Derzeit diskutieren die Gliederungen der DKP in Vorbereitung des 26. Parteitags zehn Leitgedanken. Der Parteivorstand hat in diesen seine Analyse der Entwicklung des Imperialismus und der Kräfteverhältnisse dargelegt. Im Rahmen der Referatsdiskussion auf dem Parteitag im Juni 2025 sollen die kollektiven Diskussionsergebnisse eingebracht werden. Zur Unterstützung der Aneignung der Positionen des Parteivorstands und damit der Herstellung eines einheitlichen Wissensstands in der Partei erscheinen in UZ Artikel zur Vertiefung der einzelnen Leitgedanken. Wir haben die Beiträge unter folgendem Link zusammengefasst.
„Die Menschen machen ihre Geschichte, wie diese auch immer ausfalle, indem jeder seine eignen, bewusst gewollten Zwecke verfolgt, und die Resultante dieser vielen in verschiedenen Richtungen agierenden Willen und ihrer mannigfachen Einwirkung auf die Außenwelt ist eben die Geschichte. Es kommt also auch darauf an, was die vielen Einzelnen wollen. Der Wille wird bestimmt durch Leidenschaft oder Überlegung. Aber die Hebel, die wieder die Leidenschaft oder die Überlegung unmittelbar bestimmen, sind sehr verschiedener Art. Teils können es äußere Gegenstände sein, teils ideelle Beweggründe, Ehrgeiz, ‚Begeisterung für Wahrheit und Recht‘, persönlicher Hass oder auch rein individuelle Schrullen aller Art. Aber einerseits haben wir gesehn, dass die in der Geschichte tätigen vielen Einzelwillen meist ganz andre als die gewollten – oft geradezu die entgegengesetzten – Resultate hervorbringen, ihre Beweggründe also ebenfalls für das Gesamtergebnis nur von untergeordneter Bedeutung sind. Andrerseits fragt es sich weiter, welche treibenden Kräfte wieder hinter diesen Beweggründen stehn, welche geschichtlichen Ursachen es sind, die sich in den Köpfen der Handelnden zu solchen Beweggründen umformen?“
In seiner Schrift „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“ gibt uns Friedrich Engels einen sehr nützlichen Hinweis zum Verständnis, wie sich das individuelle Handeln mit den gesellschaftlichen Interessen vermittelt. Das bietet einen Ansatz, die komplizierte Gemengelage zu verstehen, vor der wir bei der Analyse der Entwicklungstendenzen des deutschen Monopolkapitals stehen.
Überlegungen und Leidenschaften
In den oberen Etagen der Bankentürme und Konzernzentralen wird es wohl niemanden geben, der Lenins Imperialismus-Schrift gelesen hat. Niemand dort wird bewusst nach Maximal- und Monopolprofit, nach Konzentration oder der Neuaufteilung der Welt streben. Diese Interessen setzen sich vermittelt durch notwendige Mikroplanung und ideologische Verblendung durch: Mit Marktanalysen werden Absatzmöglichkeiten erörtert, mittels Werbung sollen sie verbessert werden. Die Konkurrenz wird genauestens beobachtet, mit Absprachen werden Profite gesichert, durch Preiskampf Konkurrenten aus dem Markt gedrängt. Den vielfältigen Ausgaben werden mögliche Erlöse gegenübergestellt, es wird genauestens geplant, wo gespart werden kann, um den Gewinn zu erhöhen – je größer der Konzern, desto intensiver diese Planung. In abgespeckter Form müssen sich auch die kleinen Bauern und Handwerker diesen Fragen stellen: Erlöse ich aus dem eingesetzten Geld das erwartete?
Die Antwort gibt allerdings erst der Markt – erst dort wird die produzierte Ware wieder zu Geld. Dabei hat der Kapitalismus nicht nur den Weltmarkt geschaffen, sondern mit dem Übergang zum Monopolkapitalismus diesen Markt massiv verzerrt: Die Monopole sind in der Lage, den Markt zu ihren Gunsten zu manipulieren. Sie können Standards diktieren, kleinere Marktteilnehmer verdrängen, Innovationen vorantreiben oder bremsen. Sie geraten dadurch in Widerspruch zu allen nicht monopolistischen Kapitalisten. Diese streben danach, sich gegen das Monopolkapital zu behaupten, bestenfalls sogar ebenfalls ins Monopolkapital aufzusteigen, oder sie können Nischen besetzen. In der Regel müssen sie sich jedoch damit abfinden, einen Teil ihrer Profite an die Monopole abzugeben, die ihre einzigen Abnehmer sind und so die Konditionen bestimmen.
Atomkraftwerke und Waschmaschinen
Dadurch wird die Akkumulation oder Anhäufung von Geld in immer weniger Händen massiv vorangetrieben, Macht und Kontrolle der Konzerne über immer größere Bereiche der gesellschaftlichen Produktion steigen ebenfalls. Das führte in der geschichtlichen Entwicklung zu riesigen Mischkonzernen. Der Siemens-Konzern etwa stellte Atomkraftwerke und Hausgeräte her, baute Lokomotiven und Telefone oder Industrieanlagen und Glühbirnen. Wer aber seine neue Waschmaschine vom Siemens-Konzern haben möchte, hat Pech. Auf der steht zwar noch der Markenname, sie kommt aber seit 2014 vom Stuttgarter Bosch-Konzern. Die Monopole verkaufen und kaufen Unternehmen, um aus dem eingesetzten Geld möglichst viel Gewinn zu schlagen. Deshalb hatten Bosch und Siemens ihre Hausgeräteproduktion schon 1967 zusammengelegt. 1982 übernahm man gemeinsam die Marke Neff, zudem Unternehmen in Griechenland, Spanien und Slowenien. 1994 folgten ein Joint Venture in China sowie Übernahmen in Brasilien und der Türkei. Um die Jahrtausendwende wurde ein Werk in den USA gegründet, später dann ein Werk in Russland.
Das Tochterunternehmen des Bosch-Konzerns (91,3 Milliarden Euro Umsatz) erzielte 2023 14,8 Milliarden Euro Umsatz. In einer Pressemitteilung erklärte der Vorstand: „Geopolitische Krisen, eine weltweit angespannte Wirtschaftslage und ein damit einhergehend stagnierender globaler Hausgerätemarkt stellten schwierige Rahmenbedingungen dar.“ Im Kerngebiet Europa soll deshalb die „Kostensituation im Fokus“ gehalten werden, um gleich darauf das Personal zu erwähnen. Auch auf den Märkten in den USA und China gab es 2023 Umsatzeinbrüche. Durch den Wirtschaftskrieg gegen Russland stehen die dortigen Fabriken unter Zwangsverwaltung.
Weltweit wurden also weniger Hausgeräte verkauft und die Antwort des Konzerns ist: Wir müssen über Personalabbau nachdenken. Er hat in der Tat keine andere Möglichkeit im Konkurrenzkampf. Er muss versuchen, seine Anteile am kleiner werdenden Markt zu verteidigen, da sie ihm sonst von anderen weggeschnappt werden. Die vielen tätigen Einzelwillen erzeugen andere Resultate als die erwarteten. Sie stürzen den Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase damit in seine allgemeine Krise.
Resultante
Der Übergang ins imperialistische Stadium erzeugt auch neue Aufgaben des Staates. Die herrschende Klasse wird immer kleiner und verschärft durch ihr Handeln die Widersprüche gegenüber dem gesamten Rest der Gesellschaft. Die ideologische Einbindung und die Unterordnung aller anderen Klassen und Schichten unter die Interessen der absoluten Minderheit wird daher noch entscheidender. Für den Bedarfsfall muss der Staat die notwendigen Repressions- und Machtmittel zur Verfügung stellen, um die Herrschaft zu sichern – nicht nur im nationalen Rahmen, sondern auch international. Er muss seinen Monopolen den Zugang zum Weltmarkt sichern, sie bei der Ausplünderung der nicht imperialistischen Länder unterstützen und natürlich den Kampf im Sinne der Monopole gegen die anderen imperialistischen Länder führen. In unserer Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus muss der Staat die Herrschaft der Monopole auch im Weltmaßstab gegen die sozialistischen Staaten sichern.
Auch ökonomisch wird der Staat zunehmend gebraucht. Nach wie vor benötigen die Monopole die Infrastruktur, für die sie nicht selbst zahlen wollen, genauso wie die Reproduktion der Arbeiterklasse. Ironischerweise braucht daher der Neoliberalismus, der das Heraushalten des Staates aus dem Markt predigt, dessen Eingreifen an allen Ecken und Enden. Ständig greift der Staat ein, nicht nur in Krisen, um Banken zu retten oder mit Abwrackprämien die Autoindustrie zu unterstützen. Die Prämisse lautet immer: Gewinne privatisieren, Kosten und Verluste vergesellschaften.
Der Staat muss also die Einzelwillen der Monopole bündeln, sie vermitteln mit den Einzelwillen der restlichen Bourgeoisie und den Werktätigen überstülpen. Das geschieht nicht durch einfache Übertragung und Aufsummierung, sondern durch das Agieren der staatlichen Kräfte, damit sich als „Resultante“ das Interesse der herrschenden Klasse durchsetzt.
Willen und Klasseninteresse
Dabei ist das Interesse des Monopolkapitals in sich widersprüchlich. Einigkeit herrscht in der Herrschaftsabsicherung. Aber beim gemeinsamen Interesse aller Monopole nach Erzielung von Maximalprofit tauchen entscheidende Widersprüche auf, die im Imperialismus nicht anders als nach der ökonomischen und politischen Stärke gelöst werden können. Hierzu zählt etwa der Wille von Hausgeräteherstellern, die Löhne zwar im eigenen Laden möglichst niedrig zu halten, gesamtgesellschaftlich aber ein solches Einkommensniveau zu sichern, dass ihre Waschmaschinen auch gekauft werden können. Das gilt noch mehr für die Handvoll Handelsmonopole, die ihren Gewinn über den Verkauf von Lebensmitteln, Kleidung und sonstigen Konsumgütern erlösen. Das gilt allerdings umso weniger für Konzerne, die auf den Export ihrer Waren orientiert sind.
Die Aussicht auf die größten Profite steuert im Kapitalismus die Verteilung des Kapitals auf die unterschiedlichen Bereiche der Produktion. Da aber mit der Ausweitung der Produktion immer mehr investiert werden muss, sind die einzelnen Konzerne in ihrem Willen eingeschränkt. Die Bosch-Hausgeräte-Tochter könnte mit ihren 37 Fabriken und 60.000 Beschäftigten nicht von heute auf morgen auf Rüstungsproduktion umstellen. Das Kapital ist also in gewissem Umfang gebunden und somit der Wille der Konzerne eingeschränkt.
Mit dem drohenden Hegemonieverlust des Imperialismus und dem Aufstieg Chinas stellen sich sowohl für die einzelnen Konzerne als auch für die imperialistischen Staaten neue Herausforderungen. Die Einzelwillen müssen vermittelt werden mit dem Gesamtinteresse des Machterhalts des Imperialismus, aber auch dem Ausbau der eigenen Positionen im innerimperialistischen Kampf.
Die Analyse der Widersprüche im Monopolkapital bleibt unsere Aufgabe. Es gilt vor allem herauszuarbeiten, ob eine Fraktion im deutschen Monopolkapital eine bestimmende Rolle beim Übergang vom Neoliberalismus zur Kriegswirtschaft übernimmt. Damit wäre die Arbeiterklasse in der Lage, im Kampf um den Frieden auch Risse im herrschenden Lager zu nutzen.