Es wird hell, die Schlangen werden länger. Vor den Tischen warten Pflegerinnen, Reinigungskräfte und Servicemitarbeiter, dahinter sitzen ver.di-Aktive, die die Listen führen, nach denen die Gewerkschaft das Streikgeld zahlen wird. Am vergangenen Dienstag haben bundesweit an allen Unikliniken, an denen nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) gezahlt wird, Beschäftigte gestreikt. Fast 400 Kolleginnen und Kollegen werden sich an diesem Morgen hier, an der Essener Uniklinik, in die Listen eintragen, mehr als beim letzten Mal, über 2.000 werden es in ganz NRW sein. Der Warnstreik sollte am Mittwoch weitergehen. Diejenigen, die in der Schlange warten, rechnen nicht damit, dass es in dieser Tarifrunde bei Warnstreiks bleiben wird.
Ob dieser Streiktag etwas bringen wird? Ein Intensivpfleger zuckt mit den Schultern, sein Kollege ist sicher: „Nein.“ Beide sind bereit, auch länger zu streiken: „Wenn ich denke, ich muss den Job bis 69 machen, werde ich nicht in meinen jungen Jahren die Hände in den Schoß legen. Bevor man abwartet, geht man streiken.“ Sie wissen, wovon sie reden. Von dem wochenlangen Streik für mehr Personal vor drei Jahren sagt einer: „Das war auf jeden Fall nicht schlecht, auch wenn es sehr anstrengend war.“
„Wir brauchen ein bisschen mehr Geld“, sagt der Kollege aus dem Patiententransport, der am Geländer lehnt – er muss mit dem Auto zur Klinik fahren und fragt: „Komme ich nur zur Arbeit, um den Sprit zahlen zu können?“ Der neben ihm lacht: „Warte mal auf die Heizkostenabrechnung.“ Die Gewerkschaft fordert mehr Lohn gerade für die unteren Lohngruppen, zu denen die Transportarbeiter gehören. Die Finanzminister haben geantwortet, die Preissteigerungen bei Benzin und Heizöl seien nur vorübergehend und kein Grund für Lohnerhöhungen.
Sie wollen mehr als den Applaus und die einmaligen Corona-Prämien, die sie im vergangenen Jahr bekommen haben. Aber: Urabstimmung, unbefristeter Streik, mitten in der vierten Corona-Welle? „Das wäre unnötig“, sagt einer. Aber wenn die Arbeitgeber nicht einlenken, wäre auch er dazu bereit: „Meistens geht es nicht ohne Kampf“, und der neben ihm sagt: „Man kann ja nicht etwas anfangen und dann in der Mitte aufhören.“
In einer anderen Schlange warten drei Anästhesiepflegerinnen darauf, in die Listen eingetragen zu werden. Eine berichtet, wie viel Zeit sie in Bereitschaft in der Klinik verbringen muss und wie wenig von dieser Zeit sie bezahlt bekommt. Sie sagt, der Streik vor drei Jahren habe nichts geholfen, ihre Kollegin sieht es nicht ganz so: „Es hat nicht viel geholfen.“ Auch von dieser Tarifrunde versprechen sie sich nicht viel, aber sie sind wütend genug, um trotzdem mitzumachen – auch über den Warnstreik hinaus. Sie berichten, dass die jüngeren Kolleginnen darüber nachdenken, ihren Beruf zu wechseln – und zeigen auf die, die sich gerade zu ihnen stellt und sagt: „Die Bedingungen in der Pflege sind so schlecht, ich wollte für mich einen Abzweig nehmen und habe mich anders orientiert.“
Später ziehen sie als Demonstration über das Klinikgelände und winken zu den Kollegen nach oben, die nicht streiken, aber die Forderungen der Gewerkschaft unterstützen. Am Mikrofon empfiehlt die Gewerkschaftssekretärin, nach der Demo heimzugehen: „Wir machen kurze Streiktage, am sichersten sind wir im Moment zu Hause. “ Ohne Pandemie hätte die Gewerkschaft ein Streikzelt vor der Klinik aufgestellt, nun wäre dort nicht genug Platz, um Abstand zu halten. Die Beschäftigten wissen noch nicht, ob sie andere Formen finden müssen, um ihren Streik in der Pandemie zu organisieren, vielleicht wird der Klinikvorstand versuchen, mit der Pandemie als Vorwand den Streik zu verbieten.
Ein anderer Hauptamtlicher nimmt das Mikrofon, er kommt aus der Clearingstelle – dort stimmen sich Gewerkschaft und Arbeitgeber ab, wie die zuvor vereinbarte Notdienstvereinbarung umgesetzt werden kann. Der Ärztliche Direktor der Uniklinik, Professor Werner, hatte behauptet, die Streikenden gefährdeten die Patienten. Tatsächlich haben Vorstand und Gewerkschaft gemeinsam festgelegt, wie der Notdienst gesichert werden kann. Nach der Notdienstvereinbarung können 150 Pflegekräfte streiken, 120 von Normalstationen, 30 von Intensivstationen. Der Arbeitgeber sagt, dieses Kontingent sei überschritten, die Gewerkschafter prüfen auf den Listen, welche Streikenden in welchen Berufen auf welchen Stationen arbeiten. Der ver.di-Sekretär am Mikro berichtet: „Die Lage auf der Gegenseite ist angespannt“, auch ein Warnstreik kostet den Vorstand viel Geld.
Einer Kollegin ist der Regen durch die Jacke gedrungen, ihr Pulli ist nass. Bevor sie nach Hause geht, gibt eine andere ihr Tipps, wo sie eine neue kaufen sollte – „Im Streik braucht man einfach eine dicke Jacke.“