Die Sicherung und Gewinnung von Fachkräften wird nur dann erfolgreich sein, wenn in den betroffenen Tätigkeitsfeldern gute Arbeitsbedingungen vorherrschen. Hohe Arbeitsbelastungen, geringe Entwicklungschancen oder niedrige Einkommen sind für viele Beschäftigte der Grund, warum sie ihren Beruf wechseln oder bestimmte Berufe gar nicht erst ergreifen.“ Mit dieser einfachen wie richtigen Analyse hebt sich die neueste Untersuchung des DGB-Index „Fachkräfte: Gute Arbeit“ positiv von den jüngsten Verlautbarungen aus Wirtschaft und Politik zum Dauerthema Fachkräftesicherung ab.
Glaubt man deren Aussagen, ist die zentrale Ursache des angeblich über alle Branchen hinweg verbreiteten Fachkräftemangels – neben der Legende von den „nicht ausbildungsreifen Jugendlichen“ – der vielbeschworene demographische Wandel. Um das Problem zu lösen, hat man die passende Lösung parat: Die Menschen müssen länger arbeiten. So will die Bundesregierung im Rahmen des zu Beginn des Monats vorgestellten „Wachstums-pakets“ Beschäftigte mit „finanziellen Anreizen“ dazu bewegen, über das eigentliche Renteneintrittsalter hi-naus erwerbstätig zu bleiben. Nicht erwähnt wird, dass längst über eine Million Rentner weiterhin arbeiten, um so ihre oft kärgliche Rente aufzubessern.
Dem Präsidenten des Unternehmerverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, geht das nicht weit genug. Er hält einen Renteneintritt erst mit 70 Jahren für Menschen – zunächst mit Schreibtischjobs – für zumutbar. Dies wäre ein wirkungsvolles Mittel gegen den Fachkräftemangel und würde den Standort stärken, machte er im SWR-Videopodcast „Zur Sache – intensiv“ deutlich.
Von der Ideologie zurück zu den Fakten. Tatsächlich wird seit einigen Jahren in Deutschland für verschiedene Berufsgruppen ein Mangel an Fachkräften festgestellt. So prognostiziert das Fachkräftemonitoring für das Bundesministerium Arbeit und Soziales (BMAS) für das Jahr 2026 Engpässe bei der Rekrutierung von Fachkräften. Jedoch nicht – wie aus der Politik und von Unternehmerverbänden behauptet – über alle Branchen hinweg, sondern lediglich in 36 von 140 Berufsgruppen.
Im oben zitierten DGB-Index wurde nun die Arbeitsqualität exemplarisch für sechs dieser Mangelberufe untersucht. Weder bei der Klempnerei, beim Metallbau, der Krankenpflege, bei Lehrern und Erziehern noch bei Informatikberufen ließen sich die Ursachen für den Mangel an Fachkräften monokausal mit dem angeführten demographischen Wandel erklären. Stattdessen verweisen die Autoren auf eine Reihe von Faktoren, wie den mit dem Klimaschutz verbundene Strukturwandel oder die voranschreitende Digitalisierung. Darüber hinaus werden sogenannte „Passungsprobleme“ zwischen dem Bedarf an Fachkräften und den Berufswünschen der Beschäftigten sowie ein „Mismatch“ (Nichtübereinstimmung zum Beispiel von Qualifikation und Anforderung) am Arbeitsmarkt genannt.
Außerdem machen die DGB-Experten deutlich, dass die Fachkräfteengpässe nicht nur ökonomische Folgen haben. Sie betreffen ebenfalls die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, die aufgrund des Personalmangels zusätzlich höheren Belastungen ausgesetzt sind. Dies führt schließlich dazu, dass gesellschaftlich notwendige Güter und Dienstleistungen nicht mehr im erforderlichen Umfang bereitgestellt werden.
Um den Fachkräfteengpässen entgegenzuwirken ist aus Sicht des DGB eine Reihe von Maßnahmen nötig. Investitionen in Aus- und Weiterbildung, der Ausbau von Betreuungsangeboten, die geschlechtergerechte Neuaufteilung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Sorgearbeit, die Förderung benachteiligter Personengruppen am Arbeitsmarkt und eine funktionierende Einwanderungspolitik sind hier wichtige Stichpunkte. Doch all diese Maßnahmen werden nicht nachhaltig wirksam sein, wenn in den betroffenen Tätigkeitsfeldern schlechte Arbeitsbedingungen vorherrschen. Daher sind eine gute Arbeitsqualität mit gesundheitsverträglicher Arbeitsbelastung, angemessene Bezahlung, vereinbarkeitsfreundliche Arbeitszeiten grundlegende Voraussetzung für die Fachkräftesicherung und Fachkräftegewinnung. Hier stößt man jedoch bei den Verantwortlichen aus Wirtschaft und Politik auf taube Ohren.