Französische Regionalwahlen bestätigten Rechtsruck im Klima von Verunsicherung

Wahlen unter Ausnahmezustand

Von Georg Polikeit

Überschattet von den Attentaten am 13. November und den damit verstärkten Stimmungen der Angst und der Verunsicherung, verstärkt durch die Verlängerung des von Präsident Hollande verhängten und auf drei Monate verlängerten Ausnahmezustands, endete der erste Wahlgang der französischen Regionalwahlen am 6. Dezember mit einem bedrohlichen Rechtsruck und dramatischen Vormarsch für den rechtsex­tremistischen „Front National“ (FN).

Zwar ist es in keiner der 13 neu geschaffenen Regionen des französischen Festlands bereits im ersten Wahlgang zu einer endgültigen Entscheidung gekommen, wer diese Regionen zukünftig regieren wird, weil keine der angetretenen Listen gleich bei der „1. Tour“ mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten hat. Das wird also erst am kommenden Wochenende durch die Stichwahl entschieden.

Doch die „Rechtswende“ in der Wählerstimmung ist mehr als drastisch. Auch wenn dabei zu berücksichtigen ist, dass trotz eines Anstiegs der Wahlbeteiligung um ca. 4 Prozent die „Partei der Nichtwähler“ noch immer die stärkste Partei in Frankreich blieb. Mit einer Wahlbeteiligung von 50,1 Prozent ist noch immer jede/r zweite französische Wähler/Wählerin aus Frust über den „Politikbetrieb“, Missmut über seine soziale Situation und sich verschlechternde Lebensbedingungen zu Hause geblieben.

Der Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei (PCF), Pierre Laurent, bewertete den Wahlausgang in einer ersten Stellungnahme am Wahlabend als Ausdruck und Ergebnis des „gravierenden sozialen und demokratischen Alarmzustands des Landes“. Es sagte: „In unserem Land, in Frankreich, wo Millionen und Abermillionen Menschen schwer leiden unter der Arbeitslosigkeit, unter prekären Lebensverhältnissen, unter der Macht der Finanzwelt über unsere Arbeit, wo die Angst vor dem Morgen das Leben so vieler unserer Mitbürger zerfrisst, wo die Attentate vom 13. November all dieser sozialen Unsicherheit weitere Angst hinzugefügt haben, ist die Gefahr real geworden, dass die Rechten und Rechtsextremisten am nächsten Sonntag die große Mehrheit und vielleicht die Gesamtheit der dreizehn neuen Regionen regieren werden. Das wäre eine Katastrophe, die die überwiegende Mehrheit unseres Volkes teuer bezahlen würde.“

Der „Front National“, dessen „Entdiabolisierung“ vom Odium einer rechtsextremistischen und rassistischen Partei seine Anführerin Marine Le Pen trotz ungebrochener Beibehaltung der extrem nationalistischen Demagogie und rassistischen Fremdenfeindlichkeit seit mehreren Jahren vor allem in den Medien offenbar relativ erfolgreich vorantrieb, hat mit diesen Regionalwahlen einen weiteren Durchbruch zu verzeichnen. Er kam landesweit erstmals in seiner Geschichte auf etwa 28 Prozent der abgegebenen Stimmen (gegenüber 11,4 % bei den letzten Regionalwahlen 2010). In nicht weniger als sechs der insgesamt 13 Regionen (ohne Überseegebiete) wurde er sogar stärkste Partei vor den „Rechtskonservativen“ unter Ex-Präsident Sarkozy und der regierenden „Sozialistischen Partei“ (PS). Absolute Rekorde sind die Stimmenanteile in den zwei Regionen Nord-Pas-de-Calais-Picardie (Nordostfrankreich) und Provence-Alpes-Côte d’Azur (Südostfrankreich), wo der FN sogar auf über 40 Prozent kam.

Der Block der herkömmlichen bürgerlichen Rechtsparteien, bestehend aus den „Republikanern“ des Ex-Präsidenten Sarkozy (früher UMP), der von der ehemaligen katholischen Zentrumspartei abstammenden UDI und den Rechtsliberalen (MoDem), konnte in dem gegebenen Wahlklima mit rund 27 Prozent landesweit den zweiten Platz erobern und in vier der 13 Regionen stärkste Partei werden. Die von Staatspräsident Hollande geführten „Sozialisten“ (PS), die bei den Regionalwahlen 2010 im Vorfeld der Präsidenten- und Parlamentswahlen von 2012 einen großen Durchbruch zu verzeichnen hatten, wurden fast überall auf den dritten Platz verwiesen. Nur noch in zwei Regionen, der Bretagne und der Region Aquitaine-Limousin-Poitou-Charentes (Südwestfrankreich und Pyrenäen) blieben sie stärkste Partei.

Es ist zahlenmäßig schwierig, das Abschneiden der Parteien links von den regierenden Sozialisten genau zu erfassen, zumal die offiziellen Zahlen des französischen Innenministeriums in diesem Punkt die Ergebnisse sehr willkürlich zusammengezählt haben. Die Stimmen in zwei Regionen, in denen die Grünen offiziell eine gemeinsame Liste mit der Linksfront gebildet hatten, und in zwei weiteren Regionen, wo ein Bündnis Grüne mit Teilen der Linksfront (ohne von den Kommunisten angeführte Listen) zustande kam, wurden generell dem Ergebnis der „Grünen“ zugeschlagen.

Dennoch bleibt unübersehbar, dass sowohl die Grünen wie die von PCF und Linksfront getragenen Listen nicht nur erheblich hinter den erhofften Erwartungen, sondern auch hinter den Ergebnissen von 2010 zurückblieben. Beide zusammen erreichten diesmal nur etwa 10–11 Prozent (die Grünen etwa 6,5 %, die Linksfront etwas über 4,5 %), während 2010 die Grünen allein 12,2 und die Linksfront 6 bis 7 Prozent erreicht hatten. Zweifellos gelang es beiden Formationen in dem aufgeheizten Klima der Terroristenhysterie, die alle anderen Themen an den Rand verdrängte, nicht, ihre traditionellen Kernthemen wie Widerstand gegen Sparpolitik und Sozialabbau, Schutz der Umwelt und Verteidigung der demokratischen Rechte und Freiheiten zu wahlentscheidenden Kriterien für viele Wählerinnen und Wähler zu machen.

Es wäre allerdings verfehlt, das Wahlergebnis allein auf die geschürte Angst vor dem „Terrorismus“ zurückzuführen. Der Zuwachs des „Front National“ und die neuerliche Stärkung des bürgerlichen Rechtsblocks hatten sich auch schon vor den Attentaten vom 13.11. angekündigt. Diesen Tendenzen wurde durch die Terroranschläge zwar ein zusätzlicher Anstoß verliehen. Aber unübersehbar widerspiegelte sich darin auch die schon vorher erkennbar werdende Abkehr vieler Wählerinnen und Wähler von den Sozialisten wegen der gebrochenen Wahlversprechen von 2012 und die Tatsache, dass es Kommunisten, Grünen und anderen Parteien links von der PS nur wenig gelungen war, die enttäuschten sozialdemokratischen Wähler hinter ihren Fahnen zum Widerstand gegen die herrschende Politik zu versammeln.

PCF-Nationalsekretär Laurent erklärte in seiner ersten Stellungnahme zum Wahlergebnis, dass sich die Kommunisten keineswegs mit dem „politischen Desaster“ abfinden werden, das nun entstanden ist. Die Vereinigung aller Demokraten und Linken, die dieses „tödliche Szenarium“ nicht akzeptieren, sei jetzt mehr denn je notwendig. Die Ergebnisse der linken Listen seien „sicherlich noch sehr unzureichend“, aber dennoch „Stützpunkte für die kommenden Schlachten“, um die Rechten und den Front National zu schlagen. Die Frage nach einem „neuen, solidarischen und brüderlichen linken Projekt für unser Land und unsere Republik“ werde in dem neuen politischen Abschnitt, der jetzt beginnt, auf der Tagesordnung bleiben, und die Kommunisten seien entschlossen, hierfür in Gemeinsamkeit mit allen anderen dafür verfügbaren Kräften alle notwendigen Initiativen zu ergreifen. Für den zweiten Wahlgang am kommenden Sonntag rief die PCF zur Zusammenfassung aller Listen auf, die dem „Front National“ und dem Block der bürgerlichen Rechtsparteien den Weg an die Spitze der Regionen versperren können.

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"Wahlen unter Ausnahmezustand", UZ vom 11. Dezember 2015



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