Die jüngste Strafaktion der westlichen Mächte wurde am 15. März in Gang gesetzt. „Die transatlantische Gemeinschaft verhängt Sanktionen gegen Russland“, verkündete das US-Außenministerium triumphierend. Die USA, Kanada und die EU hätten soeben erneut „gemeinsam“ auf „die fortgesetzte russische Aggression gegen die Ukraine“ reagiert: Man habe beschlossen, acht russische Geheimdienstler, Militärs und Grenzschützer zur Rechenschaft zu ziehen, da sie am 25. November „einen ungerechtfertigten Angriff auf drei ukrainische Marineschiffe nahe der Straße von Kertsch orchestriert“ hätten. „In den fünf Jahren, seit Russland seine Aggressionskampagne gegen die Ukraine gestartet hat, haben wir fest mit unseren transatlantischen Partnern zusammengestanden, in Opposition zu Russlands bösartigen und illegalen Handlungen“, schloss die Erklärung des US-Außenministeriums. „Die Botschaft an Russland ist klar: Die transatlantische Gemeinschaft steht vereint.“
Zeigen, wer die Herren sind
Seit Russland im März 2014 mit der Aufnahme der Krim begonnen hat, sich gegen die fortgesetzte Ausweitung der westlichen Hegemonialsphäre in Richtung Osten zur Wehr zu setzen, gehen die Staaten Nordamerikas und der EU in engem Schulterschluss gegen Moskau vor: Unbotmäßigkeit gegenüber den selbsternannten Herren der Welt, das soll mit den Maßnahmen klargestellt werden, wird hart bestraft. Das geschieht auf allen Ebenen. Der erste Schritt waren die Sanktionen, die Washington, Ottawa und Brüssel gemeinsam Mitte März 2014 verhängten. Abgestimmt folgten weitere Sanktionen, regelmäßig werden sie verlängert. Als die USA, Kanada und die EU am 15. März ihre jüngste Strafwelle in Gang setzten, war gleichzeitig eine solche Verlängerung an der Reihe. Selbstverständlich setzt das transatlantische Bündnis Russland auch weltpolitisch unter Druck, wo es nur geht – in Syrien, in Libyen, in Venezuela. Und es weitet seine militärischen Maßnahmen im NATO-Rahmen aus: 2015 hat es die NATO-„Speerspitze“ („Very High Readiness Joint Task Force“, VJTF) aufgestellt, die sich nicht zuletzt gegen Russland richtet. 2017 hat es NATO-Truppen in Polen und im Baltikum stationiert. Auch in Südosteuropa stärkt die NATO ihre Aktivitäten systematisch, ebenfalls im Schwarzmeergebiet und im Südkaukasus.
Zu unbeweglich
Im Rahmen des westlichen Vorgehens gegen Russland arbeitet die EU auf militärischer Ebene der NATO konsequent zu. Dies zeigen konkrete Beispiele ebenso wie konzeptionelle Ansätze. Ein konkretes Beispiel bieten Maßnahmen zur Verbesserung der sogenannten militärischen Mobilität. Die Verlegung von NATO-Truppen nach Osteuropa und die NATO-Manöver im Osten und im Südosten des Kontinents im Zuge des westlichen Aufmarschs gegen Russland haben schon recht rasch ein Problemfeld offengelegt: Die NATO-Streitkräfte sind nicht so beweglich, wie die Generäle es wünschen. Zum einen müssen Streitkräfte, wenn sie europäische Grenzen überschreiten, einigen bürokratischen Aufwand erledigen – kein EU-Staat lässt fremde Panzer ungenehmigt ins Land, jedenfalls nicht in Friedenszeiten. Zum anderen ist die materielle Infrastruktur nicht an den Bedarf westlichen Kriegsgeräts angepasst: Immer wieder blieben Panzer und andere Militärfahrzeuge in Unterführungen stecken oder brachten Asphaltdecken zum Zerbröseln, weil sie größer und schwerer sind, als es die für Osteuropa einst normsetzenden Waffen der Warschauer-Vertrags-Staaten waren.
Die Hindernisse, auf die die NATO-Truppen treffen, beseitigt nun die EU. Sie hat im vergangenen Jahr ein Programm aufgelegt, das die „militärische Mobilität“ verbessern soll – und zwar in jeder Hinsicht. Zum einen geht es darum, Grenzübertritte von Streitkräften auf bürokratischer Ebene zu erleichtern. Von einem „militärischen Schengen“ ist dabei die Rede. Zum anderen werden aufwendige bauliche Maßnahmen geplant, um Straßen, Brücken und Unterführungen in Ost- und Südosteuropa an das rollende NATO-Kriegsgerät anzupassen. Brüssel stellt dafür in den Jahren 2021 bis 2027 stolze 6,5 Milliarden Euro bereit. Wie dabei alles eng verzahnt ineinandergreift, zeigt das neue NATO-Hauptquartier („Joint Support and Enabling Command“, JSEC), das die Bundeswehr in Ulm errichtet: Es dient „der Planung und Koordination alliierter Truppenbewegungen in Europa“, hat also stets auch mit der Gewährleistung „militärischer Mobilität“ zu tun. Freilich wird es nicht in die Kommando-, sondern in die Streitkräftestruktur der NATO eingegliedert. Das bedeutet: Es kann jederzeit auch außerhalb des Kriegsbündnisses genutzt werden – beispielsweise für Militäreinsätze im nationalen Rahmen oder im Rahmen der EU. Die Union profitiert also selbstverständlich ebenfalls von der für die NATO-Truppen verbesserten „militärischen Mobilität“.
Passt zur NATO
Die Beispiele ließen sich problemlos erweitern. Die NATO hat im Jahr 2014 ihr Strategic Communications Centre of Excellence (StratCom COE) mit Sitz in der lettischen Hauptstadt Riga gegründet, das sich der Propaganda- und Informationskriegsführung widmet. Seit 2015 kann es auf Unterstützung durch die East StratCom Task Force der EU bauen, eine Institution, die unmittelbar dem Propagandakrieg im Osten, faktisch also gegen Russland, gewidmet ist. Die EU hat darüber hinaus ein European Centre of Excellence for Countering Hybrid Threats (Hybrid COE) mit Sitz in der finnischen Hauptstadt Helsinki gegründet. Das Hybrid COE arbeitet eng mit der NATO zusammen – gegen Russland, dem allgemein eine hybride Kriegsführung gegen den Westen unterstellt wird. Brüssel wird ohnehin nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, dass all seine Militarisierungsbestrebungen im Kern mit der NATO vereinbar sind, dass also etwa sämtliche Projekte im Rahmen von PESCO („Permanent Structured Cooperation“) letztlich nicht nur der Union, sondern schon konzeptionell eben auch dem westlichen Kriegsbündnis zugute kommen. Und wenn es gegen Moskau geht, dann ist das ohne Zweifel der Fall.
Partner und Rivalen
Jenseits des gemeinsamen Nenners, Russland in die Schranken weisen zu wollen, sind sich die selbsternannten westlichen Herren der Welt freilich in vielem nicht einig – nicht einmal in allen Mitteln und Zielen ihrer Ostaggression. Stimmt die von Berlin dominierte EU mit Washington und der NATO zum Beispiel in puncto Truppenstationierung in Osteuropa völlig überein, so gibt es etwa keinen Konsens darüber, ob die Ukraine und Georgien als Mitglieder in das Kriegsbündnis aufgenommen werden sollen. Die Vereinigten Staaten sähen dies seit vielen Jahren gern, scheiterten damit allerdings bereits 2008 am deutschen Veto – ein Konfliktpunkt, an dem sich bis heute nichts geändert hat. Dass die transatlantischen Mächte zwar darin konform gehen, dass sie Moskau schwächen wollen, dabei aber miteinander heftig rivalisieren, das zeigte sich bereits während der Maidan-Proteste, als Berlin und Brüssel auf Witali Klitschko, Washington hingegen auf die Fraktion um Arsenij Jazenjuk setzten und als die für Europa und Eurasien zuständige Abteilungsleiterin im State Department wutentbrannt „Fuck the EU!“ schimpfte. Die gemeinsame Aggression gegen Russland beruht eben nicht auf durchweg identischen Interessen; sie folgt durchaus unterschiedlichen Motiven.
Gegen Russland – mit verschiedenen Zielen
Dabei reduzieren sich die abweichenden Interessen beider Seiten nicht auf das jeweilige Bestreben, in Ost- und Südosteuropa die dominante äußere Macht zu sein und den Rivalen auf den zweiten Rang zu verdrängen. Es gibt inhaltliche Differenzen. Berlin betrachtet Russland seit je als bedeutende Rohstoffquelle und als potenziell attraktiven Absatzmarkt – und es legt Wert darauf, dies in seine Expansionsplanungen einzubeziehen. Deshalb ist es gewöhnlich bemüht, zwar Moskaus Einfluss in Ost- und Südosteuropa nach Kräften zurückzudrängen, um dort die eigene Dominanz durchzusetzen. Es zielt allerdings zumeist auch darauf ab, die Türen für wirtschaftliche Kooperation nicht endgültig zu verschließen. Washington wiederum ist aufgrund seiner völlig anders gelagerten außenwirtschaftlichen Interessen auf derlei Rücksichten nicht angewiesen, kann also Konflikte mit Russland ziemlich bedenkenlos eskalieren. Dabei hat es andere Sorgen: Was, wenn sich Berlin und Moskau, und sei es auch nur aus taktischen Gründen, einmal zusammentun sollten, um die Macht der Vereinigten Staaten zu bremsen? Gemeinsam könnten beide beträchtliches Machtpotenzial entfalten. Das zu verhindern, das ist, wie US-Geostrategen immer wieder bestätigen, ein zentrales Ziel der USA.
Washingtons Keil
Die Trump-Regierung nutzt deshalb nach Kräften Gelegenheiten aus, um den Konflikt mit Russland zu eskalieren und dabei Keile zwischen Berlin und Moskau zu treiben. Eins der jüngeren Beispiele ist die Kündigung des INF-Vertrags. Zwar spricht vieles dafür, dass die US-Regierung vor allem auf eine Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen in Ost- und Südostasien gegen China zielt. Dennoch setzt Washington mit der Vertragskündigung Russland erheblich unter Druck: Moskau muss nun immerhin damit rechnen, von EU-Territorium aus mit neuen nuklearen Mittelstreckenwaffen bedroht zu werden. Sobald es freilich seinerseits Raketen stationiert, bedroht es atomar die EU, die sich dann bei den Vereinigten Staaten um Schutz bemühen muss: Diese Form der Eskalationspolitik entspricht US-, nicht aber deutschen beziehungsweise EU-Interessen. Ebenfalls nicht im Sinne Berlins wäre eine US-Militärbasis auf polnischem Territorium („Fort Trump“), wie sie Washington und Warschau zur Zeit in Betracht ziehen: Eine Zementierung des polnisch-US-amerikanischen Bündnisses böte der US-Regierung leichtes Spiel beim Bestreben, die Spannungen mit Russland von EU-Territorium aus auch gegen den Willen der EU-Zentralmacht zu eskalieren.
Berlins Leitung
Eine Form der Konfrontationspolitik gegenüber Russland, die nur von einem Teil der EU, nicht hingegen von Deutschland gebilligt wird, betreibt Washington auch im Fall von Nord Stream 2. Der Bau der Pipeline liegt stark im Interesse Berlins: Die Erdgasleitung würde es der Bundesregierung gestatten, den Rohstoff exklusiv aus dem Land mit den größten Vorräten der Welt zu importieren und zugleich zur Verteilzentrale für die gesamte westliche EU zu werden. Sie wäre ein wichtiges Element einer deutsch-russischen Kooperation, weshalb wiederum die Trump-Regierung es auf ihre Verhinderung abgesehen hat. Die Bundesrepublik hätte die EU, die in dieser Frage gespalten ist, in puncto Nord Stream 2 lieber auf Kooperations- als auf dem Konfrontationskurs, den die NATO-Vormacht auch in diesem Fall eingeschlagen hat. Sie kämpft – hier deeskalierend – hart dafür.
Schranken, kein Bruch
Und sie hat auch sonst dafür gesorgt, dass die EU zwar die Konfrontationspolitik gegenüber Russland nicht nur im NATO-Rahmen, sondern auch bei den Sanktionen mitträgt – es geht ja darum, Moskau in die Schranken zu weisen –, dass Brüssel freilich die Konfrontation bei den Sanktionen nicht so weit treibt, dass sie jegliches Geschäft unmöglich macht. Insbesondere den für Berlin strategisch wichtigen Erdgassektor hat die Bundesregierung stets aus den Sanktionen herausgehalten. Die Obama-Regierung hat das akzeptiert: Sie hat im Kampf gegen Russland die westliche Einheit zu wahren versucht. Die Trump-Regierung verzichtet darauf. Mitte März wurden Berichte laut, denen zufolge die nächste Runde der US-Sanktionen vorsieht, sämtliche Unternehmen – vor allem auch deutsche –, die Geschäfte mit sanktionierten russischen Firmen machen, ihrerseits mit Strafen zu belegen, ganz so, wie Washington es im Falle der Iran-Sanktionen getan hat. Dies widerspräche massiv deutschen Interessen, und damit wäre also die Eskalationseinheit des Westens schwer in Frage gestellt. Umso günstiger, dass es den westlichen Mächten gelungen ist, mit den gemeinsam am 15. März verhängten Sanktionen Einigkeit zumindest zu demonstrieren – eine Einigkeit, die freilich nur noch teilweise gegeben ist.