Die steuerliche Kehrseite des Kurzarbeitergeldes

Warum vielen eine Nachzahlung droht

Von Thomas Ewald-Wehner

Millionen Kurzarbeiter werden in der Krise das erste Mal Kontakt mit dem Finanzamt haben und dieser Erstkontakt wird nicht erfreulich sein. Wer 2020 Kurzarbeitergeld bezogen und bereits eine Steuererklärung für das letzte Jahr abgegeben hat, konnte bereits diese Erfahrung machen: Wo früher mit einer Steuererstattung zu rechnen war, wird dieses Mal zu einer Steuernachzahlung „eingeladen“.

Woran liegt das? Das Kurzarbeitergeld wird ungekürzt ausgezahlt, es ist grundsätzlich eine steuerfreie Einnahme, fällt jedoch – gemäß § 32 b (1) Nr. 1 a EStG – unter „Progressionsvorbehalt“. Das gilt auch für den Bezug von Arbeitslosengeld I, Krankengeld, Elterngeld und so weiter – also für alle „Lohnersatzleistungen“. Dieser Bezug führt letztendlich zu einem höheren Steuersatz, weil bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes die Kurzarbeitergeld-Einnahmen mit einbezogen werden. Der so ermittelte Steuersatz wird auf das zu versteuernde Einkommen ohne das Kurzarbeitergeld angewendet.

Das Kurzarbeitergeld wirkt sich also nur auf den Steuersatz aus, der so zu einer höheren Steuer führt. Je höher die Einnahmen sind, umso höher ist auch – unter Einbezug des Kurzarbeitergeldes – die Steuerlast. In der Regel ist es also ratsam, finanziell Vorsorge treffen: Grob geschätzt liegt die wahrscheinliche Steuernachzahlung bei etwa 12 bis 15 Prozent des Kurzarbeitergeldes. In der Regel werden diese Steuernachzahlungen auch nicht gestundet.

Ob diese mögliche Nachleistung (also Steuernachzahlung) minimiert werden kann, muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Das Kurzarbeitergeld wird durch den „Arbeitgeber“ in der elektronischen „Lohnsteuerbescheinigung 2020“ (Position Nr. 15) bescheinigt. „Arbeitnehmer“ werden sogar steuererklärungspflichtig, wenn die Lohnersatzleistung (zum Beispiel das Kurzarbeitergeld) im Jahr 2020 mehr als 410 Euro betrug. Das bedeutet: Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung! Das Finanzamt verfügt über Zwangsmittel (zum Beispiel Zwangsgelder), um die Erklärungsabgabe einzufordern.

Dazu ein Blick zurück: 1982 wurde unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) eine Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik eingeleitet. Zu diesen Maßnahmen gehörte auch der Abbau einiger Steuervergünstigungen. Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, Schlechtwettergeld und auch das Kurzarbeitergeld wurden erstmals in die Einkommensbesteuerung über den „Progressionsvorbehalt“ einbezogen. Damit wurden diejenigen, die einen Teil des Jahres nicht oder nicht voll beschäftigt waren, höher besteuert – damit reagierte die Bundesregierung auf die zunehmende Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig wurden Verbrauchsteuern auf Tabakwaren, Sekt und Alkohol erhöht – also die sozial ungerechten „indirekten“ Steuern. Zahlreiche andere „Sparbeschlüsse“ belasteten die lohnabhängig Beschäftigten, so dass zum Beispiel die IG Metall kritisierte, dass die sozialliberale Koalition „mit einem Mähdrescher“ über die sozialen Leistungsgesetze hinweggefahren sei.

Eine sinnvolle Forderung im Bundestagswahlkampf wäre, die Anwendung des „Progressionsvorbehaltes“ für die Jahre 2020 und 2021 auszusetzen – entweder nur bezogen auf das Kurzarbeitergeld oder für alle Lohnersatzleistungen –, um das akute Steuerproblem vieler Millionen Beschäftigter in den Blick rücken.

Individuell können „Arbeitnehmer“, die bisher keine Steuererklärung abgegeben haben, Steuererklärungen bis 31.12.2021 für die letzten vier Jahre abgeben. Für die Jahre 2017, 2018 und 2019 kann man sich die Steuererstattungsansprüche daraus mit der Steuernachzahlung 2020 verrechnen lassen. Das muss beim Finanzamt beantragt werden (Stundung der Steuer 2020 und Verrechnung mit den Steuererstattungsansprüchen der Vorjahre). Eine Stundung für eine etwaige Steuernachzahlung 2020 wird nicht gewährt, weil der „Arbeitnehmer“ alle Kreditmöglichkeiten ausschöpfen muss, um die Steuer zu begleichen. Da lassen die Finanzämter nicht locker.

Die Besteuerung der vielen Kurzarbeiter macht kenntlich, in welchem Maße die arbeitenden Menschen – spätestens nach den Bundestagswahlen – mit Forderungen seitens der Kapitalseite und der Regierenden in der Krise zu rechnen haben. In der Debatte sind bereits die Rente mit 70 – wie zu Zeiten Kaiser Wilhelm II. –, erhöhte CO2-Verbrauchsteuern, eine sozial ungerechte, „indirekte Steuer“ und weiterer Sozial​staatsabbau.

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"Warum vielen eine Nachzahlung droht", UZ vom 16. Juli 2021



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