Anfang März fand ein dreitägiger Streik am Universitätsklinikum Gießen-Marburg statt. Während an den ersten beiden Tagen des Arbeitskampfes nur einzelne Beschäftigtengruppen zum Streik aufgerufen wurden, gingen am dritten Streiktag über 800 Kolleginnen und Kollegen auf die Straße. Die Forderungen der Streikenden waren zum einem die Angleichung der Löhne an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVÖD) und zum anderen eine Aufwertung der Berufe durch höhere Eingruppierungen. Auf den ersten Blick verwundert es, dass Beschäftigte in einem Universitätsklinikum für eine Angleichung der Löhne an den TVÖD streiken, da sich Universitätskliniken normalerweise in der öffentlichen Hand befinden.
Anders verhält es sich mit dem Universitätsklinikum Gießen-Marburg (UKGM). Bei dem UKGM handelt es sich um die bisher einzige privatisierte Universitätsklinik in Deutschland. Die Hessische Landesregierung hatte im Januar 2006 das UKGM in eine GmbH überführt und anschließend durch Verkauf von 95 Prozent der Geschäftsanteile privatisiert. Der Käufer war die Rhön-Klinikum AG, die die Kliniken in Marburg und Gießen für den geringen Betrag von gerade einmal 112 Millionen Euro erwerben konnte.
Spätestens nach dieser Privatisierung wurde selbst dem eingefleischtesten Befürworter der sogenannten „freien Marktwirtschaft“ klar, dass der Rhönkonzern als Aktiengesellschaft nicht der Gesundheit der Patienten, sondern in erster Linie den Renditeerwartungen seiner Aktionäre verpflichtet ist. Hier zeigte sich auf drastische Weise, dass Gesundheit unter kapitalistischen Rahmenbedingungen leider doch eine Ware ist. Und mit dieser Ware lässt sich vortrefflich Geld verdienen, insbesondere dann, wenn man an den Löhnen der Beschäftigten spart.
Die Löhne am UKGM sind nach 13 Jahren Privatisierung deutlich niedriger als in den meisten anderen vergleichbaren Kliniken. In besonders extremen Fällen können die Gehaltsunterschiede bis zu 1 500 Euro gegenüber kommunalen Krankenhäusern betragen. Diese miese Bezahlung führt dazu, dass die Konzernleitung inzwischen kaum Menschen findet, die bereit sind, dauerhaft in deren Krankenhäusern zu arbeiten. Dies wiederum hat zur Folge, dass der im vergangenen Jahr abgeschlossene Tarifvertrag Entlastung mangels Masse an Beschäftigten nur ungenügend umgesetzt werden kann.
Unterstützung bekam die UKGM-Belegschaft am dritten Streiktag von Kolleginnen und Kollegen der Altenhilfe in Wetter, einem kleinen Ort in der Nähe von Marburg. Diese erlebten im Januar eine ganz besondere Form der Tarifflucht und Zerschlagung von Mitbestimmungsstrukturen. Nachdem sich die Beschäftigten mehrheitlich gewerkschaftlich organisiert hatten und man Verhandlungen über einen Tarifvertrag aufnehmen wollte, wurde ihr Betrieb still und heimlich in die Diakonie eingegliedert. So wurde das Betriebsratsgremium zerschlagen und für die Beschäftigten gilt nicht mehr das Betriebsverfassungsgesetz, sondern nur das kirchliche Arbeitsrecht mit einer machtlosen Mitarbeitervertretung. Den Beschäftigten wurde nach Bekanntwerden des Streikaufrufs mit Abmahnungen und Kündigungen gedroht. Das hat sie aber ebenso wenig wie die Lohnabhängigen im privatisierten UKGM davon abgehalten, für ihre Interessen auf die Straße zu gehen. Denn Streik ist bekanntlich die einzige Sprache, die die Konzerne, ob kirchlich oder weltlich, verstehen.