Forscher der Hans-Böckler-Stiftung zum Istzustand der Arbeitszeitflexibilisierung.

Weg mit dem 8-Stunden-Tag

Von Peter Köster, Bezirksvorsitzender IG BAU – Mülheim-Essen-OB

„Tarifliche Regelungen bieten großen Spielraum für betriebliche Gestaltung“, so das Fazit vom Leiter des WSI-Tarifarchivs, Dr. Reinhard Bispinck, in einer Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) hat in einer Analyse der tariflichen Arbeitszeitbestimmungen belegt, dass sich quer über alle Wirtschaftszweige hinweg kaum noch flexible Anpassungsmöglichkeiten an betriebliche Produktions- und Arbeitserfordernisse über die heute bereits vereinbarten hinaus ergeben.

Formen der tariflichen Regelungen der Arbeitszeitgestaltung sind:

H dauerhafte Verlängerung der regelmäßigen Arbeitszeit (bestimmte Berufsgruppen)

H befristete Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit (z. B. Kurzarbeit)

H dauerhafte Festlegung regelmäßiger Arbeitszeit im Rahmen eines tariflich vorgegebenen Arbeitszeitkorridors (oberhalb und unterhalb der tariflichen Arbeitszeit)

H tariflich festgelegte saisonal unterschiedliche Arbeitszeit (u. a. Samstags- und Sonntagsarbeit)

H unregelmäßige Verteilung der tariflichen Regelarbeitszeit, die in einem bestimmten Zeitraum durchschnittlich erreicht werden muss (u. a. Arbeitszeitkonten)

Dr. Reinhard Bispinck betont, dass „Die tariflichen Regelungen zu den Arbeitszeitkonten sich in den vergangenen 15 Jahren erheblich ausgeweitet haben.“ Seit Jahren sind tarifliche Regelungen im Bankgewerbe, Bauhauptgewerbe, der Papierverarbeitenden Industrie und im privaten Verkehrsgewerbe durch Arbeitszeitkontenvereinbarungen unterschiedlichster Weise erweitert worden.

Die Forscher des WSI kommen zum Schluss, dass eine weitere Deregulierung, wie sie von den führenden Arbeitgeberverbänden wieder verstärkt gefordert wird, unnötig und schädlich sei. Diese Aussage verdient drei Ausrufezeichen. Schädlich natürlich nur für die Arbeitnehmer, denen die Unternehmen noch mehr von ihrer erkämpften Lebensqualität wieder abringen wollen.

Das nationalistische Wirtschaftsstandortgerede, das Schüren von Ängsten, dass eine fortschreitende Digitalisierung bei Produktions- und Dienstleistungsberufen die Arbeitsplätze gefährde, wenn nicht noch mehr Flexibilität möglich sei, ist von den Verkündern dieser ‚Lösung‘ in den zurückliegenden Jahren selbst entlarvt worden. Die dramatischen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, die anwachsende Zahl prekärer Jobs, die in die hunderttausende gehen, sind auch ein Ergebnis dieser schon bestehenden tariflichen Möglichkeiten von Arbeitszeitflexibilität.

„Pauschale Forderungen nach noch mehr Flexibilität sind aber nicht nur unnötig, sie würden auch die Probleme noch weiter verschärfen, die Beschäftigte haben, wenn sie Arbeit und Familienleben unter einen Hut bringen müssen“, so der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Bispinck. Defizite gebe es vielmehr bei belastbaren Regelungen zur besseren Umsetzung der Arbeitszeitinteressen von Beschäftigten. „Es ist höchste Zeit für eine gesellschaftliche Debatte über eine Arbeitszeitpolitik, die sich an den wechselnden Interessen der Beschäftigten im Lebenslauf orientiert. Dabei spielt auch eine weitere Arbeitszeitverkürzung eine wichtige Rolle“, so Bispinck weiter.

Hier ist anzusetzen. Der Istzustand ist zur Grundlage der offensiven Gegenargumentation zu machen, um – in den Gewerkschaften beginnend, in der Gesellschaft fortsetzend – die Diskussion um eine qualitative Arbeitszeitverkürzung – stufenweise von 35 auf 30 Stunden/Woche – bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu forcieren. Das kommt den Beschäftigten und den Familien in mehrfacher Weise zu Gute: Mehr Arbeitsplätze. Weniger Arbeitslosigkeit – vor allem bei Jugendlichen. Mehr Zeit für Erziehung und gemeinsames Familienleben mit weniger Druck. Mehr Engagement für und in der Gesellschaft zum Wohle aller. Weniger Belastung der staatlichen Haushalte durch Transferleistungen. Stattdessen mehr Einnahmen durch die vorhandenen Sozial- und Steuerabgaben auf Löhne und Gehälter.

Arbeitszeitverkürzung ist in Tarifverhandlungen wieder auf die Agenda zu setzen, so wie es in der Auseinandersetzung bei den Paketdiensten von den Kollegen gemacht wurde. Teilschritte, um die Debatte zur echten Arbeitszeitverkürzung anzufeuern, könnten zum Beispiel sein, den älteren Kollegen – vor allem in den körperlich besonders belasteten Berufen – die wöchentliche Arbeitszeit schrittweise zu verkürzen und im Ausgleich die Einstellungen von jungen Menschen zur Ausbildung und danach deutlich zu erhöhen.

Nicht zielführend ist, sich auf schon bestehende Strategien der Langzeit-/Lebenszeitkontenregelungen einzulassen, die im Kern die Selbstfinanzierung, zum Beispiel des früheren Ruhestandes eines Beschäftigten, beinhaltet. Also keine Einzahlung von Mehrarbeit, Urlaubstagen oder zusätzliche Entgelte (Urlaubs- und Jahresentgelt) als Wertumrechnung auf ein solches Arbeitszeitkonto.

Tarifliche Regelungen haben ein Maß an Flexibilität im Sinne unternehmerischer Interessen erreicht, dass es höchste Zeit ist, die Interessen der Beschäftigten der ökonomischen (Profit-)Situation der Unternehmen durch bessere Flexibilität auf die Tagesordnung zu setzen.

Bei Vollzeitjobs liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit mittlerweile schon wieder bei fast 42 Wochenstunden. Wenn Arbeitgebervertreter jetzt verkünden, den 8-Stundentag aus dem Gesetz streichen zu wollen, dann sag ich: „Ja. 7 Stunden sind genug!“

 

Zur Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung: http://www.boeckler.de/pdf/pm_ta_2015_08_26.pdf

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"Weg mit dem 8-Stunden-Tag", UZ vom 4. September 2015



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