Was folgt diesmal auf die Große Koalition?

Ein Kommentar von Ulrich Sander

Vor 50 Jahren nahm die NPD einen Aufschwung wie heute die AfD.

Ende der 60er Jahre erreichte die NPD einen ähnlichen Aufstieg wie heute die AfD. Sie stand kurz vor dem Einzug in den Bundestag. Die Verhinderung der NPD als Bundestagspartei war ein historischer Sieg der Demokratie. Die Geschichte wäre anders verlaufen, hätten die antifaschistischen Kräfte nicht die NPD für lange Zeit in die Bedeutungslosigkeit gedrängt.

Ulrich Sander

Ulrich Sander

Denn CSU-Strauß und CDU-Kiesinger und starke Teile der Union, die bis 1969 mit der SPD in der Großen Koalition waren, wollten endlich wieder allein regieren, waren dazu aber nicht in der Lage. Sie schmiedeten daher Pläne mit der NPD.

Die Nationaldemokratische Partei (NPD), eine neofaschistische und kriegstreiberische Organisation, von alten Nazis gegründet und geführt, gefördert von den reaktionären Kräften in der BRD, hatte 1965 bei den Bundestagswahlen zwei Prozent der Stimmen erhalten. Die Landtagswahlen 1966 brachten dieser neofaschistischen Partei einen beträchtlichen Stimmenzuwachs. Sie konnte Wahlerfolge von durchschnittlich acht Prozent, zum Teil bis zehn Prozent erzielen. 48 NPD-Abgeordnete gab es bereits in sechs von zehn Landtagen, 179 Abgeordnete in Kreis- und Gemeindeparlamenten.

Die Massenmedien, Radio-, Fernsehen und Presse, beruhigten das erschreckte Volk – und das Ausland. Sie verbreiteten Berichte des Bundesinnenministeriums, das die rechte Gefahr verharmloste und die „Hoffnung“ aussprach, „dass es den demokratischen Kräften in der NPD“ gelingen möge, „die Partei in eine zwar nationalkonservative, aber doch der freiheitlichen Grundordnung unserer Verfassung verpflichtete Richtung zu führen“.

Die Wirtschaftsgewaltigen und reaktionären Kräfte in der BRD betrachteten die NPD bereits als Reserve für den Fall, dass die große Koalition auseinanderbricht. Mangels Migranten sah die NPD in den Gewerkschaften und den Linken ihren Hauptfeind, zudem strebten sie vehement nach Veränderung der Nachkriegsgrenzen. Sie war – wie heute die AfD – eine zum Krieg bereite Partei.

Franz Josef Strauß erklärte 1967 als Minister der großen Koalition, „dass eine Koalition mit der NPD nicht für alle Zeiten ausgeschlossen“ sei. Der Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) hatte laut Berliner Morgenpost vom 28.2.1967 selbst die NPD ins Spiel gebracht, als er über die Bundestagswahlen 1969 äußerte, dass, „falls keine der großen Parteien die absolute Mehrheit erringt, eine kleine Koalition, jedoch mit der NPD möglich“ sei.

Der Bundeskongress der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes im Juli 1969 hatte die Hauptlosung „Die Einigung der demokratischen Kräfte versperrt der NPD den Weg in den Bundestag“ herausgegeben. Alle Veranstaltungen, Gedenkfeiern, Infostände und Diskussionen waren geprägt von der Mobilisierung der Öffentlichkeit gegen NPD und Neonazismus. Diese Mobilisierung wurde von den Gewerkschaften und den Jugendverbänden unterstützt. Hunderttausende von jungen Menschen haben zusammen mit den alten Widerstandskämpfern in allen Städten und Ländern der BRD in hervorragender Weise die Demokratie gegen die organisierten Rechtskräfte verteidigt. Sie haben die Losung der VVN wahrgemacht und 1969 der NPD den Weg in den Bundestag versperrt. Aber immerhin bekam diese 4,9 Prozent der Stimmen.

Die Große Koalition konnte nach dem Willen der Wähler nicht mehr fortgesetzt werden. Zum ersten Mal seit 1948 war die CDU/CSU von der Regierungstätigkeit im Bonner Bundeshaus ausgeschaltet.

Heute ist es offensichtlich, dass es ohne diese Zurückdrängung der NPD keine Regierung unter Willy Brandt gegeben hätte, auch keine Politik der Entspannung.

Die Abwehr der NPD war nicht leicht. Die großen Kundgebungen, Gegendemonstrationen, Verhinderung der Aufmärsche der Neonazis waren überall mit Schlägereien der militanten Neonazis verbunden. Antifaschisten erzwangen z. B in Duisburg, dass die NPD eine geplante Kundgebung absagen musste. Der sozialdemokratische Polizeipräsident von Duisburg, Hans Jürgensen, urteilte daraufhin in einer Presseerklärung vom 2.10.1969:

„Wenn die Mittel und Methoden auch nicht immer zu billigen waren, so haben die meist jugendlichen Gegendemonstranten doch das Verdienst, den Bürgern unseres Landes die Gefahr des Rechtsradikalismus sehr deutlich vor Augen geführt zu haben. Wo andere von politischer Auseinandersetzung nur geredet haben, haben sie gehandelt. Unsere Jugend müsste ja geradezu seelisch krank sein, wenn sie nach all den Erfahrungen, die wir in Deutschland mit einem extremen Nationalsozialismus gemacht haben, nicht leidenschaftlich gegen das Aufkommen eines neuen Nationalismus eintreten würde …“

Wenn es gelungen ist, die NPD unter fünf Prozent zu halten, dann soll man sich bei denen bedanken, die nicht müde wurden, den wahren Charakter der NPD aufzuzeigen: Dadurch wurde sie daran gehindert, Masseneinfluss zu erlangen.

Die Prognosen und Wahlergebnisse der heutigen AfD weisen eine ähnliche Stärke auf, wie sie seinerzeit die NPD hatte. Aus jener Zeit gilt es die Lehren zu ziehen und alle Kraft der Friedens-, Gewerkschafts- und Antifabewegungen auf das Ziel zu richten, den Einzug der AfD in den Bundestag zu verhindern. Noch besteht die Chance wie Ende der 60er Jahre, und sie muss genutzt werden. Es hat keinen Zweck, sich auf die Schwüre der Unionsparteien: „Nie mit der AfD“ zu verlassen. Die AfD-Führung wies in der Wahlnacht nach den jüngsten Landtagswahlen vieldeutig darauf hin, dass es wieder eine bürgerliche Mehrheit gäbe. Die AfD wird Kreide fressen und sich als Partner der Union andienen, und diese wird nicht abgeneigt sein, wenn es darauf ankommt, einen scharfen Rechtsschwenk vorzunehmen, wenn sie nur Kriegskurs und Demokratie- wie Sozialdemontagen fortsetzen kann. Eine internationale Ablehnung einer deutschen Ultrarechts-Mitte-Koalition, wie sie noch 1969 seitens des Auslandes erfolgt wäre, bliebe übrigens diesmal aus; man betrachte nur all die fürchterlichen Entwicklungen in Nachbarländern rundum.

Alle Chancen, mit einer Mehrheit links von der CDU und einem Politikwechsel eine Wende in Deutschland zu vollziehen, dürften dann für sehr lange Zeit zunichte gemacht sein.

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"Was folgt diesmal auf die Große Koalition?", UZ vom 6. Mai 2016



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