Die „Neue Züricher Zeitung“ (NZZ) vom 22. Januar zeigt einen bisher völlig unterbelichteten Aspekt in die Panzerlieferdebatte an die Ukraine auf: Das Zögern der deutschen Regierung, Zustimmung zu Panzerlieferungen zu geben, sei dem Konkurrenzkampf zwischen deutscher und amerikanischer Rüstungsindustrie geschuldet. „Der Ukraine-Krieg bietet den USA gerade die Gelegenheit, nach Helikoptern, Kampfjets und Raketen nun auch mit Panzerfahrzeugen auf dem europäischen Rüstungsmarkt Fuß zu fassen und die deutsche Konkurrenz zu verdrängen.“ Und: „Aus der deutschen Rüstungsindustrie ist die Sorge zu hören, dass die Amerikaner nur darauf warteten, den Europäern für ihre Leopard-Lieferung Ersatz durch eigene Panzer zu offerieren.“
Wenn der US-amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin die deutsche Regierung drängt, die Genehmigung zur Lieferung von Leopard 2 in die Ukraine zu erteilen, dann muss er „auch amerikanische Interessen im Blick haben“, so die „NZZ“. Die deutsche Bundeswehr und auch andere westliche Armeen haben in der Vergangenheit ihre Kapazitäten stark abgebaut. Wenn sie nun ihre „ohnehin zu wenigen Kampfpanzer“ an die Ukraine abgeben sollen, brauchten sie Ersatz – so die US-amerikanische Logik. Die deutsche Panzerindustrie hat die Panzerproduktionskapazitäten verringert und von „industrieller Fertigung auf Manufakturarbeit“ umgestellt. Sie kann nun nicht schnell genug liefern. Von der Produktion des Panzerstahls bis zur Übergabe der Fahrzeuge vergehen mitunter zwei Jahre. In diese Lücke drohe nun die US-amerikanische Rüstungsindustrie zu stoßen, so der Tenor in der „NZZ“. Gibt Scholz nach und genehmigt Panzerlieferungen in die Ukraine, so schadet er deutschen Interessen.
Die Wahl eines Panzermodells ist eine langfristige Bindung. Die Ausbildung und das Training der Soldaten, die Infrastruktur für Wartung und Reparatur, die Versorgung mit Ersatzteilen – das alles lässt sich nicht von heute auf morgen von einem Panzertyp auf den anderen umstellen. Wer einmal im Geschäft ist, bleibt es auf Jahrzehnte. Wer einmal aus dem Geschäft raus ist, bleibt für lange Zeit draußen.
Federführend dabei ist die „Defence Security Cooperation Agency“ (DSCA, Agentur für Sicherheitskooperation im Verteidigungsbereich), die dem US-Verteidigungsministerium untersteht. Sie hat die Aufgabe, andere Staaten davon zu überzeugen, US-amerikanische Waffen zu kaufen. Das Ziel besteht darin, Staaten nachhaltig an die USA zu binden und wirtschaftliche Abhängigkeiten zu schaffen. Das hat fünf Vorteile für die amerikanische Regierung und Rüstungsindustrie: Staaten mit den gleichen Waffen sind leichter in USA-geführte Militärkoalitionen einzubinden. Vermehrte Waffenkäufe führen zu höheren Stückzahlen und niedrigeren Kosten. Das Pentagon muss für seine Waffen weniger zahlen. Und die US-amerikanische Rüstungsindustrie kann durch die zusätzlichen Einnahmen in die Entwicklung neuer Waffen investieren. Das stärkt nicht nur ihre Kapazitäten, es steigere auch „unsere Fähigkeit, das tödlichste Militär der Welt zu bleiben“, so die DSCA.
So ist es nicht verwunderlich, dass Scholz fordert, die Produktion von Waffen und Munition auszuweiten, und der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil einen „Pakt mit der Rüstungsindustrie“ vorschlägt. In den USA zählt man bereits zusammen, was die Lieferungen an die Ukraine einbringen könnten: von 21,7 Milliarden US-Dollar ist die Rede.
Unsere Autorin ist Sprecherin des Bundesausschusses Friedensratschlag