Nein, es geht nicht darum, den Brexit rückgängig zu machen. Fünf Jahre nach dem britischen Austritt aus der EU ist in der Bundesrepublik der Unmut darüber, dass sich ein Land den deutschen Ordnungsplänen für den europäischen Kontinent entzogen hat, immer noch virulent. Premierminister Keir Starmer ist um engere Beziehungen zur EU und ihren stärksten Mitgliedstaaten bemüht. Er hat im Januar Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Anfang Februar dann Bundeskanzler Olaf Scholz auf seinem Landsitz Chequers empfangen, schließlich Anfang vergangener Woche gar an einem EU-Sondergipfel teilgenommen. Na, da will er Britannien bestimmt durch ein Hintertürchen wieder in die so arg vermisste Union integrieren, hört und liest man in Deutschland immer wieder. Trifft das zu? Nein.
Bei ihren Bemühungen um eine engere Zusammenarbeit mit der EU geht es der britischen Regierung zum einen darum, die gemeinsame Frontstellung gegen Russland auf Dauer festzuklopfen. Eine lange gewachsene Gegnerschaft zu Russland ist, sieht man von weltkriegsbedingten Ausnahmen ab, mehr oder weniger eine traditionelle Konstante in der britischen Außenpolitik. Da sich die Vereinigten Staaten in Zukunft stärker denn je auf ihren großen Machtkampf gegen China konzentrieren werden, wird es für London noch wichtiger, die EU fest an seiner Seite zu haben. Die britische Regierung prescht mit ihren Sanktionen gegen Russland immer weiter voran, hat Mitte Januar ein protziges Abkommen mit der Ukraine geschlossen, das die militärische und ökonomische Zusammenarbeit festigen soll – laut Starmer für die nächsten 100 Jahre. Sie zieht selbst die Entsendung von Truppen zur Sicherung eines Waffenstillstands an eine künftige Demarkationslinie zwischen der Ukraine und Russland in Betracht. Starmer wirbt bei der EU dafür, sich an all dem zu beteiligen.
Darüber hinaus wünscht die Labour-Regierung eine Ausweitung der Kooperation in der Rüstungsindustrie. Bilateral hat Starmer eine solche bereits mit Deutschland angestoßen, im Trinity House Agreement vom Oktober vergangenen Jahres. Unter anderem sollen gemeinsam Mittelstreckenwaffen entwickelt und in der Bundesrepublik stationiert werden – gerichtet, na klar, gegen Russland. London sucht die Zusammenarbeit einerseits, um dank gemeinsamer Herstellung Geld zu sparen, andererseits, um britischen Waffenschmieden den Rüstungsmarkt der EU wieder zu öffnen. Beides drängt umso mehr, als die Labour-Regierung mit der angekündigten Aufstockung des Rüstungsetats auf 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu kämpfen hat; die Spielräume für die britische Rüstungsindustrie sind daher nicht so groß wie gewünscht.
Nicht zuletzt geht es Starmer um wirtschaftliche Belange. Der britische Export ist bis vor zwei Jahren, unterbrochen nur durch die Covid-19-Pandemie, trotz des Brexits kontinuierlich gewachsen, nicht so sehr der Export in die EU, vor allem derjenige in andere Weltregionen. Seit Ende 2022 schwächelt er allerdings. Der Gedanke liegt nahe, es nun mit der Ausweitung der Ausfuhr in die EU zu versuchen. Die Labour-Regierung plädiert unter anderem dafür, die gewaltige Menge an Bürokratie, die bei Lieferungen aus Britannien in die EU anfällt, doch ein wenig zu reduzieren. Sie strebt dazu eine Einigung auf der Grundlage gemeinsamer Standards an, wie sie etwa mit der Schweiz und Neuseeland schon besteht. Zudem will sie besseren Zugang zur EU für britische Dienstleister, etwa Finanzexperten oder Rechtsanwälte. Kein Interesse hat Britannien, die Forderung der EU nach Visafreiheit für EU-Bürger unter 30 Jahren zu erfüllen: Die Einwanderung nach Britannien befindet sich aktuell auf Rekordniveau; die Immigration aus Afrika und aus Asien hat diejenige vom europäischen Kontinent mehr als ersetzt.