Es war ein klarer Wintertag, als man sich am 11. November 2017 im Marx-Engels-Zentrum Berlin traf. Das Thema lautete: „Linke diskutieren über Domenico Losurdos Buch: ‚Der Klassenkampf oder die Wiederkehr des Verdrängten?‘“
Für das Zentrum stellte Marianna Schauzu Domenico Losurdo vor. Der italienische Philosoph und Historiker gilt als einer der weltweit bekanntesten marxistischen Theoretiker. Seine Bücher erscheinen in Frankreich, Spanien, Lateinamerika, natürlich in Italien, aber auch in China und Japan. Und auch bei uns wird Losurdo immer bekannter. Nicht weniger als 30 Titel von ihm sind bereits auf Deutsch erschienen.
Anliegen und Entstehung des „facebook-Losurdo-Lesekreises“, welcher ein Initialfunke der Veranstaltung war und aus dem immerhin sechs Mitglieder anwesend waren, wurde von Michaela Sohn dargestellt. Ohne Bildung gleite der Mensch leicht in das bürgerliche Lager ab, Losurdo sei immer des Lesens und Berlin immer eine Reise wert, so lautete ihr Statement.
Pablo Graubner ging in seiner Präsentation auf Losurdos Kritik der „binären Lesart“ des Klassenkonflikts ein. Diese Lesart lege das Kommunistische Manifest so aus, als hätte Marx die menschliche Entwicklungsgeschichte als nur durch einen einzigen Widerspruch bestimmt beschrieben. Eine historisch-theoretische Wiederaufnahme der Marx-Lektüre zeige aber, dass Marx und Engels den Klassenkampf nicht in „Reinform“, sondern durch Verschränkung interner und internationaler Konflikte entwickeln. Abschließend schlug Graubner vor, diesen dialektischen Klassenkampfbegriff auf die heutige kapitalistische Gesellschaft anzuwenden, die auf nationaler und internationaler Ebene vom Widerspruch zwischen nicht-monopolistischem Volk und monopolkapitalistischer Herrschaft geprägt sei.
Andreas Wehr, Jurist und Autor, hielt ein Impulsreferat zu „Nationale Befreiung und Abschaffung der Sklaverei als Bestandteile des Klassenkampfs“. Der Begriff „Klassenkampf“ wird heute vielfach allein auf Kämpfe in der Arbeitswelt reduziert. Würde man unter Linken eine Umfrage durchführen, was sie unter ihm verstehen, so würde man hören, dass er sich allein in Streiks, Aussperrungen, Gewerkschaftsdemonstrationen, Betriebsbesetzungen und dergleichen zeigt, nicht aber im gleichzeitigen Kampf gegen die nach Losurdo „drei großen Diskriminierungen“, die da sind: Soziale Stellung, Rassen- bzw. Geschlechtszugehörigkeit. Auch das Ringen um nationale Befreiung wird meist nicht im Kontext von Klassenkampf gesehen. Mit seinem Buch verfolgt Losurdo aber das Ziel, den Terminus „Klassenkampf“ wieder in das Zentrum sozialistischer Strategie zu rücken, ihn dorthin „zurückkehren“ zu lassen. Zur Rekonstruktion des Klassenkampfbegriffs verweist er dazu auf die ganze Breite der marxistischen Theorie, die neben den klassischen ökonomischen Texten auch die vielfältigen politischen Interventionen von Marx und Engels – etwa ihr Eintreten für den irischen und den polnischen Befreiungskampf im 19. Jahrhundert – umfasst.
In der Diskussion wurde der Klassenkampf durchaus vielfältig gesehen. Das anfangs schwierige Gelände lichtete sich, als gefragt wurde: Wem nutzt was? So hilft ein positiver Nationalismus gegen die Unterdrückung und Ausbeutung eines ganzen Volkes. Die Privilegierung der Kernarbeiterschaft in Teilen Europas durch die Ausbeutung von Peripherieländern schwächt hingegen den Widerstand der hiesigen Arbeiterschaft.
Um das Ziel der Befreiung aller Menschen von Ausbeutung und damit einhergehender Diskriminierung geht es aber auch in der Frauenfrage. Dabei wurden in der Diskussion die Erfolge der DDR zu ihrer Lösung hervorgehoben. Doch auch wenn wir das nicht gerne hören, auch unter sozialistischen Bedingungen waren es die Frauen, die fast ausschließlich die Hausarbeit und Kinderbetreuung erledigten.
Das Seminar wurde als rundum gewinnbringend bewertet. Für diejenigen, die daran ohne Kenntnis des Buches von Losurdo teilnahmen, stellte es einen starken Anreiz dar, es nun endlich auch zu lesen.