Gesundes Gesundheitssystem ist Tagesforderung

Weg aus der Coronakrise

Dass die Regierung beim Kampf gegen die Corona-Seuche besonders erfolgreich war, behauptet sie mittlerweile nicht einmal selber. Nicht selten findet sich in dieser Zeitung heftige Kritik. Ärgerlich ist aber, dass wir – unsere kleine Partei und die aufgeklärte linke Öffentlichkeit – noch keine Forderungen gefunden haben, für die es sich lohnt, den Kampf aufzunehmen. Der Protest gegen die Maßnahmen kommt so aus der unaufgeklärten „Mitte der Gesellschaft“ und wird von rechts organisiert. Wir dagegen wandern hinter Transparenten „Solidarisch gegen die Krise“ her, die auch von Kanzlerin Merkel und ihrem Gesundheitsminister Spahn gemalt sein könnten.

Lucas Zeise
Lucas Zeise

Im rechtslastigen Protest findet sich viel Beschwerde gegen Einschränkungen der Rechte durch Gesetze und Rechtsverordnungen. Sie müssen „verhältnismäßig“ sein, erklärt uns die herrschende Rechtsinterpretation. Wir stellen fest, dass die ökonomischen Belastungen und Einschränkungen ungleich verteilt werden und zugleich offensichtlich nicht ausreichen, die Krankheit einzudämmen.

Ungleiche Lastenverteilung und fehlende Effektivität hängen mitein­ander zusammen. In diesen Zeiten am besten sichtbar am Gesundheitssystem. Kronzeuge dafür ist Gesundheitsminister Spahn, der am 19. April des Jahres feststellte: „Der öffentliche Gesundheitsdienst ist der Dreh- und Angelpunkt zum Umgang mit dieser Epidemie“. So steht es auch im Gesetz, wonach die Gesundheitsämter „für die Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten verantwortlich sind“. Zwischen 2000 und 2014 ist die Zahl der in diesen Ämtern Tätigen von 39.000 auf 29.000 gesunken. Die Verantwortlichen waren wohl überzeugt, dass der heilige Markt Fragen der Gesundheit locker lösen würde. Das kann er aber nicht und tut er nicht. Die Gesundheitsbehörden sind verantwortlich für die Überwachung von Arbeitsstätten, Transportmitteln, öffentlichen Einrichtungen und Gewerbebetrieben aller Art. Sie sind aber nicht in der Lage festzustellen, an welchen Kontaktstellen die Epidemie sich verbreitet, geschweige denn effektive Maßnahmen gegen sie zu ergreifen. Stattdessen werden Schließungen für Konzerte, Gaststätten, Hotels und Geschäfte verfügt, Produktionsbetriebe und Verwaltungen, Schulen und Kitas offengehalten sowie der Personennah-, Fernverkehr und Gütertransport zugelassen.

Dass Pflegenotstand herrscht ist Allgemeinwissen. Katastrophaler Personalmangel wird jetzt sogar zugegeben. Der Kern des Übels ist das System der 1993 eingeführten Fallpauschalen. Seit damals wird nicht mehr gefragt: „Welche Behandlung braucht der Patient?“ sondern „Welche Erlöse bringt der Patient?“ Seit damals bekommt das Krankenhaus die Pauschale, die für einen Eingriff zwischen Kassen und Krankenhäusern vereinbart ist. Es lohnt sich damit, Behandlungen durchzuführen, die hohe Pauschalen bringen. Es lohnt sich, das Personal auszudünnen und damit Kosten zu sparen. Es lohnt sich für Investoren, Krankenhäuser zu betreiben. So wurde eine Privatisierungswelle losgetreten, die von der Politik auf allen Ebenen vorangetrieben wird.

Die Corona-Seuche muss als Gelegenheit genutzt werden, das Gesundheitssystem gesünder zu machen. Man darf mit dieser Kur aber nicht bis zum Ende der Seuche warten, sondern muss mit dem Kampf jetzt anfangen. Notwendig sind:

Massive Personalaufstockung und höhere Bezahlung in der Pflege und in den Gesundheitsämtern – Die Privatisierung der letzten Jahrzehnte rückgängig machen – Das System der Fallpauschalen fallenlassen. Stattdessen wird wie einst nach Kostendeckung abgerechnet. Die Finanzierung des Gesundheitssystems durch konkurrierende Kassen wird durch eine einheitliche Bürgerversicherung ersetzt.

Die Zweiklassenmedizin wird damit beendet.

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"Weg aus der Coronakrise", UZ vom 24. Dezember 2020



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