28. Juni 2022

Was bisher geschah

Politiker lügen, Medien hetzen, die Propagandamaschine läuft. Während manche Ereignisse jahrelang hochgekocht werden, sollen andere in Vergessenheit geraten. Einmal im Monat schauen wir an dieser Stelle zurück, lesen alte Nachrichten erneut und prüfen, was daraus geworden ist.

Ein paar Konstanten gibt es in der deutschen Politik. Am letzten Juniwochenende des Jahres 2022 hatten sich die Mitglieder der schon damals mächtig erschütterten „Linken“ zum Bundesparteitag in Erfurt getroffen, um handstreichartig und gekonnt die Weichen für den weiteren Niedergang zu stellen. Gäste aus Russland und der Ukraine durften vom „russischen Faschismus“ erzählen und einen „Sieg der Ukraine“ fordern. Nachdem dann auch noch ein Parteivorstand ohne Beteiligung des (damals noch existierenden) Wagenknecht-Lagers oder der (heute noch leidenden) „Sozialistischen Linken“ zusammengewählt worden war, bimmelte das Totenglöcklein ziemlich laut.

Doch vermutlich war es nicht dieses Geräusch, das eine Gruppe Polizisten in der 500 Kilometer entfernten belgischen Provinz aufweckte. Nur zwei Tage nach dem Drama von Erfurt, am 28. Juni, erfuhr die deutsche Öffentlichkeit, dass auf dem NATO-Stützpunkt Kleine Brogel ein Drogenlabor gefunden worden war. Dort, wo nach Angaben belgischer Politiker „10 bis 20“ US-Atomsprengköpfe gelagert sind, hatten ein paar pfiffige Geschäftsleute Ecstasy hergestellt. Das geschehe im Grenzgebiet häufiger, ließ uns der „Spiegel“ wissen – damals offenbar noch nicht ganz auf der Höhe der Kriegsberichterstattung.

Die Nachricht wurde schnell zur Randnotiz, denn am gleichen Tag freute sich der bürgerliche Blätterwald über die Ankündigung einer heute fast schon in Vergessenheit geratenen Kriegsministerin namens Christine Lambrecht (SPD). Soeben waren nach offiziellen Angaben die ersten schweren Waffen aus Deutschland in der Ukraine eingetroffen: sieben Panzerhaubitzen. Nun sollte es drei weitere für den Krieg gegen Russland geben. „Damit gehe ich schon an die absolute Grenze dessen, was verantwortbar ist“, so Lambrecht. Diese eher zurückhaltende Rhetorik ging alsbald flöten, ebenso wie die Ministerin, die nach einem missglückten Silvestervideo und vor allem aufgrund ihrer „Zögerlichkeit“ ein halbes Jahr später aus dem Amt gejagt wurde.

Geblieben ist Annalena Baer­bock (Grüne) – noch so eine unvermeidbare Konstante. Die zeigte sich am gleichen Tag auf „Twitter“ (heute X) „tief betroffen“. „Unsere gemeinsamen Werte, Humanität und Menschenrechte, gelten auch an unseren Grenzen“, schrieb sie, nachdem (wieder einmal) über illegale „Pushbacks“ in Griechenland und 20 Tote am Grenzzaun der spanischen Exklave Melilla berichtet worden war. „Das Leid ermahnt uns, dass wir in der #EU bei der Asyl- und Migrationspolitik noch einen weiten Weg vor uns haben“, hieß es weiter.

Dieser „weite Weg“ ist mittlerweile geschafft. Mit tatkräftiger Unterstützung der grünen Partei wurde das EU-Asylsystem im folgenden Jahr weiter geschliffen und Haftlager an den Außengrenzen beschlossen. Die Entscheidung bedeutete, „dass selbst Kinder hinter Stacheldraht eine neue Normalität werden sollen, wenn sie mit ihren Familien für die Asylgrenzverfahren an den Außengrenzen festgesetzt werden“, erklärte die rechtspolitische Sprecherin von „ProAsyl“, Wiebke Judith. Baer­bock bezeichnet den „Kompromiss“ hingegen als „dringend notwendig und längst überfällig“. Inzwischen fordert ihre Regierung „Abschiebeoffensiven“, prüft ganz offiziell das sogenannte Ruanda-Modell für Deutschland und will Asylverfahren in Drittstaaten abwickeln – wohlwissend, dass das den endgültigen Bruch mit der Genfer Flüchtlingskonvention bedeutet.

In der vergangenen Woche berichtete die BBC, dass die griechische Küstenwache Geflüchtete in beschädigten Booten aufs offene Meer zurückgedrängt habe. In anderen Fällen seien Menschen mit Kabelbindern gefesselt und ins Meer geworfen worden. Dazu schweigt Baer­bocks X-Account bislang – offenbar lernt sie dazu.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Was bisher geschah", UZ vom 28. Juni 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit