Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Gründung des Netzwerks Cuba – informationsbüro – e. V. hat Frank Schwitalla, Mitglied des Vorstands des Netzwerks, in einem Vortrag auf die Geschichte dieses Zusammenschlusses diverser Kuba-Solidaritätsgruppen in der BRD zurückgeblickt. Wir dokumentieren seinen Vortrag hier, redaktionell bearbeitet und leicht gekürzt.
In meinen Ausführungen zur Geschichte des Netzwerks beschränke ich mich auf die Gründungsphase und die ersten Jahre. Das waren die wichtigsten Etappen für die Herausbildung und Entwicklung des Netzwerks. Die Entwicklungsphase kann ich abkürzen, weil sie in dem Buch „Solidarität – 20 Jahre Netzwerk Cuba“ von Heinz Hammer und mir ausführlich dargestellt wird. Dazu zeige ich Fotos aus der Geschichte des Netzwerks Cuba. Zunächst möchte ich kurz die Situation in Erinnerung rufen, die 1993 zur Gründung des Netzwerks Cuba geführt hat.
Schwierige Ausgangslage
Der Sozialismus in Europa war gerade zusammengebrochen, die Konterrevolution hatte gesiegt. Die UDSSR gab es nicht mehr. Für viele linke und fortschrittliche Menschen war es ein Schock, eine Zäsur in ihrer Biografie. Viele dieser Menschen waren solidarisch mit der kleinen sozialistischen Insel in der Karibik: Kuba.
Kuba war Teil der sozialistischen Wirtschaftsgemeinschaft RGW gewesen, die es nicht mehr gab. 85 Prozent des Handels waren für Kuba weggebrochen. Eine beispiellose wirtschaftliche Krise erfasste die Insel. Am 29. August 1990 rief Fidel Castro die „Sonderperiode in Friedenszeiten“ aus. Sie sollte ihren Tiefpunkt erst Jahre später erreichen.
In dieser dramatischen Situation stellte sich also für die Freundinnen und Freunde Kubas weltweit die Frage, was denn wie zu tun sei. Für sie stand fest: Kuba muss überleben!
In der BRD gab es im Westteil die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba schon seit 1974 als überregionale Organisation, im Ostteil, Cuba sí, 1991 gegründet. Dazu gab es viele unabhängige regionale Gruppen und Initiativen, die zum Teil aus anderen Zusammenhängen stammten. Viele dieser Gruppen hatten sich die Frage gestellt, mit der dieser Vortrag überschrieben ist. So kam es zu einem ersten Treffen im Mai 1991 in Leipzig.
Das zweite Treffen dieser Art fand vom 31. Januar bis zum 2. Februar 1992 in Darmstadt statt. Bei diesem Treffen wurde aus der AG Öffentlichkeitsarbeit erstmals ein Vorschlag entwickelt, der eine ganz neue Qualität beinhaltete. Aus dem Bericht der AG: „Aus der Frage heraus, wie Informationen zu Kuba und über die Solidaritätsarbeit optimal gesammelt, organisiert und verbreitet werden können, wurde die Gründung einer Informationsstelle vorgeschlagen… Aufgrund der besonders kritischen Situation, die für dieses Jahr zu erwarten ist, und des gegenwärtig negativen Bildes Kubas in den meisten Medien, diskutierte die AG über die Gestaltung eines Kongresses mit internationaler Beteiligung als Gegenöffentlichkeit.“
Hier also entstand die Initiative zur Gründung einer zentralen Informationsstelle und der Durchführung „eines Kongresses mit internationaler Beteiligung“.
Internationaler Cuba-Kongress
Der Internationale Cuba-Kongress fand am 23. Mai 1992 in Bonn statt. In nur vier Sitzungen innerhalb zweier Monate wurde der Kongress vorbereitet. Da lief nicht alles reibungslos, schließlich kamen hier Gruppen zusammen, die vorher noch nie intensiv zusammengearbeitet hatten. Dennoch war die Zusammenarbeit von Solidarität und gegenseitigem Respekt geprägt.
Der Erfolg des Kongresses war überwältigend. 1.150 Teilnehmer und viele internationale prominente Rednerinnen und Redner kamen. Dazu viele Grußadressen. Die wichtigste kam aus Kuba, am Abend vor dem Kongress, von Fidel persönlich.
Nun das entscheidende Zitat aus der Abschlusserklärung des Kongresses:
„Kuba hat viele Freundinnen und Freunde in der Welt, in Lateinamerika und anderswo. Auch in der EG und der BRD müssen wir die Solidarität gegen die zunehmenden Angriffe auf Kuba verstärken. Deshalb fordert der Kongress den Trägerkreis auf, in Zusammenarbeit mit den Initiativen der Kuba-Solidarität eine Infostelle Kuba aufzubauen, um eine raschere Verbreitung von Informationen aus und über Kuba sowie über die jeweiligen Aktivitäten innerhalb der Kuba-Solidarität zu erreichen.“
Damit war der Grundstein gelegt für die Schaffung des späteren Netzwerks Cuba.
Viele offene Fragen
Auf dem Nachbereitungstreffen des Trägerkreises Cuba-Kongress wenig später wurde der Startschuss gegeben für die Vorbereitung der Gründung einer Infostelle Kuba.
Der Trägerkreis traf sich insgesamt noch sechsmal mit jeweils rund 20 Personen, die weitgehend Neuland betraten. Entsprechend bunt und zum Teil widersprüchlich waren die Vorstellungen, die sie mitbrachten.
Sollte das Netzwerk eine klassische NGO werden? Sollte Parteigruppen erlaubt werden, Mitglied zu werden? Wie soll das Ganze finanziert werden? Soll es überhaupt ein eingetragener Verein werden? Welche Aufgaben soll die Stelle haben? Wie hält man es mit Hauptamtlichen? Wer soll das tun und wie bezahlt werden? Wie soll die gewünschte Unabhängigkeit gewahrt bleiben? Diese und viele weitere Fragen mussten beantwortet werden.
Nun gab es einerseits die objektive Notwendigkeit, möglichst schnell zu Ergebnissen zu kommen, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, und andererseits bei den meisten die Einsicht, dass die Klärung der Grundsatzfragen darüber entscheiden würde, ob das gemeinsame Projekt langfristig tragfähig sein würde. Glücklicherweise setzte sich die kollektive Weisheit mit der Erkenntnis durch, dass die Fundamentlegung ausreichend Zeit beanspruchen müsse.
So dauerte es noch einige Zeit und Sitzungen bis zur Einladung zur Gründungsversammlung des Netzwerks Cuba – informationsbüro – e. V., für diesen Namen hatte sich die Vorbereitungsgruppe einstimmig entschieden, am 13. Juni 1993. Mit rund 30 Anwesenden wurde der Verein mit 13 Organisationen gegründet, Satzung und Geschäftsordnung ebenso einstimmig verabschiedet, wie ein erster Vorstand gewählt.
Drei Grundpfeiler
Ich möchte drei Dinge hervorheben, die unverzichtbar waren und sind für das Bestehen des Netzwerks Cuba:
Es herrschte von Anfang an bei allen Beteiligten völlige Übereinstimmung über das Grundprinzip „Eine Organisation – eine Stimme“, das 30 Jahre als Basis für die gleichberechtigte Zusammenarbeit, unabhängig von personeller Größe oder Finanzstärke, diente – und dient.
Von Anfang an bestimmte ein weiteres Prinzip die gemeinsame Arbeit, nämlich das der Konsenssuche. In der Regel wurden unterschiedliche Positionen, die es in so einem heterogenen Zusammenschluss natürlich geben kann, so lange diskutiert, bis gemeinsam tragfähige Kompromisse gefunden wurden. Mehrheitsentscheidungen bildeten die absolute Ausnahme.
Natürlich gab und gibt es bei den Mitgliedern durchaus politisch-ideologische Differenzen in allgemeinen Fragen. Es ist das bleibende Verdienst aller Beteiligten, dass all diese Differenzen zugunsten des gemeinsamen Anliegens, der solidarischen Unterstützung des revolutionären Kubas, in der praktischen Zusammenarbeit weitgehend ausgeschlossen wurden.
An die Arbeit
Ich möchte von einigen Aktivitäten aus den ersten Jahren des Netzwerk berichten, weil sie zeigen, mit welcher Kraft, Mut, Entschlossenheit, Begeisterung und Erfolgen die Solidaritätsbewegung mit dem Netzwerk Cuba startete.
Schon vor der Netzwerkgründung war aus der Vorbereitungsgruppe der Vorschlag für eine bundesweite Solidaritätsdemonstration entstanden. Zu diesem Zweck hatte es schon am 15. Mai 1993 ein separates Vorbereitungstreffen gegeben. Ziel war es, unsere Anklage gegen die Blockade und deren Unterstützung durch die Bundesregierung auf die Straße zu bringen.
In einem Bündnis, das weit über die Mitgliedsgruppen des gerade gegründeten Netzwerks Cuba hinausreichte, wurde die Demonstration dann in mehreren Sitzungen vorbereitet. Mit rund 2.500 Teilnehmern war diese Aktion am 16. Oktober 1993 sehr erfolgreich. Die Abschlusskundgebung endete in Sichtweite der kubanischen Botschaft.
„Granma Internacional“
Schon seit vielen Jahren gab es damals den Wunsch, „Granma Internacional“ auch auf Deutsch erscheinen zu lassen. Bis dato erschien sie auf Spanisch, Englisch, Französisch und Portugiesisch. Die Entwicklung der Solidaritätsbewegung setzte dieses Vorhaben auf die Tagesordnung.
Nachdem die Voraussetzungen geschaffen waren, konnten am Rande des Europatreffens der Kuba-Solidarität im Dezember 1993 die letzten Festlegungen mit allen Beteiligten (Kommunistische Partei Kubas, Netzwerk Cuba, Kubanisches Institut der Völkerfreundschaft (ICAP) und Verlag) getroffen und Verträge unterzeichnet werden. Am 17. Mai 1994 gab es dann die erste deutsche Ausgabe der „Granma Internacional“.
Solidaritätskarawane 1994
Eines der größten Projekte des Netzwerks Cuba war die bundesweite Solidaritätskarawane 1994. Die größte, weil sehr viele Menschen beteiligt waren, die Kampagne mehrere Monate dauerte und eine enorme Masse an Material gespendet und nach Kuba verschifft wurde.
Bei dem erwähnten Europatreffen gab es eine Zusammenkunft mit Lucius Walker von den Pastoren für Frieden, die schon mehrere Solidaritätskarawanen von den USA aus nach Kuba organisiert hatten. Ziel dieser Karawanen war, neben der Sendung humanitärer Hilfsgüter, die völkerrechtswidrige Blockadepolitik anzuklagen und nebenbei zu umschiffen. Walker schlug nun eine europäische Karawane „Ein Schiff für Kuba“ vor.
Einen Monat später, auf dem 4. Bundestreffen der Kuba-Solidarität, wurde darüber ausführlich diskutiert und das Projekt beschlossen. Leider kam es aus verschiedenen Gründen nicht zu einer europäischen Karawane, aber es wurde trotzdem daran festgehalten und gleich begonnen, dafür zu mobilisieren.
Ein paar Zahlen:
Bis zum 1. Oktober 1994 erhielt dieser Aufruf 727 Unterstützungserklärungen. Bis Anfang August gab es 30 regionale Kontaktadressen, an denen beispielsweise Spenden abgegeben werden konnten. Die Unterstützung kam aus sehr vielen Bereichen unserer Gesellschaft, ganz neue Kontakte konnten geknüpft werden.
Am 30. September 1994 machte sich die Karawane mit den Hilfsgütern auf den Weg nach Bremen, von wo aus die Spenden verschifft werden sollten. Die Bremer Solidaritätsgruppe hatte im Hafen alles vorbereitet. Sechs Container standen zum Beladen bereit, und die Kollegen vom Hafenbetrieb sorgten für einen reibungslosen Ablauf im Hafen. Es war beeindruckend, was da alles ankam: Über 140 Tonnen Hilfsgüter im Wert von ca. 5 Millionen D-Mark, viele Fahrzeuge, darunter zwölf Busse.
Unsere kubanischen Compañeros waren beeindruckt. Bei der Ankunft des ersten Schiffes im Hafen von Havanna gab es eine Kundgebung, auf der der Vertreter der Bremer Solidaritätsgruppe im Namen und Auftrag des Netzwerks Cuba sprach. Es gab sogar einen kurzen Beitrag in den kubanischen Hauptnachrichten.
Weltweite Aktionswoche gegen die Blockade
Auf dem ersten Welttreffen der Kuba-Solidarität 1994 wurde eine weltweite Aktionswoche gegen die Blockade im Oktober 1995 beschlossen.
Das 5. Bundestreffen im Mai 1995 beschloss eine zweite bundesweite Solidaritätsdemonstration gegen die Blockade, die am 7. Oktober 1995 unter dem Motto „Die Blockade gegen Kuba muss sofort beendet werden“ in Berlin stattfand.
Der Aufruf des Netzwerks Cuba zur Demonstration wurde im Vorfeld von zahlreichen Organisationen unterstützt, und mehrere tausend Menschen beteiligten sich an der Demo.
Wichtige Aktionen
Ich möchte noch kurz einige wichtige Aktionen des Netzwerks auflisten:
- Organisation des und Beteiligung am Europäischen Kuba-Solidaritätskongress vom 23. bis 24. Juni 2001 in Berlin, auf dem der damalige Vorsitzende des Netzwerks eines der Hauptreferate hielt
- Organisation des 16. Europatreffens der Kuba-Solidarität vom 9. bis 11. November 2012 in Berlin
- Mitarbeit in der Organisationsgruppe der #UnblockCuba-Kampagne
- Gründung des Komitees ¡Basta Ya! zur Befreiung der Miami 5 unter dem Dach des Netzwerks.
Zurück zum Anfang
Kommen wir gedanklich zum Anfang zurück, zum Jahr 1991 und der damaligen Frage, wie und womit wir Kuba unterstützen können. Ich hoffe, dass diese kurzen Ausführungen gezeigt haben, dass es der Solidaritätsbewegung in der BRD gelungen ist, Formen und Inhalte zu finden, die diesem Ziel dienten und dienen. Ich glaube sagen zu können, dass wir erfolgreich gemeinsam gekämpft haben und mit unseren bescheidenen Mitteln Kuba unterstützen konnten.
Unsere kubanischen Compañeros haben zumindest immer wieder die Bedeutung der deutschen Solidaritätsarbeit und die Tatsache des Vorhandenseins eines Netzwerks hervorgehoben – das ist ziemlich einzigartig.
Zum Schluss möchte ich noch einen Punkt hervorheben, der für das 30-jährige Bestehen des Netzwerks Cuba essentiell war und ist. Eine Sache, die José Martí, also Kuba, uns gelehrt hat – ein Wort: Einheit.
Ich hatte schon erwähnt, dass es im Netzwerk Cuba unterschiedliche politisch-ideologische Positionen zu vielen Fragen gibt. Wir kennen aus der Geschichte gerade linker Gruppierungen, wie schnell es zu Spaltungen kommen kann. Tatsächlich ist in manchen Ländern der politische Graben zwischen einzelnen Kuba-Solidaritätsgruppen derartig tief, dass deren Mitglieder nicht miteinander sprechen, geschweige denn arbeiten.
Dass es uns, einem großen Teil der Solidaritätsbewegung in der BRD, gelungen ist, diesen Gedanken der Einheit – nur zusammen sind wir effektiv – 30 Jahre lang umzusetzen und einzuhalten, ist ein großer Erfolg. Er zeugt von der Reife der Mitglieder und deren Willen unbedingter Solidarität mit Kuba. Wir dürfen nicht vergessen: Das Netzwerk an sich ist gar nichts. Es lebt nur mit und durch seine Mitgliedsgruppen, Förderern und Freunden. Dafür auch am heutigen Tage vielen Dank!
Enden möchte ich mit dem Fazit der Autoren des Buches über die ersten 20 Jahre des Netzwerks Cuba:
„Das Netzwerk Cuba – informationsbüro – e. V. hat sich in die Annalen der nationalen und internationalen Cuba-Solidaritätsbewegung eingetragen und nimmt dort einen ehrenhaften Platz ein. Nicht nur, wie im vorliegenden Fall, als Objekt historischer Betrachtungen, sondern zugleich als handelnde Subjekt. Es gibt also keinen Grund, sich auszuruhen – der Kampf geht weiter.“
Das gilt heute erst recht. Kuba befindet sich wieder in einer tiefen Krise, vergleichbar mit der Spezialperiode in den 1990er Jahren. Damals haben wir den richtigen Weg gefunden und unsere Anstrengungen verstärkt.
Diese Reife und den Willen unbedingter Solidarität brauchen wir auch jetzt wieder.