Am 18. Juni sind 58 Millionen Wahlberechtigte im Iran aufgerufen, den achten Präsidenten seit 1979 zu wählen. In den vergangenen Tagen wurde bekannt, wer auf den gescheiterten und in Wien um den Fortbestand des Atomabkommens JCPOA verhandelnden gemäßigten „Reformpräsidenten“ Hassan Rohani folgen soll.
Im politischen System des theokratischen Iran werden weder Parteien noch Listen, sondern zur Wahl stehende Personen direkt gewählt. Der Haken an der Sache: Für wen auf dem Wahlzettel letztlich ein Kreuz gemacht werden kann, entscheidet alleine und ohne Recht auf juristischen Widerspruch der aus sechs Geistlichen und sechs klerikalen Juristen zusammengesetzte Wächterrat. Dieser untersteht nahezu vollständig dem religiösen Oberhaupt Ali Khamenei. Er besitzt ein umfassendes Vetorecht bei politischen Entscheidungen und fungiert – frei übersetzt – als Verfassungsgericht ohne jegliche demokratische Legitimierung oder Kontrolle, seine Vertreter wachen über die ideologische „Reinheit“ der Regierenden und ihrer Gesetze.
Zu den diesjährigen Wahlen bewarben sich 592 Menschen, darunter auch 50 Frauen, 585 (98 Prozent) wurden abgelehnt. Übrig blieben sieben Männer aus der prinzipalistischen Hardlinerfraktion, darunter Zentralbankchef Abdolnaser Hemmati, der Vorsitzende des nationalen Sicherheitsrates Said Dschalili, der Justizchef Ebrahim Raisi und der Revolutionsgardengeneral Mohsen Rezai.
Unter den Verbliebenen gilt Raisi als nahezu sicherer Sieger. Der konservative Kleriker und Jura-Professor ist kein Unbekannter, seine Liste an Untaten lang: Er war Hauptverantwortlicher bei den Massenhinrichtungen an politischen Gefangenen 1988 („Khomenei-Massaker“), tritt vehement für die Todesstrafe und für den Erhalt des geschlechterpolitischen Status Quo ein und kandidierte 2017 erfolglos gegen Hassan Rohani. Er galt bisher auch als potenzieller Nachfolger des gesundheitlich angeschlagenen Khamenei. Außenpolitisch wird er den Weg gen Wien nicht weitergehen – die Hardliner wettern seit Tag eins gegen die vertragliche Verständigung mit dem „großen Satan“. Resais Wahlsieg würde den endgültigen Tod des JCPOA darstellen. Innenpolitisch schwadronierte er gegenüber der radikalislamischen Zeitung „Kayhan“ von einer „Volksregierung eines starken Iran, die Arbeiter, Soldaten und Unternehmer vereint“.
Ausgeschlossen wurden neben dem im deklassierten Prekariat beliebten Ahmadinedschad auch die aussichtsreichen Topkandidaten des moderaten Flügels: Der zentristische ehemalige Parlamentspräsident Ali Laridschani und der amtierende Vizepräsident Eshagh Dschahangiri. Rohani darf nach zwei Wahlperioden nicht erneut antreten. Sowohl von Laridschani als auch von Dschahangiri wurde erwartet, dass sie den begonnenen Weg der Verhandlungen weitergehen.
In Anbetracht des unfreiwilligen Fehlens moderater Kräfte auf den Stimmzetteln muss eine katastrophal niedrige Wahlbeteiligung erwartet werden. Bisher lockten nur moderate Kandidaten Menschen an die Urnen. Deshalb bat Rohani Revolutionsführer Khamenei, die Entscheidung im Sinne der notwendigen Legitimation des politischen Systems zu überdenken. Khameneis Antwort: Der Wächterrat habe keine Fehler begangen.
Im Hinblick auf das Atomabkommen ist die Prognose düster, dem propagandistischen Hochmut Irans zum Trotz gibt es bisher keine durchschlagenden Meldungen aus Wien, die Biden-Regierung wird nicht alle Sanktionen gegen den Iran zurücknehmen. Unter dem Eindruck eines katastrophalen Corona-Managements, einer desaströsen wirtschaftlichen Lage und dem offensichtlichen Ausstechen selbst systemimmanenter Alternativen ist Druck auf dem gesellschaftlichen Kessel. Die Worte Wahlboykott und Protest machen die Runde.