„Nationale Sicherheitsstrategie“: Ampel sorgt sich um kritische Infrastruktur, aber schweigt zu Nord-Stream-Terror und maroder Bahn. Dafür feste Zusagen für Rüstungsindustrie

Waffen statt Weichen

Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche erstmalig eine „Nationale Sicherheitsstrategie“ beschlossen und mit großem Tamtam der Öffentlichkeit vorgestellt. 15 Monate haben die Verhandlungen zwischen den Ampel-Koalitionären gedauert. Bis zuletzt war das Papier als Verschlusssache behandelt worden. Selbst den zuständigen Ausschüssen im Bundestag blieb es vorenthalten, bis Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Strategie zusammen mit gleich vier Kabinettsmitgliedern bei einer gut besuchten Bundespressekonferenz in Berlin präsentierte. 76 Seiten umfasst die reichlich bebilderte Hochglanzbroschüre mit dem Titel „Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig. Integrierte Sicherheit für Deutschland“.

„Wir leben in einem Zeitalter wachsender Multipolarität“, stellt die Bundesregierung fest. Doch die wird als Bedrohung und nicht als Chance gesehen. Die Frage, ob sich Deutschland in der Welt des 21. Jahrhunderts anders positionieren müsste, wird nicht gestellt. Der Zusammenschluss der BRICS-Staaten, dem sich immer mehr Länder des globalen Südens anschließen wollen, spielt keine Rolle. Rechnung getragen wird auch nicht dem zunehmend selbstbewussten Agieren afrikanischer Staaten, die sich nicht mehr nach alter Kolonialherrenattitüde die „richtige“ politische Haltung diktieren lassen wollen. Stattdessen hält die Strategie an den bekannten politischen Etikettierungen und Frontstellungen fest. Es bleibt bei bloßer US-Gefolgschaft. „Die Festigung der transatlantischen Allianz und der engen und vertrauensvollen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ sei im deutschen Interesse. Die Volksrepublik China, Deutschlands größter Handelspartner, gilt der Ampel-Regierung wie in den EU-Papieren und NATO-Vorlagen als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“. Russland ist der Hauptfeind. Damit man es sich merken kann, wird der östlichste europäische Nachbar an gleich zwei Stellen als „auf absehbare Zeit größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum“ bezeichnet.

Dazu kommen dreiste Lügen zu deutschen Kriegsbeteiligungen: „Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Ausland stehen immer im Einklang mit dem Völkerrecht, dem Grundgesetz und den gesetzlichen Vorgaben.“ Selbst der damals verantwortliche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat inzwischen eingeräumt, dass der NATO-Krieg gegen Jugoslawien völkerrechtswidrig war. Die „Nationale Sicherheitsstrategie“ trägt den doppelten Standards der Ampel-Politik Rechnung, der Doppelmoral der Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock im Besonderen.

Geradezu absurd wird das Papier, wenn es um den Schutz der kritischen Infrastruktur vor Terroranschlägen geht. Kurz vor der Vorstellung der Strategie hatte das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf den US-Geheimdienst CIA berichtet, die Zerstörung der Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee gehe auf das Konto einer ukrainischen Spezialeinheit unter dem Kommando der ukrainischen Armee. Die Bundesregierung sei über die Anschlagspläne vorab informiert worden. Kanzler Scholz wiegelte Nachfragen dazu mit Verweis auf laufende Ermittlungen ab, für die der Generalbundesanwalt zuständig sei. Der größte Terroranschlag auf die europäische Energieinfrastruktur wird von der Bundesregierung ein ums andere Mal kleingeredet. In der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ wird er nicht einmal erwähnt. Ebenso wenig die Frage, ob mit der Weitergabe der von NATO-Staaten gelieferten Waffen an Neonazi-Milizen in der Ukraine nicht ein „Brauner IS“ kreiert wird, von dem Gefahren für die Sicherheit der Bürger in ganz Europa ausgehen.

Stattdessen werden die Ursachen von hausgemachten innenpolitischen Problemen ausgelagert. In ihrem Vorwort erklärt Außenministerin Baerbock ohne jede Ironie: „Sicherheit bedeutet im 21. Jahrhundert auch, dass im Winter unsere Heizungen laufen. Sicherheit bedeutet, dass wir in Apotheken Medikamente für unsere Kinder finden. Dass unsere Smartphones funktionieren, weil die notwendigen Mikrochips verlässlich geliefert werden können. Dass wir sicher zur Arbeit kommen, weil unsere Züge nicht durch Cyberanschläge lahmgelegt sind.“ Infolge des Wirtschaftskrieges der Ampel-Regierung ist Deutschland in der Rezession, während die russische Wirtschaft wächst. Die Beschäftigten hierzulande haben mehr als 4 Prozent Reallohnverlust, die Lebensmittelpreise sind explodiert. Es mangelt an Medikamenten für Kinder und Krebskranke, doch die Debatte dreht sich darum, ob beziehungsweise wann denn die Kriegswirtschaft hochgefahren wird, damit genug Panzer und Munition für den Stellvertreterkrieg gegen Russland produziert werden. Und wenn die Smartphones in manchen Teilen des Landes nicht funktionieren, dann nicht, weil es an Chips, sondern an notwendiger Infrastruktur fehlt, die sich im kapitalistischen System nicht flächendeckend rechnet. Züge müssen nicht durch Cyberanschläge lahmgelegt werden, dafür sorgt allein die marode Infrastruktur – jede vierte Weiche ist mittlerweile in mangelhaftem Zustand, ebenso gut jede zehnte Brücke und die Hälfte der Stellwerke. Die notwendigen Sanierungskosten sollen 89 Milliarden Euro betragen.

Lösungen für diese Probleme hat die „Nationale Sicherheitsstrategie“ nicht, weil sie als solche gar nicht benannt werden – statt in neue Weichen investiert die Ampel in mehr Waffen. Die Militärausgaben sollen auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen, auf 70 bis 80 Milliarden Euro jährlich, verspricht die Ampel den Rüstungsschmieden. Rheinmetall-Chef Armin Papperger war vergangenen Freitag schon zum „Speed-Dating“ bei der NATO in Brüssel. „Das wird das beste Jahr im Auftragseingang sein ever.“ SPD und Grüne machen es mit der FDP möglich, die Bürger und ihre Kinder und Enkel sollen es bezahlen.

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"Waffen statt Weichen", UZ vom 23. Juni 2023



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