Es gibt wohl kaum einen Umstand, der Bahnkunden mehr verärgert als unpünktliche Züge. Hinzu kommen nicht nutzbare Toiletten, nicht funktionierende Klimaanlagen oder kaputte Kaffeemaschinen und nicht gelieferte Dinge für das Bordrestaurant. Manchmal – wenn der Zug pünktlich fährt – sind es die Anschlüsse an andere Verbindungen. Oder noch schlimmer: Der Zug fährt pünktlich ein und es kommt die Durchsage, dass es zu Verzögerungen kommt, da das Begleitpersonal nicht an Bord kann, weil es in verspäteten Zügen sitzt. Das alles sind auch nur die Dinge, die nach außen zu sehen sind. Von reisenden Kolleginnen und Kollegen ist inzwischen häufiger zu hören, dass sie es vermeiden, als Eisenbahner im Zug erkennbar zu sein, da sonst die Bahnkunden eine Diskussion anfangen.
Natürlich gibt es viele Verspätungsgründe, die dem Konzern nicht anzulasten sind und die in der Öffentlichkeit stark unterschätzt werden, wie Suizide, Polizeieinsätze oder extreme Witterung. Dennoch hat man das Gefühl, als würde die Situation immer schlimmer, obwohl der Konzernvorstand der DB AG in der Vergangenheit diverse Projekte angeschoben hat, um die Ursachen für die Störungen im Betriebsablauf zu ergründen. Der Schein trügt auch nicht. In dem in der letzten Woche veröffentlichten „Brandbrief“ der Konzernleitung erklärt der Bahnvorstand selbst, dass die Pünktlichkeit im Fernverkehr weiter abgerutscht ist und damit schlechter ist als bei Projektstart für mehr Pünktlichkeit vor einigen Jahren. Das Räderwerk der Bahn ist gehörig gestört.
Der „Brandbrief“ der Konzernleitung macht zunächst mal das Versagen des Managements deutlich, wenn trotz der Analyse von Fehlern keine Verbesserungen eintreten. Es ist keine neue Erscheinung, denn Interessenvertretungen stellen immer wieder fest, dass zentrale Maßnahmen in der Umsetzung scheitern, da sie vor Ort nicht ankommen. Wenn jetzt der Konzernvorstand selbst feststellt, dass operative Schwächen nicht gemeistert werden und die Bahnunternehmen nicht wie erforderlich zusammenarbeiten, dann wird dadurch ein sehr grundlegendes Problem deutlich: Die durch die sogenannte Bahnreform begonnene Zerteilung der ehemals einheitlichen Bahnen in hunderte Kleinunternehmen war der Beginn der Zerstörung eines in über 100 Jahren gewachsenen Systems. Die Ausgliederung von Tätigkeiten, der Einkauf von Leistungen und Rationalisierungen in der Vergangenheit sind die Ursachen für den nicht mehr funktionierenden Betriebsablauf, es fehlen Personal- und Materialreserven.
Inzwischen merkt auch die DB AG, dass Fachpersonal nicht einfach am Markt zu holen ist. Doch in den Verlautbarungen des Konzernvorstands gilt deren größte Sorge dem derzeit eher stagnierenden bis leicht zurückgehenden Gewinn. Als Reaktion wurde eine „qualifizierte Ausgabesteuerung“ verhängt – also ran an die Kosten. Ausgaben müssen jetzt von den Finanzern freigegeben werden. Natürlich hat das Ganze nichts mit den jetzt beginnenden Tarifverhandlungen zu tun. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Nein, auch ist die DB AG nicht in rote Zahlen gerutscht, sondern die Rendite geht leicht zurück. Hier wird das grundsätzliche Problem des Bundeskonzerns deutlich: die Orientierung einer öffentlichen Daseinsvorsorge an betriebswirtschaftlichen Renditezahlen. Fast ein Vierteljahrhundert nach der Umwandlung der Bundes- und Reichsbahn in eine gemeinsame Aktiengesellschaft wird mehr als deutlich, dass es nicht funktioniert. Selbst der derzeitige Koalitionsvertrag hat zum Ziel, die Bahn wieder mehr an volkswirtschaftlichen Interessen auszurichten. Konsequenzen daraus sind aber bisher nicht zu erkennen – im Gegenteil. Der Bund weigert sich trotz guter Finanzlage, mehr Geld in die Hand zu nehmen um marode Brücken zu erneuern, den Bestand besser zu erhalten und die Schienenwege auszubauen. Der Zustand wird somit von den politischen Verantwortlichen in Kauf genommen. Es ist an der Zeit, die Privatisierung der Bahn zurückzunehmen und wieder ein einheitliches Unternehmen zu schaffen.