Vergessener Dialog der SPD und SED wiedergefunden
Knöchel mittels
Gestapolügen diffamiert
Karl Schabrods Brief im Wortlaut:
Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN), Landesverband Nordrhein-Westfalen, Landesgeschichtskommission,
Düsseldorf, 13. 11. 1968
Sehr geehrte Redaktion (des Vorwärts)!
Die Erwiderung Ihres Mitarbeiters J. Scholmer auf meinen Leserbrief haben Sie mit der Überschrift versehen „Die Wahrheit ist aktenkundig“.
Ausdrücklich heißt es in der redaktionellen Vorbemerkung: „Anschließend gibt Joseph Scholmer eine Darstellung des geschichtlichen Vorganges nach den Akten“. Dass es sich bei diesen Akten um Gestapo-Akten handelt, die keine einwandfreien Geschichtsquellen sind, wird verschwiegen. Nach diesen Gestapo-Akten ein „Kapitel deutscher KP-Geschichte“ präsentieren und heldenhafte Kämpfer gegen den barbarischen Hitlerterror und Krieg diffamieren zu wollen, das ist einfach eine Schmutzigkeit.
Wie es in Wirklichkeit 1943 nach der Niederlage der Hitlerarmee bei Stalingrad an der Schafottfront in Deutschland aussah, was alles von den politischen Häftlingen aufgeboten wurde, um Zeit für ein Überleben zu gewinnen, das ist überhaupt nicht mit normalen Maßstäben zu messen und wiederzugeben. Selbstverständlich wurden falsche Namen benutzt, Tote belastet, Geschehnisse und Kenntnisse vorgetäuscht, es gab Selbstbezichtigungen, um auf Transport zu kommen usw. Man entging dann der einen Hölle, um in eine andere zu gelangen. Tatsächlich war Wilhelm Knöchel vom 2.4.43 bis 17.12.43 in Scheveningen (Holland) (inhaftiert – Red.), bevor er wieder nach Düsseldorf-Anrath (ins Gefängnis – Red.) und dann erst am 20. 5. 44 zur Aburteilung durch den Volksgerichtshof nach Brandenburg-Görden gebracht wurde. Aber daraus, weil Knöchel in Holland war, schlussfolgern zu wollen, er habe (in Holland – Red.) längst gewarnte frühere Mitarbeiter der Gestapo in die Hände gespielt, ist unzulässig. Mein Leserbrief stützt oder ergänzt die Webersche Darstellung keineswegs.
J. Scholmers Behauptungen gipfeln nun darin, dass die angeblich aktenkundige Darstellung seines Freundes Weber, die Knöchel-Gruppe habe von allen bedeutenden kommunistischen Widerstandsgruppen die geringste Bedeutung gehabt und nach ihrer Verhaftung keine rühmliche Rolle gespielt, noch nicht widerlegt worden sei. Das ist mehr als dürftig. Der Wert solcher Überlegungen, ob W. Knöchel oder A. Saefkow, R. Uhrig oder Th. Neubauer (weitere Widerstandskämpfer der KPD – Red.) mit ihren Gruppen eine größere oder geringere Bedeutung gehabt haben, erscheint mir nebensächlich. Trotz räumlicher und auch zeitlicher Verschiedenheit hatten die vier Gruppen miteinander Verbindungen. Alle leisteten unter schwierigsten Bedingungen eine hochanzuerkennende intensive Antikriegsarbeit.
Im Rhein-Ruhr-Gebiet erschienen erst nach dem Eintreffen W. Knöchels und seiner engsten Mitarbeiter A. Kowalke, W. Seng, A. Kaps, Lissy Rieke und anderer die Zeitungen „Freiheit“, „Ruhrecho“, „Der Friedenskämpfer“ – davon 11 Nummern im Jahre 1942 – sowie die Flugblätter „Soldaten“, „Gegen den Krieg“, „Was wollte Himmler“, „Das ist der Mörder“, „An die Rüstungs- und Bergarbeiter“, „Volksabstimmung“, „F-Aktion“, „Der patriotische SA-Mann“, „Der Krieg muss sofort aufhören“. Im Mai 1942 und im Dezember wurden Gebietskonferenzen durchgeführt und Aufrufe beschlossen, an deren Formulierung vermutlich auch Dr. Theo Neubauer beteiligt war. Darf man wirklich die Herren Weber oder Scholmer fragen, welche bedeutenderen Leistungen vielleicht von ihren Gruppen getätigt worden sind?
Niemand leugnet, dass es auch große Schwächen, besonders nach den Verhaftungen, gegeben hat. Aber können wir uns nicht darauf einigen, dass wir gemeinsam die Flamme des Widerstandes gegen Faschismus und Krieg weitertragen wollen und nicht die Asche?
Karl Schabrod
Vorsitzender der Landesgeschichtskommission der VVN in NRW
Der tschechische Kommunist Julius Fučik schrieb 1942 in Prager Gestapo-Haft heimlich seine Hafterlebnisse mit dem Titel „Reprtage unter dem Strang“ auf. Fučik, 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet, schrieb: „Die ihr diese Zeit überlebt, vergesst nicht. Sammelt geduldig Zeugnisse von den Gefallenen. Sucht euch einen von ihnen aus und seid stolz auf ihn als einen großen Menschen, der für die Zukunft gelebt hat.“
Diese Aufforderung ist im Fall des Wilhelm Knöchel auf bestürzende Art missverstanden worden. Etwa so: Sucht euch einen von ihnen aus und seid ungerecht zu ihm.
Nikolaus Brauns, der das Standardwerk zur „Roten Hilfe“ schrieb und also Kenntnis von den Personalien deutscher Kommunisten hat, schreibt zur „Kadergeschichte – Biographisches Handbuch zur KPD-Geschichte“ von Hermann Weber und Andreas Herbst: „Tragisch ist der Umgang mit dem antifaschistischen Widerstandskämpfer Wilhelm Knöchel in der Geschichtsschreibung. Ab Januar 1942 bemühte sich der illegal nach Deutschland eingereiste Knöchel, der auf der Berner Konferenz ins ZK der KPD gewählt worden war, um den Aufbau einer neuen operativen Leitung des kommunistischen Widerstands. Am 30. Januar 1943 verhaftete ihn die Gestapo in Berlin. Knöchel wurde am 24. Juli 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Im fünften Band der ‚Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung‘ wird Knöchel noch ‚selbstlose Tätigkeit für die Partei, die Arbeiterklasse und die ganze deutsche Nation‘ attestiert. Die Aufnahme in das zugehörige ‚Biographische Lexikon‘ blieb Knöchel allerdings verwehrt, da ihn Hermann Weber inzwischen als Verräter bezeichnete und das Autorenkollektiv des IML in diesem Punkt dem westdeutschen Forscher folgte. Untersuchungen zum antifaschistischen Widerstand von Beatrix Herlemann sowie Heinz Kühnrich konnten diese Anschuldigungen später als unbegründet widerlegen. Doch der ‚Nestor der Kommunismusforschung‘ Weber zeigte sich nicht bereit, ein einmal gefälltes Urteil zu korrigieren.“
Merkwürdiges Bündnis
Nicht nur Weber und die IML-Leute (Institut für Marxismus-Leninismus), sondern auch Erich Honecker, Herbert Wehner und die SPD-Zeitung „Vorwärts“ haben – aus Gründen des Kalten Krieges, an dem Knöchel gänzlich unschuldig ist – dafür gesorgt, dass über ihn nur Zeugnisse zu sammeln sind, die sein Andenken zerstören sollten. Wehner wurde von der SED lange Zeit als Verräter gebrandmarkt, und als man dieses Urteil aus taktischen Gründen zurücknahm, da galt plötzlich Knöchel als der Verräter. Auch die PDS und Linkspartei haben keine Rehabilitierung vorgenommen.
Mit dem Mitglied des Zentralkomitees Wilhelm Knöchel hatte die KPD als einzige Partei für über ein Jahr ein Parteivorstandsmitglied im Inland, der an der Widerstandsbewegung in Hitlerdeutschland führend mitwirkte. Eigentlich ein Grund, ihm kontinuierlich hohes Ansehen zu widmen.
In seiner Heimatstadt Offenbach ist ein Stolperstein für ihn verlegt worden. In Dortmund, wo er lange lebte und im Widerstand wirkte, hat die DKP in den achtziger Jahren eine Ausstellung über die Knöchel-Gruppe geschaffen und eine Broschüre dazu veröffentlicht. In Berlin (Ost) ist hingegen eine Tafel zu seinen Ehren 1970 wieder entfernt worden. Vorher und später noch einmal in den 80er Jahren wurde er gewürdigt, bis Erich Honecker dem im Jahre 1989 – kurz vor seiner Abwahl aus der SED-Führung – ein Ende setzte. (Darüber berichtete das „Neue Deutschland“ fünf Jahre später in einem fast ganzseitigen Artikel, und zwar am 23./24. Juli 1994. Seit 20 Jahren gibt es keine Würdigungen Knöchels in linken Organen mehr.)
Ein antifaschistischer Arbeiterführer
Knöchel war in den dreißiger Jahren in Hamburg im Widerstand, dann leitete er von Amsterdam aus die Arbeit, um 1942/43 ins Ruhrgebiet und nach Berlin zu gehen. Vom Vertrauen seiner Kollegen getragen, wurde er 1938 als Vertreter der deutschen Bergarbeiter Sekretär der Exekutive der Bergarbeiterinternationale. Er ist heute der unbekannteste Prominente der KPD-Führung, immer wieder ging es um ihn hin und her. Nach Würdigungen in der DDR für Knöchel bewertete man Gerüchte mal so und mal so – Gerüchte, die von der Gestapo absichtsvoll gestreut wurden und ihn als einen darstellten, der gegen seine Genossen belastend ausgesagt hat. Jedoch wurde er bis zum Schluss gefoltert – hatte also doch nicht wirklich ausgesagt. Er musste, von Tbc und Misshandlungen geschwächt, zur Richtstätte geschleppt werden. Der Dreher, Bergmann und Arbeiterführer starb 44-jährig am 24. Juli 1944.
Herbert Wehner, bis zu seinem Parteiausschluss im Krieg hoher KPD-Funktionär – später SPD –, sollte mit Knöchel im Reich die Leitung der KPD übernehmen, kam aber nie dort an. Er war in Schweden – auf dem Weg von Moskau nach Berlin – verhaftet worden; er hatte sich verhaften lassen, um sich den Gefahren der Illegalität in Deutschland zu entziehen, so wurde vielfach kolportiert. Die SPD hat es anders dargestellt und Erich Honecker wiederum war wohl bis kurz vor seiner Absetzung bestrebt, mit der SPD ins Reine zu kommen. Es ist auch zu vermuten, dass er seine guten Beziehungen zu Herbert Wehner in Gefahr sah.
Schriften gegen den Faschismus verbreitet
Die VVN-BdA von Nordrhein-Westfalen hat in ihrer Geschichtsarbeit wiederholt darauf hingewirkt, Wilhelm Knöchel zu würdigen. Sie ist bestrebt, ihn zu rehabilitieren.
Bevor die wechselseitigen Veränderungen in der Darstellung über Wilhelm Knöchel in merkwürdigem Gleichklang von SPD und SED wirkten, wurde im „Neuen Deutschland“ am 8. November 1959 über ihn berichtet: „Wilhelm Knöchel entlarvte die ‚Neuordnung Europas‘ als grausamste Ausbeutung und Versklavung der unterjochten Völker und rief zur kämpferischen Solidarität mit den nach Deutschland verschleppten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern auf. (…) Jeder Wagen Kohle, den ihr weniger ausfahrt, dient dem Frieden‘, hieß es in einem Aufruf an die Bergarbeiter. ‚Jeder Wagen, der ruht, spart deutsches Blut‘ (an die Eisenbahner).“ Abschließend heißt es in dem Artikel: „Am 20. Juni 1944 wurde Wilhelm Knöchel vom faschistischen ‚Volksgerichtshof‘ unter Vorsitz des berüchtigten Blutrichters Freisler zum Tode verurteilt. Gemeinsam mit seinen Genossen Erich und Charlotte Garske, Alfred Kowalke, Wilhelm Beuttel, Jakob Weiter, Willi Seng, Alfons Kaps, Albert Kamradt und Luise Rieke gab er sein Leben für eine glückliche Zukunft des deutschen Volkes.“
Berliner Bezirksbehörde soll handeln
In der Gedenkstätte Berlin-Friedrichsfelde, Gedenkstätte der Sozialisten, zu der Tausende jedes Jahr zum Todestag von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg demonstrieren, fehlt nach wie vor eine Ehrung für Wilhelm Knöchel. Deshalb hat sich die VVN-BdA an den Förderkreis Friedrichsfelde gewandt, ähnlich wurde das Bezirksamt angeschrieben: „Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten, LV NRW, möchte das Schweigen über Knöchel überwinden. Wir bitten Sie, dafür zu sorgen, dass die Ehrentafel für Wilhelm Knöchel wieder angebracht wird.“ Auch Linksparteipolitiker schrieb die VVN-BdA in Sachen Rehabilitierung Knöchels an.
In diesen Tagen tauchte ein Briefwechsel der VVN NRW mit dem Zentralorgan der SPD „Vorwärts“ aus dem Jahre 1968 wieder auf. Dem lagen je zwei Artikel im „Neuen Deutschland“ und im „Vorwärts“ zu Grunde, in denen sich SPD und SED gegenseitig Respekt aussprachen für die Geschichtsdarstellung jenes Jahres (es war das 68er Jahr!), mit der der Arbeiterwiderstand gegen die Nazis gewürdigt wurde. Unter dem Einfluss des ehemaligen KPD-Mitglieds und nunmehr antikommunistischen Kommunismus-Experten Hermann Weber (Mannheim) nahm der „Vorwärts“ jedoch die Gruppe um Wilhelm Knöchel ausdrücklich von der Würdigung aus. Dies richtete sich vor allem gegen den damaligen SED-Generalsekretär Walter Ulbricht, der Wilhelm Knöchel als Inlandsleiter der KPD eingesetzt haben soll, jedoch damit einen Missgriff getan habe. Karl Schabrod (1900–1981), KPD-Politiker und VVN-Vorstandsmitglied, setzte sich in zwei Briefen an den „Vorwärts“ für die Wahrheit über Wilhelm Knöchel ein. Der letzte, abschließende Brief an den „Vorwärts“ blieb unveröffentlicht. Hiermit wird er erstmals publiziert.
Siehe auch: http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1540_knoechel.htm Texte zu Knöchel und http://www.nrw.vvn-bda.de/bilder/knoechel.pdf Bilder