In der ersten Woche nach Ende der Friedenspflicht haben sich bundesweit mehr als 200.000 Beschäftigte bei über 1.000 betrieblichen Aktionen an Warnstreiks beteiligt. Allein am letzten Freitag streikten rund 83.000 Kolleginnen und Kollegen aus etwa 400 Betrieben. Diese Woche gingen die Aktionen weiter. Insbesondere beim Auftakt der 4. Verhandlungsrunde am 8. November in Baden-Württemberg und Bayern streikten Zehntausende. Mitte November soll es bundesweite Verhandlungen geben, die wohl entscheidend sind, ob weiter verhandelt oder ob Urabstimmung mit Vollstreik beschlossen wird. Niemand sollte Illusionen haben, dass die Metallkapitalisten in dieser Tarifrunde freiwillig genügend rausrücken. Das zeigen sowohl ihre Äußerungen als auch der gesamte Ablauf der bisherigen Verhandlungen.
Die gute Beteiligung an den Warnstreiks ist auch Ausdruck der Wut der Kolleginnen und Kollegen über das erpresserische provokative Scheinangebot von Gesamtmetall Ende Oktober: 3.000 Euro Einmalzahlung, steuer- und sozialabgabenfrei, plus eine unbezifferte Lohnerhöhung, Letzteres aber nur, wenn 30 Monate Laufzeit vereinbart werden. Das Ganze noch eingeschränkt durch die Möglichkeit von dauerhafter automatischer Differenzierung je nach wirtschaftlicher Situation der Betriebe und Angriffen auf andere Sonderzahlungen sowie Forderungen nach Arbeitszeitflexibilisierung beziehungsweise -verlängerung. Die Mogelpackung von 3.000 Euro – umgerechnet auf 30 Monate – wären gerade einmal 100 Euro mehr im Monat, was beim Durchschnittsentgelt in der Metall- und Elektroindustrie wenig mehr als 2 Prozent entspricht. Das ist einfach unverschämt, weil damit die hohen Preissteigerungen (zur Zeit bei über 10 Prozent, Nahrungsmittel bei über 20 Prozent, für nächstes Jahr Prognose von 8,8 Prozent) absolut nicht ausgeglichen werden können und der Betrag sich auch nicht in der Tabelle niederschlägt. In der Tabelle gab es im April 2018 – vor viereinhalb Jahren – die letzte Erhöhung. Es besteht also auch ein gewisser Nachholbedarf. Außerdem sparen sich die Unternehmen die Beiträge zu Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, die dann wiederum in den Versicherungen fehlen.
Die wirtschaftliche Lage ist in der Metall- und Elektroindustrie uneinheitlich. Die großen Autohersteller hatten durchaus Gelegenheit Reserven aufzubauen: So konnten im zurückliegenden Jahr Daimler, VW und Co. ihre Profite trotz Halbleitermangels und Produktionsrückgangs deutlich steigern. Die Wirtschaftsprüfer von „Ernst & Young“ haben in einer Studie festgestellt, dass die weltweit 16 größten Kfz-Hersteller ihren Gewinn um 168 Prozent auf 134 Milliarden Euro im vergangenen Jahr nach oben schrauben konnten.
Ganz besonders sprudelten die Gewinne bei Mercedes und Porsche. Mercedes hat seinen Gewinn im dritten Quartal verdoppelt auf fast vier Milliarden Euro gegenüber 1,9 Milliarden im Vorjahresvergleich. Bei Porsche wuchs der operative Gewinn in den ersten neun Monaten um rund 40 Prozent auf 5,05 Milliarden Euro bei einer Umsatzsteigerung um knapp 16 Prozent. Die Edelkarossen finden halt nach wie vor ihren Absatz bei den Reichen. Die gute wirtschaftliche Lage hängt auch damit zusammen, dass die Verkaufspreise von Kraftwagen und -teilen in den vergangenen zwölf Monaten um 6,2 Prozent stiegen, die von Maschinen um 9,3 Prozent und die für Metallerzeugnisse gar um 15,4 Prozent. Den Maschinenbauern scheint es auch nicht schlecht zu gehen. Dort gibt es bereits Firmen, die nicht mehr abwarten wollen, bis die Tarifparteien sich geeinigt haben. Wegen des großen Mangels an Fach- und Arbeitskräften zahlen sie freiwillig vorab 1.000 oder 2.000 Euro Prämie aus. Einzig einige Zulieferer stehen wirtschaftlich schlechter da wegen des hohen Kostendrucks durch die Autokonzerne. Da muss aber die Stoßrichtung sein, höhere Preise für ihre Produkte durchzusetzen und nicht die Lohnerhöhung nach unten zu drücken.
Die Autobauer jammern, dass Deutschland wegen der sinkenden Kaufkraft als Absatzmarkt unattraktiver wird. Laut der DIHK-Befragung sehen mittlerweile 58 Prozent der Betriebe die schwache Inlandsnachfrage als Geschäftsrisiko. Dagegen helfen am besten höhere Löhne. Im Übrigen: Personalkosten machen in der Industrie nur 20 Prozent des Umsatzes aus. Eine Erhöhung der Löhne um 8 Prozent entspricht rechnerisch einer Erhöhung der Gesamtkosten um lediglich 1,6 Prozent.
Es muss in dieser Tarifrunde darum gehen, die 8-Prozent-Forderung voll durchzusetzen, da sie ohnehin viel zu niedrig ist. Es darf auch keine längere Laufzeit als 12 Monate vereinbart werden, denn das würde die niedrige Forderung noch weiter verschlechtern. Erschreckend ist, dass in der neuen Metallzeitung die 12 Monate Laufzeit keine Erwähnung mehr finden. Da muss von den Vertrauenskörpern Druck gemacht werden, dass der Forderungsbeschluss nicht gekippt wird. Es spricht nichts dagegen, eine abschlagsfreie Einmalzahlung von 3.000 Euro zu vereinbaren, aber nur zusätzlich zu einer Tabellenerhöhung von mindestens 8 Prozent für maximal 12 Monate.