Bildung richtet sich nach dem Geld – und das fehlt. LSV NRW fordert kostenlose Bildung

Warenknappheit

Von Jurek Macher, Mitglied des Landesvorstandes der LSV NRW

Wir sind mehr wert

Aus der Petition der Landesschülervertretung NRW:

„In der Schule verbringen wir in jungen Jahren alle einen beträchtlichen Teil unseres Lebens – in zwölf Jahren Schulzeit rund 14 360 Schulstunden. Nur sieht die Schule gar nicht danach aus – nach ‚Leben‘: In vielen Schulen bröckelt der Putz von den Wänden des Klassenzimmers oder die Aula ist seit sechs Jahren wegen Einsturzgefahr gesperrt. Der Schultag ist lang und die SchülerInnen haben Hunger, aber die Schule hat keine Kantine und wenn doch, ist das Essen teuer.

Während im Landtag darüber diskutiert wird, wie neue Medien in den Unterricht eingebunden werden können, blinzeln wir SchülerInnen in das grelle Licht des Overheadprojektors (wenn er denn eingeschaltet werden kann). Der Musik- und Politikunterricht muss schon wieder ein Halbjahr lang pausieren, weil die Schule einfach nicht genug LehrerInnen hat. Die Stellen der SchulsozialarbeiterInnen wurden abermals gekürzt, dabei war der Bedarf doch auch vorher noch lange nicht gedeckt.

Und um alle diese Missstände auszuräumen, brauchen wir mehr Investitionen in Bildung!“

Online unterzeichnen unter: petition.lsvnrw.de

85 Prozent aller Schulen in NRW weisen bauliche Mängel auf: Unverputzte Decken und Wände, freiliegende Rohre, zugige Klassenräume, leerstehende Gebäudeteile. Das ist das Ergebnis einer WDR-Umfrage – sie zeigt, wie desinteressiert Landes- und Bundesregierung an einem ausreichend finanzierten Bildungssystem sind. Die Landesschülervertretung (LSV) sammelt als Teil ihrer Kampagne „Wir sind mehr wert! Kostenlose Bildung für alle“ Unterschriften für eine Petition an den Landtag, die mehr Geld für Bildung fordert.

Die Qualität des Unterrichts leidet, weil das Geld fehlt. Dies macht sich insbesondere am akuten Lehrermangel bemerkbar, der zu größeren Klassen und Kursen führt. Eine individuelle Betreuung des einzelnen Schülers ist in diesem Rahmen nahezu unmöglich. Zum anderen werden die Wahlmöglichkeiten für Leistungskurse, aber auch für Fächer wie Informatik als Grundkurs stark eingeschränkt. Ein Kurs kann nämlich immer nur ab einer bestimmten Schülerzahl zustande kommen. Ausfallquoten von Unterrichtsstunden sind ein weiteres Dauerthema. Diese unterteilen sich einmal in den Ad-hoc-Ausfall, also Unterricht, der z. B. krankheitsbedingt entfällt. Dadurch wird er meist gar nicht oder nur fachfremd vertreten. Zum anderen kommt es zum strukturellen Unterrichtsausfall: Unterricht, der nach Lehrplan eigentlich erteilt werden müsste, erscheint erst gar nicht auf dem Stundenplan. Besonders Nebenfächer wie Sport und Naturwissenschaften sind davon betroffen. Um alleine den strukturellen Unterrichtsausfall in den Griff zu bekommen müssten in NRW 3 500 Lehrer zusätzlich eingestellt werden – das sagt sogar die Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne). Hier sind Forderungen der LSV NRW nach Tandemunterricht und kleineren Klassen noch gar nicht berücksichtigt. Auch Forderungen, Lehrer gerade im pädagogischen Bereich während des Studiums stärker zu schulen, stießen bisher auf keine Resonanz.

Die Problematik des strukturellen Unterrichtsausfalls besteht bereits seit 25 Jahren. Hierbei spricht man von der sogenannten Kienbaum-Lücke, die seit ihrer Existenz von den jeweils verantwortlichen Politikern vor sich her geschoben wird. Auch der Philologen-Verband NRW geht in einer aktuellen Stellungnahme auf diese Problematik ein. Vor allem kritisiert er, dass die Kienbaum-Lücke im Haushaltsentwurf für das Jahr 2017 nicht geschlossen wird. Dies bedeutet eine durchschnittliche Unterbesetzung von rund zwei Stellen pro Schule.

Auch an anderen Stellen fehlt das Geld: Durch G8 und viele ebenfalls durch den Lehrermangel hervorgerufene Freistunden verbringen Schüler immer mehr Zeit in der Schule. Zu einer Ganztagsschule gehört, die Schüler mit Essen zu versorgen. Aber selbst Schulen, in denen bis 18 Uhr unterrichtet wird, bieten zum Teil nur ein spärliches oder überhaupt kein Essen an.

Neben einer guten Essensversorgung der Schülerinnen und Schüler fordert die LSV NRW weiterhin den Ausbau von Nachhilfeangeboten und der Schulsozialarbeit, eine Modernisierung der Schulen und nicht zuletzt eine Verbesserung des nur sehr halbherzig begonnenen Inklusionsprogrammes der Landesregierung.

Je mehr sich die Landesregierung der Verantwortung für die unterfinanzierten Schulen entzieht, desto mehr wittern Privatunternehmen ihre Chance, dabei Profit herauszuschlagen. Bildung wird immer mehr zur Ware – die LSV spricht von „Bildungsökonomisierung“. Nachhilfe, Lernmaterialien, Spenden an den Förderverein: Der Bildungserfolg hängt vom Geldbeutel der Eltern ab.

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"Warenknappheit", UZ vom 25. November 2016



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