gewannen jetzt die Rheinmetall-Aktien beinahe um 80 Prozent an Wert, wie auch die anderer Rüstungskonzerne. Mit öffentlichem Jubel hielt sich jedoch Rheinmetall lieber zurück, erhöhte aber still und leise die Dividenden, wie eine Pressemitteilung vom 25. Februar verlautete. Zudem legte der Konzern der Bundesregierung gleich am Montag nach der Scholz-Rede ein Angebot vor: Vorstandschef Armin Papperger sagte gegenüber dem „Handelsblatt“, das Paket im Umfang von 42 Milliarden Euro umfasse Munition, Hubschrauber sowie Ketten- und Radpanzer. Wer die Kosten für Aufrüstung und Säbelrasseln tragen soll, ist klar. So mehren sich bereits Berichte über einen absehbaren Inflationsanstieg und höhere Energiekosten, deren Preise auf dem Weltmarkt ebenso in die Höhe schossen. Doch sei man bereit, dies in Kauf zu nehmen, ließen Politiker nach der Scholz-Rede verlauten. Gefragt hat man die Bevölkerung jedoch nicht.

Angesichts der allgemeinen Kriegsstimmung hört man kaum Stimmen, die für Verhandlungen eintreten, erst recht nicht von denen, die selbst aus „sicherheitspolitischen“ oder Militärkreisen stammen. Johannes Varwick, Professor an der Universität Halle-Wittenberg und ehemaliger Präsident der „Gesellschaft für Sicherheitspolitik“, plädierte Anfang März im „Deutschlandfunk“ weiterhin dafür, den Weg der Diplomatie zu gehen. Es gelte die Eskalationsspirale zu durchbrechen, einen Krieg zwischen NATO und Russland zu verhindern sowie humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Varwick hatte im Dezember einen Aufruf „Raus aus der Eskalationsspirale! Für einen Neuanfang im Verhältnis zu Russland“ initiiert, der unter anderem von ehemaligen Generälen und Diplomaten unterzeichnet worden war. Es versteht sich von selbst, dass auch hinter einem solchen Appell der Versuch steckt, Deutschlands Interessen auf anderem Wege durchzusetzen. So müsse Russlandpolitik natürlich „nicht gutgläubig-naiv oder beschwichtigend, sondern interessengeleitet und konsequent“ sein.

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"Weg mit dem „Friedensbetriebsdenken“", UZ vom 11. März 2022



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