Der Hambacher Forst ist ein rund 12 000 Jahre alter Wald, und der Kampf, der zu seiner Erhaltung geführt wird, ist symbolträchtig. Denn es geht nicht mehr nur um die wenigen Waldbesetzer, deren Baumhütten von einem Großaufgebot der Polizei beseitigt werden sollen. Inzwischen beteiligen sich bis zu 20 000 Menschen an den „Waldspaziergängen“ und geben ein Zeichen, dass immer Weniger bereit sind, Heimat, Natur und Klimaschutz den Profitinteressen eines Großkonzerns zu opfern.
Die Umweltaktivisten können dabei auf eine lange Tradition zurückblicken, eine, die auch zu den Gründungsmythen der Grünen gehört. Vor mehr als 40 Jahren verteidigten Umweltschützer im badischen Wyhl den oberrheinischen Auwald gegen Atomindustrie und Stuttgarter Landesregierung. Jahre später wurde mittels Baumbesetzung versucht, den Ausbau des Frankfurter Flughafens zu verhindern.
Der Hambacher Forst wurde zum ersten Mal im April 2012 besetzt. Während des „Wald statt Kohle“-Festes wurden Plattformen in die Bäume gezogen. Im November desselben Jahres wurden sie von 500 Polizisten geräumt. Seitdem spielen sich die gleichen Szenen immer wieder ab: Die Umweltaktivisten errichten Baumhäuser und Barrikaden am Boden, die Polizei reißt das Ganze irgendwann wieder ein. RWE verstärkt seinen Wachschutz, lässt das Gelände mit Kameras überwachen, montiert Bewegungsmelder und Flutscheinwerfer. Die Polizei unterstützt den Konzern durchaus mit Helikoptern, Wasserwerfern, Hundestaffeln und einem Bombenräumkommando. Was sich derzeit im Hambacher Forst abspielt, ist nicht neu, die mediale Aufmerksamkeit, die es bekommt, dagegen schon.
Das hat vor allem damit zu tun, dass in dem Waldstück zwei Welten aufeinanderprallen: Vergangenheit und Gegenwart. Die Genehmigung zum Abbau der Kohle stammt aus dem Jahr 1974, wie der Grünen-Politiker Anton Hofreiter unlängst betonte. Seit einem halben Jahrhundert erleben die Bewohner der Region, wie sich Bagger durch die Landschaft fressen, Dörfer und Dorfgemeinschaften verschwinden. An ihrer statt entstand eines der größten Löcher, die Menschen je gegraben haben. Es gab Zeiten, schrieb Michael Bauchmüller in der „Süddeutschen Zeitung“ (15.09.), da war man im Rheinland sogar stolz auf den Tagebau; die Gegend galt schließlich als Kraftzentrum der Bundesrepublik.
Damals gab es noch keinen Klimavertrag von Paris. Die Industriestaaten hatten damals auch noch nicht versprochen, „so bald wie möglich“ den Scheitelpunkt der globalen Emissionen zu erreichen. Die Abkehr von fossilen Energieträgern und die Hinwendung zu Sonnen- und Windenergie wurden belacht, galten als Utopie, die nie Wirklichkeit werden würden.
Inzwischen hat sich das alles grundlegend geändert. Braunkohle ist nicht mehr der unverzichtbare Garant einer sicheren Energieversorgung. Erneuerbare Energien gewinnen weiter an Bedeutung, und sie können obendrein immer besser gespeichert und durch flexible Gaskraftwerke ergänzt werden. Heute lässt sich kaum noch erklären, weshalb ganze Landstriche verwüstet und in den Dampfkesseln fossiler Kraftwerke verheizt werden sollen. Bauchmüller hat deshalb auch recht, wenn er schreibt: „Der Kampf im Hambacher Wald, er ist auch ein Kampf um die Energieversorgung der Zukunft“.
RWE pocht nun auf die Abbaugenehmigung aus dem Jahre 1974, auch die Landesregierung in Düsseldorf beruft sich auf sie. Die gesellschaftliche Frage, die sich hier allerdings stellt, ist die nach der Legitimität von Konzern- und Regierungshandeln. Kann eine Genehmigung aus dem Jahre 1974 weiterhin Bestand haben, wenn sich ihre Grundlagen wesentlich verändert haben?
Der Kampf, der im Hambacher Forst ausgetragen wird, ist nicht nur ein Kampf um die Energiezukunft. Er lässt auch den Widerspruch zwischen gesellschaftlichen Interessen und den Profitinteressen eines Konzerns deutlich werden. Wenn am kommenden Wochenende tatsächlich 50 000 Menschen zu einer Großdemonstration und einer Kundgebung in den Hambacher Forst kommen sollten, wie die Bild-Zeitung schrieb, dann ist das ein deutliches Zeichen, in welche Richtung das Pendel der Geschichte ausschlägt.