Viele linke Oppositionelle verlassen „Die Linke“. Wie geht es für sie weiter? Ein Gespräch mit Kathrin Otte.

Was nun?

Kathrin Otte ist Mitorganisatorin des „Was tun?!“-Netzwerks. UZ sprach mit ihr in Frankfurt am Main über ihren Austritt aus der Linkspartei, ihre Sicht auf die derzeitige Situation und die Zukunft von „Was tun?!“.

UZ: Du bist vor kurzem aus der Partei „Die Linke“ ausgetreten. Was hat für dich den Ausschlag gegeben?

Kathrin Otte: Ich habe mich lange bemüht, eine innerparteiliche oppositionelle Stimme mit aufzubauen. Dass die Linken innerhalb der „Linken“ nicht ausreichend zusammengearbeitet haben, hat mich immer gestört, und ich habe es als eine Variante des Sektierertums empfunden, das uns Sozialisten in der Geschichte ja schon genug gekostet hat. Teilweise sind die linken Strömungen sogar als Konkurrenten aufgetreten – ein Riesenfehler. Man hätte die Entwicklungen, die zum Niedergang dieser Partei geführt haben, längst gemeinsam aufs Korn nehmen müssen.

Mit dem Austritt der zehn Bundestagsabgeordneten wurde diese Diskussion auf andere Füße gestellt. Jetzt rücken das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die Partei, die daraus hervorgehen soll, in den Fokus. Es geht um ein neues Angebot an die Bevölkerung, das sich von den anderen Parteien abhebt. Auch und gerade von der AfD, die ja selbst ein Krisenphänomen ist und die potemkinsche Dörfer aufbaut, wenn sie so tut, als wäre sie gegen Aufrüstung oder für soziale Verbesserungen. Wir wissen, dass sie das nicht ist, aber bei der Bevölkerung kommt sie damit teilweise an.

Für mich war der Moment zum Austritt gekommen, als ich gesehen habe, dass das Bewusstsein dazu bei vielen gereift ist und viele andere es auch tun. Ich versuche ja durchaus, mich in einem kollektiven Prozess zu bewegen. Und für viele Genossinnen und Genossen stand fest: Wir müssen jetzt neue Wege gehen. Für mich ist auch im Rahmen von „Was tun?!“ der Aufbau eines Unterbaus im außerparlamentarischen Raum fundamental wichtig. Dafür wollte ich den Ballast meiner alten Partei loswerden, besonders nach der Performance in Augsburg.

UZ: Viele andere Mitglieder von „Was tun?!“ sind ebenfalls aus der „Linken“ ausgetreten, andere bleiben noch. Wie hast du die Stimmung auf dem Kongress wahrgenommen?

Kathrin Otte: Ich würde sagen: Entschiedener! Auf dem Kongress in Hannover vor einem halben Jahr war die Stimmung noch sehr darauf ausgerichtet, in der Linkspartei zu arbeiten und dort etwas zu bewegen. Inzwischen nehme ich diesen Anspruch, dort merkliche Veränderung zu erreichen, gar nicht mehr wahr. Auch diejenigen, die in der Partei bleiben, lehnen den derzeitigen Kurs entschieden ab, und ich finde es in gewissem Maße auch heroisch, dass sie noch drinbleiben wollen. So geht es mir auch, wenn ich der Kommunistischen Plattform zuhöre, die sagt: Wir sind seit 1990 hier und wir hatten nie eine Chance, uns durchzusetzen, aber wir können den politischen Diskurs beeinflussen. Genau das ist im Moment jedoch recht schwierig – ich will nicht sagen, kaum möglich.

Ich persönlich möchte meine Kräfte lieber auf den Aufbau einer breiten Bewegung gegen den Krieg und gegen den sozialen Krieg ausrichten. Ich arbeite mit an der Schaffung einer europäischen Organisation gegen den Krieg. Daran sind mittlerweile schon Gruppen aus 16 Ländern beteiligt. Es entstehen Anfänge einer konsequenten Friedenspolitik, die auch die Ursachen der Kriegstreiberei im Auge hat. Das brauchen wir. Das heißt aber nicht, dass die Menschen im Land nicht auf einer viel, viel breiteren Basis an eine Friedensbewegung anknüpfen könnten, zum Beispiel, weil sie dagegen sind, dass Geld letztlich aus ihren Taschen in diese Wahnsinns-Rüstungsprojekte fließt. Dabei wird die neue Partei eine wichtige Funktion haben, weil sie die parlamentarische Rolle spielt und die entsprechende mediale Aufmerksamkeit bekommt.

Das Kapital betreibt einen massiven Klassenkampf von oben. Das merken die Leute. Mir ist es wichtig, dass wir an diesem Bewusstsein arbeiten und ohne zu viel Wortgeklingel die Interessen der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen. Das muss emanzipatorisch passieren. Die Botschaft muss lauten: Kommt, macht mit, wo ihr könnt oder öffnet euch wenigstens für die Option, dass es wieder um euch gehen kann. Macht euch zum Subjekt eurer eigenen Angelegenheiten, vertretet eure eigenen Interessen.

UZ: Welche Rolle kann „Was tun?!“ dabei spielen?

Kathrin Otte: Unser Netzwerk könnte auch längerfristig ein kommunikativer Raum für Sozialistinnen und Sozialisten sein. Ein Ort, wo mit aufklärerischer Vernunft vorgegangen wird und wo wir wissen: Wenn wir politisch etwas bewegen wollen, dann müssen wir verstehen, wohin sich dieses ganze System bewegt. Eine solche Analyse wurde auf dem Kongress ja auch eingefordert. Das ist eine klare Aufgabe, der wir uns stellen können, zumal hier viele geschulte Marxisten aktiv sind.

Dann wird es aber schwieriger, wenn es um die Frage geht: Was macht man denn eigentlich zwischen zwei Parteien, links von der nach rechts gerückten „Linken“ und mit einem BSW, das den Sozialismus-Begriff nicht artikuliert? Ich glaube, dass wir diesen ganzen Begriffsapparat auch gar nicht so ausdrücken oder vor uns hertragen müssen. Wir müssen rausgehen und fragen: Wer will Frieden in diesem Land? Das ist die Mehrheit der Bevölkerung und es gibt ein wachsendes Bewusstsein unter denen, die merken, wie ­schmal ihr Portemonnaie wird. Was mich sehr freut ist, dass viele in dieser Situation sagen: Wir müssen Solidargemeinschaften bilden. Bis Oktober sind über 140.000 Beschäftigte in ver.di eingetreten. Ich glaube nicht, dass da eine große Liebe zu ve.rdi entbrannt ist, sondern dass es darum geht: Wo und mit wem kann ich meine Interessen durchsetzen?

Das ist eine Entwicklung, die meiner Meinung nach noch nicht ausreichend diskutiert wurde. Ich hoffe darauf, dass diese Vernunft, die in der Bevölkerung vorhanden ist, zu den richtigen Schlüssen führt und dazu, dass viele Menschen erkennen: Es geht um uns selbst. Das ist aber kein Automatismus. Die eigentlichen Fragen sind: Wer produziert? Wer profitiert? Das muss im Rahmen einer breiten Beteiligungskultur erarbeitet werden. In der Linkspartei gibt es diese Möglichkeit nicht. Dort ist eine grauenhafte Konkurrenzkultur ausgebrochen, die viele unterdrückerische, ja gängelnde Elemente hat und die autoritär sein muss, um den neuen Kurs durchzusetzen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich für richtig halte. Politik muss die große Mehrheit der Bevölkerung mitnehmen. Das hat „Die Linke“ längst versemmelt.

UZ: Wie geht es jetzt weiter?

Kathrin Otte: Natürlich können wir nicht in solchen Erwägungen oder in theoretischen Ausarbeitungen stecken bleiben. Wir haben die Aufgabe, mit der wieder wachsenden Friedensbewegung voranzugehen. Klar, sie wächst noch langsam. Doch man hat die 20.000 Menschen in Berlin gesehen. Das ist natürlich auch ein Verdienst des „Aufstand für Frieden“ im Februar. Aber dieses Mal haben Initiatoren aus der Friedensbewegung die Organisation selbst übernommen. Das ist ein Fortschritt, weil hier eine Basisorganisation entsteht, die Leute anziehen kann und ihre Kernbedürfnisse anspricht. Wir wollen nicht in den Krieg gezogen werden. Wir wollen nicht für den Krieg zahlen. Wir wollen unsere Kinder nicht in den Krieg schicken müssen. Das sind ja ganz elementare Ängste. Und sie sind berechtigt, wenn man das ganze Kriegsgeschrei von Pistorius, Münkler, Masala oder Mölling hört. Das ist auch Ausdruck einer Regierung, die sich vollständig über die Bevölkerung erhebt. Das wird ihr übelgenommen. Aber: Wo geht der Protest hin? Geht er nach links, geht er nach rechts? Wir müssen eine breite Friedensbewegung schaffen, die sich sowohl gegen den Krieg als auch gegen den sozialen Krieg stellt. Das ist unsere konkrete nächste Aufgabe.

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"Was nun?", UZ vom 8. Dezember 2023



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