Was sagt und meint Lenin wirklich?

Von DKP Hamburg-Süd

Die u. E. falsche antimonopolistische Strategie im Leitantrag muss gründlich und offen diskutiert und schließlich im Interesse des Fortkommens der Partei zurückgewiesen werden. Zu einer sachlichen Debatte gehört Redlichkeit im Umgang mit Zitaten. Die im Leitantrag verwendeten Zitate Lenins aber sind leider völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Aus Platzgründen können wir dies nur an einem Zitat nachweisen*:

Der Leitantrag spricht in den Zeilen 846 – 859 von einer nächsten „Kampf­etappe“ nach der „Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt“. In dieser nächsten Etappe gehe es um die deutliche „Schwächung und Zurückdrängung“, aber „noch nicht um die endgültige Überwindung der Macht der herrschenden imperialistischen Großbourgeoisie“. Auch Lenin spräche von so einer Etappe, die „noch kein Sozialismus, aber schon kein Kapitalismus mehr“ sei.

Was sagt und meint Lenin in der Schrift „Die drohende Katastrophe“ von Mitte September 1917 unter der Überschrift „Kann man vorwärtsschreiten, wenn man Angst hat, zum Sozialismus zu schreiten?“ (LW Bd. 25, S. 371) wirklich?

Er spricht über die drohende Hungersnot in Russland in Folge von Krieg und Korruption. Er führt u.a. aus, dass eine der notwendigen Sofortmaßnahmen die Einführung einer allgemeinen Arbeitspflicht sei. Er fährt dann fort, wenn die Grundbesitzer und Kapitalisten (also vor einer Revolution) die allgemeine Arbeitspflicht einführen, dann wird sie „zwangsläufig zu einem Militärzuchthaus für die Arbeiter“. Wird dagegen „die allgemeine Arbeitspflicht durch die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten eingeführt, reguliert und gelenkt, ist das noch kein Sozialismus, aber schon kein Kapitalismus mehr.“

Es geht also um einem Zustand, in dem nicht die, wenn auch zurückgedrängten und geschwächten „Grundbesitzer und Kapitalisten“ die Staatsmacht innehaben, sondern die Sowjets der Arbeiter, Soldaten und Bauern. Eine von dieser neuen Staatsmacht umgesetzte Arbeitspflicht, so sagt er, wäre noch kein Sozialismus, (weil ja z.B. selbst das Privateigentum der Großbourgeoisie an den Produktionsmitteln noch fortbesteht) aber es wäre bereits „ein gewaltiger Schritt zum Sozialismus“.

Und, wie man von der einen Staatsmacht, der der Grundbesitzer und Kapitalisten zur anderen Staatsmacht der Sowjets kommt, die dann mit bestimmten Sofortmaßnahmen erste Schritte zum Sozialismus geht, sagt er wenige Zeilen davor:

„Der imperialistische Krieg ist der Vorabend der sozialistischen Revolution. Und das nicht nur deshalb, weil der Krieg mit seinen Schrecken den proletarischen Aufstand erzeugt … sondern deshalb, weil der staatsmonopolistische Kapitalismus die vollständige materielle Vorbereitung des Sozialismus, seine unmittelbare Vorstufe ist, denn auf der historischen Stufenleiter gibt es zwischen dieser Stufe und derjenigen, die Sozialismus heißt, keinerlei Zwischenstufen mehr.“ (Bd. 25, S. 370)

Klarer geht es kaum: Das Proletariat muss im Wege des Aufstandes einen neuen Typ der Staatsmacht (Sowjets) schaffen und dann beginnend mit Sofortmaßnahmen die Produktionsverhältnisse in Richtung Sozialismus verändern, denn (schon) im Russland des Jahres 1917 sind die materiellen Voraussetzungen für den Aufbau des Sozialismus vorhanden und ist eine Zwischenstufe zwischen Staatsmonopolkapitalismus und Sozialismus nicht denkbar.

Lenin stellt in der zitierten Schrift in der vorrevolutionären Situation des Herbstes 1917 eine Reihe von Übergangsforderungen auf. Dazu gehört neben der allgemeinen Arbeitspflicht vor allem die Beendigung des Krieges durch Angebot eines gerechten Friedens und Brot, durch von den Arbeitern kontrollierte Verteilung der Lebensmittel sowie Verstaatlichung der Banken und Syndikate. Brot und Frieden verknüpft er aber nicht mit einer weiteren Zwischenetappe nach der „Wende zu demokratischen und sozialen Fortschritt“, sondern mit der Machtfrage, also der Revolution. Beispielhafte Zitate, die diese Verknüpfung belegen: „Denn einzig und allein, wenn das Proletariat, an seiner Spitze die Partei der Bolschewiki, die Macht erobert, könnte … die Arbeit der demokratischen Organisationen für Ernährung … wieder in Gang gebracht werden.“ Oder: „Die volle Untersuchung“ „wird nur eine wahrhaft demokratische Regierung, die Regierung des Proletariats vornehmen können, wenn dieses die Macht erobert hat …“ (Bd. 25, S. 361 u. 363).

Zusammenfassend: Der Leitantrag will seinen antimonopolistischen Übergangsetappen mit scheinbar passenden Zitaten „Leninsche Weihen“ verleihen. In ihrem Zusammenhang betrachtet aber stehen die Zitate in völligem Gegensatz zur Strategie des Leitantrages und des Programms.

* Das betrifft die Schriften „Die drohende Katastrophe“ (LW Bd. 25, S. 331) und „Eine der Kernfragen der Revolution“ (beide von Mitte September 1917 (Bd. 25, S. 378) und natürlich „Staat und Revolution“, vom August/September 1917 (Bd. 25, S. 395).

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"Was sagt und meint Lenin wirklich?", UZ vom 10. November 2017



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