Ein Stopp des türkischen Vormarschs in Syrien; ein weiterer Schritt auf dem langen Weg des Abzugs der USA aus diesem Land, die Stationierung der syrischen Armee im Grenzgebiet zur Türkei, die Übernahme ehemaliger US-Stützpunkte, die Aussicht auf weitere Zusammenarbeit zwischen SDF und Regierung – das waren die guten Nachrichten nach dem Angriff der Türkei auf den Norden Syriens. Es dauerte nur Tage bis zu einer erneuten Kehrtwende: Die US-Truppen werden doch nicht abgezogen. Und der Waffenstillstand wird von türkischer Seite immer wieder gebrochen.
Die Einigung zwischen der Türkei und Russland nimmt auch dem deutschen Vorschlag einer „international überwachten Sicherheitszone“ den Wind aus den Segeln. Zwar möchten NATO-Staaten wie Frankreich und Britannien nach ihrem unfreiwilligen Abzug gerne in den Norden Syriens zurückkehren. Doch ein „robustes Mandat der UN“, wie es Kramp-Karrenbauer verlangt, gehört wohl in das Reich der Träume. Und auch der Protest der syrischen Regierung bei den UN gegen den Angriff der Türkei wird allenfalls als störend empfunden und ignoriert.
Die Einigung zwischen der Türkei und Russland, der 10-Punkte-Plan, ermöglichte einen Waffenstillstand. Sie enthält neben Gemeinplätzen über die Erhaltung der territorialen Einheit Syriens und technischen Regelungen des Waffenstillstands eine Wiederbelebung des Adana-Abkommens aus dem Jahr 1998.
In diesem Abkommen hatte die Türkei das Recht zu militärischen Aktionen gegen die PKK auf der syrischen Seite der Grenze erhalten. Noch im Januar 2019 hatte das syrische Außenministerium eine Aktivierung des Adana-Abkommens ausgeschlossen, solange die Türkei den Terrorismus gegen Syrien unterstütze. Im 10-Punkte-Abkommen heißt es nun ganz klar, dass Russland die Umsetzung des Adana-Abkommens ermöglichen wird. Die syrische Regierung ist hier allenfalls Juniorpartner.
Der wichtigste Punkt des Abkommens ist: Beide Seiten arbeiten weiter an der Einsetzung einer Verfassungskommission im Rahmen des Astana-Prozesses. Diese Verfassungskommission war schon vor zwei Jahren vereinbart worden, ihre Zusammensetzung war aber bis zuletzt umstritten. Sie sollte sich aus Vertretern von Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft zusammensetzen und unter Mitwirkung der UN bestimmt werden. Über die UN-Beteiligung gelang es den USA immer wieder, die endgültige Festlegung der Mitglieder zu behindern. Und die Türkei widersetzte sich einer Teilnahme der SDF.
Mit dem Abzug der US-Truppen aus Teilen Nordsyriens kam Bewegung in die festgefahrene Situation. Ilham Ahmed, die Präsidentin des Exekutivkomitees des „Syrian Democratic Council“ (Syrischer Demokratischer Rat, SDC), der politischen Vertretung der SDF, verlangte von den USA, sie sollten die Teilnahme des SDC an der Verfassungskommission unterstützen. Auch Russland unterstützt die Teilnahme des SDC an einem politischen Prozess.
Wie sich aber eine derartige Teilnahme gestaltet, wie der Einfluss der USA aussehen wird, welche der beteiligten Kräfte überwiegt, wird vor allem davon abhängen, wie sich die Beziehungen zwischen Damaskus und den SDF entwickeln.
Aus all den sich überstürzenden Ereignissen der letzten Wochen ragt eines heraus: die Drohung der USA, die syrischen Ölquellen schützen zu wollen – vor ihrem Eigentümer, dem syrischen Staat. Dazu wollen sie gepanzerte Fahrzeuge und bis zu 1 000 Soldaten einsetzen.
Denn das ist des Pudels Kern: Wenn schon der Regime-Change nicht mehr möglich ist, sollen doch die US-Truppen in Syrien auch in Zukunft die Regierung schwächen, wo immer es geht.