Wolkenverhangener Himmel Anfang Juli, gute Gelegenheit, ins Museum zu gehen. Erster Tag der Ausstellung „Was sind das für Zeiten?“. George Grosz, Bertolt Brecht und Erwin Piscator zusammen in einer Ausstellung im „Das Kleine Grosz Museum“ in Berlin-Schöneberg, nahe der Potsdamer Straße. Erst 2022 eröffnet, hat sich dieses private Museum bereits mit der ersten Ausstellung „George Grosz in der Sowjetunion“ zum 100-Jährigen dieser Reise einen Namen gemacht. Von der Bülowstraße trete ich ein in eine Oase der Ruhe mitten im quirligen Berlin. Ein langer Teich mit ausgewachsenen Zierfischen im Café-Außenbereich des kleinen Museums, das in Jahrzehnten davor irgendwann einmal eine Shell-Tankstelle war. Es wurde privat von Liebhabern George Grosz’ finanziert und baulich hergerichtet. Die frühere Pkw-Waschhalle ist jetzt das Café, daneben ist ein kleiner einstöckiger Neubau mit zwei Ausstellungsräumen.
Im Eingangsbereich sehen wir eine Dauerausstellung über das Leben und Wirken von George Grosz, der hier in Schöneberg, wo sein Vater eine Gastwirtschaft führte, einen Teil seiner Kindheit verbracht hat. Bilder und Kohlezeichnungen, aber auch Schriften aus seinem Wirken sowohl in Berlin als auch in New York sind zu sehen – alles Originale. Die „Kleine Grosz-Mappe“ (1917) aus dem berühmten Malik-Verlag John Heartfields und seines Bruders Wieland Herzfelde ist zu sehen. Ebenso die Mappe „Mit Pinsel und Schere“, erste Collagen. Der Grosz-Liebhaber kommt hier voll auf seine Kosten. Eine große Wandinschrift macht uns klar, „Kunst als Parteiarbeit“ (Weimarer Republik) und zeigt, dass wir uns in einem politischen Museum befinden.
Zurück zum Titel der Ausstellung, der für die heutige politische Lage nicht unverständlich klingt. Aus einem Gedicht von Bertolt Brecht: „Was sind das für Zeiten, wo / ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist. / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ (An die Nachgeborenen, 1934/1938). Diese Ausstellung hat den Anspruch, die Zusammenarbeit und gegenseitige Wertschätzung von Bertolt Brecht, Erwin Piscator und George Grosz besonders in den 1920er und teilweise 1930er Jahren unter dann erschwerten Bedingungen bekannter zu machen. Immerhin, um die Ecke ist das heute noch existierende Gebäude des „Theaters am Nollendorfplatz“, der damaligen Piscator-Bühne. Erwin Piscator war einer der prägendsten Theaterregisseure des 20. Jahrhunderts. Die Zusammenarbeit der drei wird am recht unbekannten Brecht-Kinderbuch „Die drei Soldaten“ aufgezeigt. Von Grosz wurde das Büchlein illustriert, Piscator hat Anfang 1928 mit der Aufführung des Schwejk daraus eine hochpolitische Theateraufführung gemacht. Grosz fertigte bereits 1922 ein Bühnenbild zu Brechts Drama „Trommeln in der Nacht“ (ursprünglicher Titel: „Spartakus“ in Anlehnung an den Spartakus-Aufstand 1919, wie ihn die bürgerliche Geschichtsschreibung lange nannte), zuerst aufgeführt an den Münchner Kammerspielen. Es geht um Heimkehr eines Soldaten, der vier Jahre vermisst war und die Welt nicht wiedererkennt.
George Grosz erkannte früh die Gefahr der Machtübertragung an die Nazis. Er emigrierte 1933 und wurde bereits 1938 Bürger der USA und schrieb immer mal wieder eine Postkarte an seinen Freund Brecht in seinen wechselnden Exilorten. Brecht und Helene Weigel flohen nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 mit dem Morgenzug zunächst nach Prag. 1944 gestaltet Grosz mit „Cain, or Hitler in hell“ ein wuchtiges Ölgemälde mit einer armseligen Hitler-Figur, das wir in dieser Ausstellung im Original betrachten können. Grosz erlebt in den USA, die später auch Exilland Brechts wurden, ebenso wie er die staatliche Repression der McCarthy-Ära. Der Unterschied: Grosz bleibt, Brecht fliegt am Folgetag seines Verhörs vor dem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ Ende Oktober 1947 zurück nach Europa. Grosz kehrt erst im Mai 1959 – mitten im Kalten Krieg – zurück in seine alte Heimat, und zwar – er ist ja Schöneberger – nach Westberlin. Hier stirbt er einige Wochen später. Begraben liegt er auf dem Friedhof an der Heerstraße in Berlin-Charlottenburg nahe dem Olympiastadion.
Piscator als der dritte im hier konzipierten Bunde kommt in der Ausstellung etwas zu kurz. Erläutert wird etwa die neue Bühnentechnik der Piscator-Bühne mit erstmals elektrischem Laufrad. Sehr ausführlich dagegen werden wir in das Anti-Kriegs-Stück „Schwejk“ eingeführt. Ein gesprochener Ausschnitt von der Aufführung in der Piscator-Bühne: „Ham’s nur niemand um nichts keine Angst“, sagte Schwejk, „alles wird in Ordnung kommen. Hauptsache is immer, bei Gericht die Unwahrheit reden. Welcher Mensch sich drankriegen lässt, zu gestehen, der ist immer verloren. Aus dem wird nie was Ordentliches.“
Ebenfalls passend für unsere heutige Zeit wird am Ende der Ausstellung über Zensur in der Weimarer Republik informiert, die es dort eigentlich nicht geben darf. Die Mappen „Gott mit uns“ und „Ecce homo“ sowie „Hintergrund“ (Schwejk), alle im Malik-Verlag erschienen, werden wegen angeblicher Gotteslästerung und vor allem wegen der deutlichen Kritik am Krieg verboten. Geht man die Treppe runter zum Aufgang, muntert ein dadaistisch anmutender Spruch dazu auf, sich zurück nach draußen ins wolkenverhangene Berlin zu wagen: „Jede Farbe ist mir recht, Hauptsache sie ist grau“.
Was sind das für Zeiten?
Brecht, Grosz, Piscator
Das Kleine Grosz Museum, Bülowstraße 20, 10783 Berlin
Eintritt 10 Euro, ermäßigt 6 Euro, auch für Rentner, ohne Ausweiskontrolle