Bei den Kommunalwahlen in der Türkei am 31. März hat das islamistisch-faschistische Wahlbündnis aus AKP und MHP eine Schlappe erlitten. Es ist vor allem eine Schlappe für den autoritären Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Rund 57 Millionen Menschen waren aufgerufen, in 81 Provinzen Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 84 Prozent. Erdogans AKP erreichte landesweit zwar auch wieder die Werte wie bei den Wahlen im vergangenen Jahr und blieb stärkste Partei, doch die sozialdemokratische CHP als größte Oppositionspartei holte fast 8 Prozent mehr – und hat sich in den Metropolen des Landes durchgesetzt, darunter Istanbul, Ankara und Izmir. Die Städte werden fortan von der CHP regiert – wenn Erdogan und die AKP denn endlich ihre Niederlage dort akzeptieren und das Wählervotum anerkennen.
Gleich nach der Wahl hatte Erdogan schon angekündigt, die Resultate der Kommunalwahl auf allen Ebenen anfechten zu wollen – selbstredend nur dort, wo seine AKP den Kürzeren gezogen hat. In Istanbul drängte die AKP angesichts eines denkbar knappen Wahlsieges des CHP-Kandidaten Ekrem Imamoglu mit nur rund 24 000 Stimmen bei mehr als acht Millionen Wählern auf die Neuauszählung der für ungültig befundenen Wahlzettel. Als das am Resultat wenig änderte – Erdogans früherer Regierungschef Binali Yildirim lag immer noch mit 18 750 Stimmen im Hintertreffen – forderte die AKP am 7. April die komplette Neuauszählung der Stimmen. Erdogans Partei sprach von einer „organisierten Regelwidrigkeit“ bei der Kommunalwahl, zugleich wies das Außenministerium in Ankara Kritik des EU-Kommissions-Vizechefs Frans Timmermans zurück, der gefordert hatte, das Ergebnis der Kommunalwahl zu respektieren.
Auch in der Hauptstadt Ankara legte die AKP Einspruch ein. Dort setzte sich der Kandidat der CHP, Mansur Yavas durch, ein strammer Nationalist, der früher der faschistischen MHP angehört hatte. Der Abstand zum AKP-Kandidaten war hier sogar noch größer. Die Oppositionspartei HDP kritisierte unterdessen, ihre Anträge auf Neuauszählung seien allesamt abgelehnt worden. Als Beispiel nannte die Partei die Provinz Mus im Osten der Türkei, die die AKP nach vorläufigen Ergebnissen mit nur etwas mehr als 500 Stimmen vor der HDP gewonnen haben will. Die Wahlbehörden stünden unter dem Druck der Regierung, beklagte die vor allem unter Kurden verankerte HDP. Doch die Wahlkommission lehnte die Einsprüche der AKP gegen die Ergebnisse in der Hauptstadt ab.
Die Wahlsiege der CHP in den Millionenstädten sind auch Ergebnis des klugen Agierens der HDP. Die Demokratische Partei der Völker hatte dort auf eigene Oberbürgermeisterkandidaten verzichtet. Der inhaftierte frühere Vorsitzende Selahattin Demirtas erklärte, die HDP strebe an, auf diese Weise das AKP-System „ins Wanken zu bringen“. Ziel war, Erdogan einen Dämpfer zu verpassen und vor allem, die bei den letzten Wahlen gewonnenen rund 100 Kommunen im kurdisch geprägten Südosten der Türkei zurückzugewinnen, die Erdogan zuletzt unter Zwangsverwaltung gestellt hatte. Das gelang nicht ganz, auch weil die CHP nicht auf eigene Kandidaturen verzichten wollte. Immerhin aber, trotz absolut unfairer Bedingungen – praktisch gleichgeschaltete Medien, die selbst Wahlwerbung der Opposition verweigern, Manipulationen bei den Wählerlisten und Massenverhaftungen von Funktionären – setzte sich die HDP in Diyarbakir und drei weiteren Großstädten durch. Und sie gewann sieben Provinzhauptstädte, 40 Kreisstädte und 12 Gemeinden für sich.
Dersim schließlich wird fortan von einem Kommunisten regiert. Mehmet Fatih Macoglu von der TKP hat dort mit 32,7 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen. Bekannt geworden war er als Bezirksbürgermeister in der Kleinstadt Ovacik, wo er mit Gewinnen aus dem Gemüseanbau einkommensschwache Familien unterstützte und Stipendien für Studierende finanzierte.
Und ausgerechnet in Istanbul, wo Erdogan groß wurde und als Oberbürgermeister seine Politkarriere startete, setzte sich in einem Bezirk Erdem Gül durch. Er ist Mitangeklagter von Can Dündar im „Cumhuriyet“-Prozess. Auf Betreiben des Staatspräsidenten werden die beiden verfolgt, weil ihre Zeitung Waffenlieferungen der türkischen Führung an islamistische Kampfgruppen in Syrien aufgedeckt hatte. Der im deutschen Exil lebende Journalist Can Dündar schrieb zu den Wahlen am 31. März, hier habe die „andere Türkei“ gesprochen und gesagt: „Hier sind wir.“