Weder Krieg noch Frieden

Swetlana Ebert, Renate Koppe im Gespräch mit Stanislaw Retinskij

Ende Oktober besuchte Stanislaw Retinskij auf Einladung der DKP Berlin und Hannover. In beiden Städten fanden öffentliche Diskussionsveranstaltungen der jeweiligen DKP-Kreisorganisationen unter dem Titel „Brennender Donbass“ statt, an denen fast 60 bzw. 35 Interessierte teilnahmen – nicht nur Mitglieder der DKP, sondern auch andere Linke, Migranten aus der RF und der Ukraine. Neben der aktuellen Lage in der Donezker Volksrepublik – sowohl militärisch als auch sozialökonomisch – wurde über die Arbeit der KP und über die Perspektiven informiert, die die Genossinnen und Genossen im Donbass für die Volksrepubliken sehen.

Im Anschluss an die Veranstaltung in Berlin fand ein Treffen mit Mitgliedern des Parteivorstands der DKP und der Internationalen Kommission sowie des Berliner Landesvorstands statt, bei dem Stanislaw Retinskij den Genossinnen und Genossen der DKP für ihre Solidarität dankte. Der internationale Sekretär der DKP, Günter Pohl, lud einen Vertreter der KP der DVR zum Pressefest im Sommer 2018 ein. Eine weitere Zusammenarbeit vor allem im Informationsbereich soll entwickelt werden.

Die UZ hat Stanislaw Retinskij während seines Besuchs in der BRD interviewt.

UZ: Wie ist derzeit die militärische Situation in der Donezker Volksrepublik?

Stanislaw Retinskij: Die allgemeine militärische Situation fällt in die Kompetenz der Volksmiliz. Ich kann nur aus meiner persönlichen Erfahrung berichten. Ich lebe mit meiner Familie in einem frontnahen Bezirk von Donezk in der Nähe des Flughafens. Die heftigsten Kämpfe fanden hier im Januar/Februar 2015 statt. Nicht weit von unserem mehrstöckigen Haus detonierten regelmäßig Geschosse. Nach Beendigung der Operation bei Debalzewo und der Unterzeichnung der Minsker Vereinbarungen nahmen die Beschüsse zwar erheblich ab, jedenfalls in diesem Bezirk, aber gehen dennoch regelmäßig weiter. Eine solche Situation besteht am gesamten Grenzverlauf. Vor Kurzem habe ich für eine Reportage im frontnahen Kominternowo im Süden der DVR gearbeitet. Während der Arbeit kamen von ukrainischer Seite regelmäßig Maschinengewehrsalven. Einwohner bestätigten, dass mit Einbruch der Dunkelheit mit Mörsern geschossen wird. Im Ganzen kann die derzeitige Situation im Donbass mit „Weder Krieg noch Frieden“ bezeichnet werden.

UZ: Wie ist die Situation in der DVR bei der Lebensmittelversorgung, wie sind die Preise für Lebensmittel und andere lebensnotwendige Waren? Wie sieht es mit Medikamenten aus?

Stanislaw Retinskij: Zurzeit gibt es in den Geschäften eine ausreichende Menge an Lebensmitteln.

Natürlich stammt ein erheblicher Teil aus Russland. Aber ein recht großes Sortiment wird auch in der DVR selbst produziert. Trotz der Kämpfe arbeitet die Leichtindustrie. In der DVR werden Milch-, Fleisch- und Konditoreiwaren hergestellt. Bäckereibetriebe haben während der gesamten Kriegszeit Brot zu Sozialpreisen produziert.

Die Lebensmittelpreise in der DVR unterscheiden sich praktisch nicht von denen in der Ukraine. Während aber in der letzten Zeit die Preise in der Ukraine stiegen, haben sie sich in der DVR stabilisiert, wo es gelungen ist, die eigene Produktion wieder aufzunehmen und die Abhängigkeit vom Import aus der Russischen Föderation zu verringern. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Preisen in Donezk und den anderen Teilen der DVR.

Medikamente sind in der Republik ausreichend vorhanden, Sozialapotheken sind in Betrieb. Außerdem gibt es eine Reihe von Programmen zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung, die kostenlose Behandlungen vorsehen, z. B. wenn eine Operation notwendig ist.

UZ: Wie ist die Situation bei der Verteilung der humanitären Hilfe, sowohl der offiziellen aus der Russischen Föderation als auch der der KPRF, der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation?

Stanislaw Retinskij: Das Zivilschutzministerium der Russischen Föderation liefert seit August 2014 regelmäßig humanitäre Hilfe in den Donbass. Diese wird in erster Linie über Ministerien und Behörden verteilt. Ein großer Teil geht in den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur, die Lebensmittelversorgung der Kinder in den Schulen und in Medikamente für die Krankenhäuser. Solange die Kämpfe weitergehen, wird es immer einen Bedarf nach humanitärer Hilfe geben. Auch normale Einwohner der Republik erhalten Hilfe aus der Russischen Föderation. Seit zwei Jahren wird unsere Familie ausreichend mit Kindernahrung versorgt, selbst müssen wir fast keine kaufen.

Seit Beginn der Kämpfe liefert auch die KPRF als einzige russische Partei systematisch humanitäre Hilfe in die Republik. Sie unterstützt die inneren Truppen (Teil der Polizei, Anm. der Übersetzerin) der DVR, wo es nicht wenige unserer Sympathisanten gibt, ein Militärhospital, das Dramatische Theater, die Krupskaja-Bibliothek. Die russischen Kommunisten haben die Patenschaft über einige soziale Objekte im Telmanowo-Bezirk übernommen. Auf Bitten der Kommunistischen Partei der DVR leisten sie auch Unterstützung für Veteranen, Menschen mit Behinderung, kinderreiche Familien. Seit Oktober 2016 sind wir selbst an der Verteilung nicht mehr beteiligt, weil dafür nun das Zivilschutzministerium der DVR zuständig ist.

UZ: Wie entwickelt sich die Industrie in der Republik? Wie hoch ist der Anteil von staatlichen Unternehmen? Wie sieht es mit dem Export aus?

Stanislaw Retinskij: Allein in diesem Jahr wurden in der DVR die Charzysker Stahlseilfabrik und das Jusowskij-Metallwerk wieder in Betrieb genommen, außerdem wurde eine Stromleitung im Nowoasowskij-Bezirk gebaut und Bergwerke in Tores ausgebaut.

Die Kohlebergwerke befanden sich früher und befinden sich jetzt in Staatseigentum. Vor dem Krieg waren praktisch alle übrigen Betriebe Eigentum von Oligarchen. Bis zur vollständigen Blockade des Donbass von Seiten Kiews im März dieses Jahres befanden sie sich zumeist noch in Privateigentum. Jetzt sind sie unter äußere staatliche Leitung (Zwangsverwaltung) gestellt worden und ihre Steuern zahlen sie nicht mehr in den Haushalt der Ukraine, sondern in den der DVR.

Vor kurzem gab es Meldungen, dass eine Ladung Donbasskohle nach Polen geliefert wurde. Dies zeugt davon, dass Unternehmen der DVR und der LVR, wenn auch in geringem Maße, ihre Produkte exportieren. Vor kurzem erklärte der stellvertretende Wirtschaftsminister der Russischen Föderation, Sergej Nasarow, dass etwa eine Mio. Tonnen Kohle im Monat über das russische Territorium auf den internationalen Markt gelangt.

UZ: In welcher Situation ist die Kommunistische Partei der DVR? Welche grundlegenden Aufgaben muss sie derzeit lösen? Wie ist das Verhältnis zur KPRF?

Stanislaw Retinskij: Derzeit hat die KP der DVR etwa 1000 Mitglieder. Ein erheblicher Teil der Parteimitglieder war früher in der KPU oder der KPdSU. Aber es gibt auch nicht wenige neue Mitglieder. Wir haben bei der Mitgliederstruktur dieselben Probleme wie andere Kommunistische Parteien im postsowjetischen Raum: Entweder sind unsere Mitglieder ältere Menschen oder sehr junge, das mittlere Alter fehlt. Deshalb legt die Partei einen Schwerpunkt auf die junge Generation. Hier gibt es bestimmte Erfolge, was sich an der Arbeit der Pionier- und Komsomol-Organisationen in Makejewka zeigt.

Einige Mitglieder der KP dienten oder dienen in der Armee der DVR. Aber die Probleme unserer Arbeit unter den Soldaten sind dieselben wie bei der Zivilbevölkerung.

Die Kommunisten haben viel zur Schaffung der Republik beigetragen. Heute ist ein erheblicher Teil unserer Arbeit auf ihre internationale Anerkennung gerichtet. Dies kann unter anderem durch die Herstellung internationaler Parteibeziehungen erreicht werden. Die Kommunistische Partei der DVR hat hier erhebliche Erfolge erzielt. Wir sind unseren deutschen Genossen, die uns Unterstützung leisten – z. B. in dem sie unsere Parteimaterialien auf Deutsch verbreiten oder ihre Solidarität zum Ausdruck bringen – sehr dankbar.

Außer zur DKP konnten wir Kontakte zu Kommunisten in Italien, Kuba und Lateinamerika, Spanien, der KDVR, Großbritannien, Schweden und natürlich in Russland und den GUS-Ländern herstellen. In der Per­spektive könnten solche Verbindungen bei der Schaffung einer antifaschistischen Allianz hilfreich sein, wo unsere Partei eine merkliche Rolle spielen wird. Ein erster Schritt soll ein internationales Informationsprojekt sein, an dem schon gearbeitet wird.

Die KPRF unterstützt uns aktiv. Es gibt Kontakte nicht nur zwischen den Führungen der Parteien, sondern auch zwischen regionalen Parteikomitees und den Jugendorganisationen.

UZ: Welche Perspektiven sehen die Kommunisten der DVR für die Republik? Welche Rolle kann die Kommunistische Partei dabei spielen?

Stanislaw Retinskij: In der Unabhängigkeitserklärung der DVR heißt es: „Die Republik gewährleistet die Bedingungen für die freie Entwicklung und den Schutz der verfassungsmäßig anerkannten Eigentumsformen, die die Aneignung der Ergebnisse fremder Arbeit ausschließen, Vorrang haben dabei kollektive Formen.“ Mit anderen Worten, es wurden die Produktionsmittel zu gesellschaftlichem Eigentum erklärt. Aber in der Verfassung der DVR ist bereits wieder auch vom Schutz des Privateigentums die Rede.

Die Kommunisten der DVR treten für die Realisierung der Aussagen der Unabhängigkeitserklärung ein.

Wir sind bereit, mit allen Parteien und Organisationen zusammenzuarbeiten, die sich dieselben Ziele setzen. Dabei wissen wir sehr gut, dass in der Unabhängigkeitserklärung der DVR im Grunde von einer Aufhebung des Privateigentums die Rede ist und dies kann nur die Arbeiterklasse unter Führung der kommunistischen Partei realisieren

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Weder Krieg noch Frieden", UZ vom 3. November 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit