Die geplante Novelle des Postgesetzes ist ein Angriff auf Arbeiter- und Verbraucherrechte

Was mehr Wettbewerb wirklich bringt

Tim Laumann

Das grün geführte Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat nach einem ausführlichen digitalen Austausch mit den verschiedenen „Akteuren“ im Sommer 2022 „Eckpunkte“ für eine Novelle des Postgesetzes vorgelegt. Diese Eckpunkte sind der Versuch, zwischen der Forderung nach „mehr Wettbewerb“ einerseits und einem „resilienten Postmarkt“ andererseits zu vermitteln. Sie lösen dabei keines der aktuellen Probleme der Postzustellung.

Wem nützt „mehr Wettbewerb“?

Der „Wettbewerb der Anbieter um Kundinnen und Kunden“ würde zu einer „hohen Qualität“ und zu „vielfältige(n) Innovationen“ führen, erklärt das BMWK. Andererseits sei Wettbewerb auch im Interesse der Beschäftigten, denn „Wettbewerbsverzerrungen in der personalintensiven Branche“ wirkten sich „häufig zu Lasten den Arbeitsbedingungen aus“.

Versorgung

Die Setzung, Wettbewerb würde sich positiv auf die Versorgung der Bevölkerung oder auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auswirken, ist dabei reine Ideologie. Zuerst am Beispiel der Zustellqualität: In den letzten Jahren wurde der Paketmarkt stark umkämpft. Zu den bisherigen „fünf großen Anbietern Deutsche Post DHL, DPD, GLS Germany, Hermes Logistikgruppe und UPS existiert eine Vielzahl weiterer kleiner Anbieter im Markt mit deutlich geringeren Sendungsmengen und Umsätzen“, stellte die Bundesnetzagentur in ihrem Jahresbericht 2019 fest. In den Jahren blieb diese Struktur bis auf den Einstieg von Amazon in die Zustellung im Wesentlichen unverändert, der Wettbewerb wurde schärfer. In genau dieser Zeit verzehnfachten sich die Beschwerden über Post und Paket bei der Bundesnetzagentur! Waren es 2014 noch 1.950 Beschwerden, so wurden es 2019 schon 18.209 Beschwerden, wie das Branchenportal „paketda“ zusammenfasst. Ein zunehmender Wettbewerb führt also keineswegs zu besserer Qualität.

Eine halbwegs gute Abdeckung brachte der Zwang der Universaldienstleistung zur Unterhaltung eines Filialnetzes (§ 2 Postuniversaldienstleistungsverordnung). Damit wird dem im Grundgesetz erkämpften Recht, das durch die Privatisierung bereits ausgehöhlt ist, am weitestgehenden entsprochen (Grundgesetz Artikel 87 f.). Das Problem der Versorgung ist hier, dass dieses Recht nicht eingehalten wird. Bereits 2006 äußerten Post-Manager gegenüber dem „Manager Magazin“ relativ offen ihre Ignoranz gegenüber den Rechten der Bewohner auf eine flächendeckende Versorgung: Man brauche keine Filiale für ein paar Briefmarken.

Dagegen wehren sich vor Ort Anwohner, kleine Selbstständige, hin und wieder auch Ortschaften mit Unterschriftenaktionen und Bürgerinitiativen, die gegen die Schließung von Postfilialen um ihr Recht kämpfen. Diese Bewegungen werden vom BMWK nicht einmal benannt, vielmehr verspricht man einen „digitalen Atlas“, in dem das dünner werdende Netz online angesehen werden kann.

Arbeitsbedingungen

„Gute Arbeitsbedingungen im Postbereich sind uns wichtig“, erklärt das BMWK, eine Kontrolle solle hier auch durch die Bundesnetzagentur erfolgen. Im Wesentlichen setzt die Vorlage aber auch hier auf den Wettbewerb: „Ein fairer, funktionsfähiger Wettbewerb ist nicht nur im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer, sondern auch im Interesse der Beschäftigten im Postsektor, weil sich Wettbewerbsverzerrungen in der personalintensiven Branche häufig zu Lasten der Arbeitsbedingungen auswirken.“

Das BMWK arbeitet hier schlicht mit einer Unterstellung: Mehr Wettbewerb führe zu guten Arbeitsbedingungen, Wettbewerbsverzerrungen zu schlechten. Diese Unterstellung hat keine Grundlage in der Realität. Die Beschäftigten im Post- und Paketbereich gehören zu den kurzfristig Ausgebildeten. Der Ausbildungsgang zur „Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen“ dauert zwei Jahre, ist also eine sogenannte Schmalspurausbildung. Neben diesen Kräften dominieren angelernte Arbeiter. Die Deutsche Post halbierte die Ausbildung und drohte sie nach einer Auseinandersetzung mit der Gesamt-Jugend-und-Auszubildenden-Vertretung um den Beginn des eigenständigen Einsatzes ganz zu streichen.

Dabei dient Amazon in der Branche als Prekarisierungstreiber, bei dem sowohl innerbetrieblich die Dequalifizierung Bestandteil der realen Subsumption der Arbeiter unter das Kapitalinteresse wird, als auch auf der „letzten Meile“, die bereits bei vielen anderen Paketdiensten von dem grassierenden Sub-Sub-Sub-Unternehmerwesen übernommen wurde. Das BMWK will deshalb „ein besonderes Augenmerk“ auf „intransparente Subunternehmerverhältnisse“ legen. Das hilft aber wenig: Sub- und Sub-Sub-Unternehmerstrukturen sind legal, sie sind Ausdruck des „Wettbewerbs“, an dem das BMWK ja festhalten will. Beide teilen das Interesse an möglichst billiger Zustellung – der Wettbewerb treibt also Löhne und Arbeitsbedingungen nach unten. Reale Verbesserungen bringen hier nur der gewerkschaftliche Organisationsgrad und die Aktivität der Arbeiter zur Verteidigung ihrer Rechte, Arbeitsbedingungen und Löhne.

Folgen dieses „Race-to-the-bottom“ sind:

  • „Die Beschäftigten in den Postdiensten (…) weisen mit insgesamt 30,6 AU-Tagen je beschäftigtes Mitglied (in der Betriebskrankenkasse BKK, aus deren Bericht hier zitiert wird, TL) die meisten krankheitsbedingten Fehlzeiten auf“, „wobei Frauen (35,6 AU-Tage) mit deutlichem Abstand vor Männern (25,0 AU-Tage) liegen.“
  • Die Nr. 1 belegt die Post auch in der Rubrik Verletzungen und Vergiftungen: „Wie auch im Vorjahr weisen die Postbediensteten – und von denen besonders die Frauen – die meisten stationären Behandlungstage von allen Wirtschaftsgruppen auf.“
  • Bei den Krankenhausaufenthalten: „An der Spitze stehen auch hier die Postdienste mit 434 AU-Tagen je 100 Beschäftigten.“
  • Bei den Medikamentenverschreibungen: „Den weiblichen Beschäftigten der Postdienste (…) werden im Wirtschaftsgruppenvergleich die meisten Tagesdosen an Arzneimitteln verordnet.“
  • Nicht zu vergessen die psychischen Belastungen: „Überdurchschnittlich hohe Tagesdosen bei verordneten Antidepressiva (No6A) sind (…) bei den Postdiensten zu finden.“
  • Bei Erkrankungen, die vornehmlich infolge von körperlichen Fehlbeanspruchungen auftreten: „Die meisten Fehltage aufgrund von Muskel- und Skeletterkrankungen (1.032 AU-Tage je 100 beschäftigte Mitglieder) sind wiederum bei den Postdiensten zu finden.“

Die Dimension der Folgen durch massive Ausbeutung tritt heute nicht öffentlich zutage: Die BKK wurde in die Barmer aufgelöst und die hier zuständige Berufsgenossenschaft Postdienste in die größere für den Verkehr aufgenommen. Die Zahlen werden also schlicht nicht mehr erhoben.

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"Was mehr Wettbewerb wirklich bringt", UZ vom 21. April 2023



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