Vision einer Welt nach dem Niedergang der US-Hegemonie

Waldai-Klub diskutierte künftige Weltordnung

Das diesjährige Treffen des Waldai-Klubs tagte vom 24. bis 27. Oktober in Moskau unter dem ambitionierten Motto „Eine posthegemoniale Welt – Gerechtigkeit und Sicherheit für jeden“. Das internationale Meeting von Politikern, Diplomaten, Wissenschaftlern und Journalisten findet seit 2004 jährlich im Herbst in Russland statt.

Das von Waldai-Direktor Fjodor Lukjanow und anderen für die Konferenz verfasste Grundsatzpapier vertritt denn auch als zentrale These: „Die gegenwärtige Lage der Dinge ist durch den Fakt gekennzeichnet, dass die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten de facto nicht länger den Status einer dominanten Supermacht innehaben, aber dass die globale Infrastruktur, die diesen Status unterstützt, weiterhin in Funktion ist.“ Unter Lukjanow hat der Diskussionsklub große internationale Aufmerksamkeit und Reputation erlangt. 111 hochrangige Wissenschaftler, Politiker und Diplomaten aus 40 Staaten nahmen in diesem Jahr teil. Vertreter der russischen Polit-Elite wie Außenminister Sergei Lawrow, Verteidigungsminister Sergei Schoigu oder der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, sind auf den Treffen des Clubs regelmäßig vertreten. Präsident Wladimir Putin absolvierte diesmal einen fast fünfstündigen Marathon aus einem Rede- und einem freien Frage-und-Antwort-Block vor internationalem Publikum.

Das Meeting stand in auffälligem Gegensatz zu der kriegerischen US-Rhetorik vor allem der letzten Tage, bei der der 3. Weltkrieg und das nukleare Armageddon beinahe schon eine ausgemachte Sache zu sein scheinen. Auch Kiew betätigt sich, sicherlich nicht ohne Rückendeckung seiner Washingtoner Paten, seit der Münchener Sicherheitskonferenz 2022 in dieser Richtung. Das Waldai-Treffen dagegen hatte sich auf ein Thema fokussiert, das weit über den gegenwärtigen Konflikt hinausging. Mit der Ausrufung einer „posthegemonialen Welt“ setzte es einen progressiven Ausgang aus diesem zweiten Kalten Krieg voraus, den das US-Imperium und seine Vasallen gegen die eurasische Infragestellung ihres Hegemonieanspruchs inszeniert hatten.

Im Gegensatz zum moralisierenden Überlegenheitsanspruch der USA und des Werte-Westens insgesamt – de facto die universale Legitimationsgrundlage für Erpressung, Schikane, Krieg und Völkermord – sollte eine künftige Weltordnung auf einen Führungsanspruch einzelner Staaten oder Staatengruppen verzichten. Sie sollte alle Nationen, gleich welcher politischen und sozialökonomischen Verfasstheit, Kultur und Religion, im Rahmen der Gesetzmäßigkeit des UN-Völkerrechts akzeptieren. Das wäre die internationale Anerkennung des Prinzips der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Es steht außer Frage wie attraktiv diese Perspektive für die Staaten des Globalen Südens ist, die seit Jahrzehnten, viele seit Jahrhunderten, mit der kolonialen und neokolonialen Ausbeutung, mit Sklaverei und Krieg sowie der westlichen Arroganz, Bevormundung und Erpressung haben leben müssen.

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"Waldai-Klub diskutierte künftige Weltordnung", UZ vom 4. November 2022



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