Eine Analyse des „European Leadership Network“ sorgt für Aufsehen

Wachsende Spannungen

Von nh

Seit Anfang des Jahres vergeht fast kein Monat ohne militärische Aktivitäten. Permanent provozieren NATO-Truppen in der Nähe der russischen Grenzen – und Russland antwortet mit Übungsflügen von Militärmaschinen oder eigenen Manövern. Zahl und Umfang der Manöver haben in diesem Jahr offenbar deutlich zugenommen.

So begann beispielsweise im Mai in Nordeuropa am Polarkreis eine groß angelegte zweiwöchige Nato-Luftwaffenübung („Arctic Challenge“). Darauf antwortete Russland mit eigenen Luftabwehrmanövern. Während an der Übung im nördlichen Polarkreis 100 Nato-Flugzeuge und 4 000 Soldaten aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Finnland, Schweden, der Schweiz und den USA teilnahmen, wurden im Ural und Westsibirien ungefähr 250 russische Flugzeuge und 12 000 Soldaten mobilisiert.

Am 31. August beginnt das NATO-Marinemanöver „Sea Breeze“ im Schwarzen Meer. Die russischen Streitkräfte bereiten sich auf eine Übung unter der Bezeichnung „Center“ vor, die im September stattfinden soll. Auf beiden Seiten sind für dieses Jahr weitere Militärübungen geplant.

All diese Aktivitäten werden von Sicherheitsexperten mit zunehmender Sorge gesehen. Davon zeugt ein Dossier des „European Leadership Network“ (ELN, Sitz London), das in der vergangenen Woche erschien, Aufsehen erregte und dem aus NATO-Kreisen sofort widersprochen wurde. Eine Sprecherin der Nato erklärte sofort, in der Analyse würden „in irreführender Weise“ Nato-Manöver mit denen Russlands gleichgesetzt. Sie bezeichnete die Aktivitäten des westlichen Bündnisses als angemessene Reaktion auf die „zunehmende russische Aggressivität“. Nur eigenartig, dass die russischen Manöver entweder nur auf dem eigenen Territorium oder im angrenzenden (internationalen) Luftraum bzw. internationalen Gewässern stattfinden …

Nun, das ELN ist gewiss eher NATO-freundlich, besteht es doch aus prominenten früheren Mitgliedern europäischer Regierungen und der North Atlantic Treaty Organization (NATO). Zum Netzwerk gehören auch deutsche Politiker wie Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt und der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Der Titel des Berichts lautet: „Wir bereiten uns aufs Schlimmste vor: Erhöhen die Militärmanöver Russlands und der Nato die Wahrscheinlichkeit eines Krieges in Europa?“. („Preparing for the Worst: Are Russian and NATO Military Exercises Making War in Europe more Likely?“)

Die ELN-Sicherheitsexperten Ian Kearns, der Direktor des „Thinktanks“, Lukasz Kulesa, Thomas Frear kommen in ihrem Dossier zur Schlussfolgerung, dass sich Russland und die Nato aktiv auf eine mögliche militärische Konfrontation vorbereiten. Die jüngsten Manöver würden zeigen, dass beide Seiten mit Blick auf die Fähigkeiten der jeweils anderen Seite und vermutlich sogar mit Kriegsszenarien im Hinterkopf trainierten.

Die Übungsaktivitäten gäben Anlass zur Sorge und trügen mit dazu bei, die durch den Ukraine-Konflikt entstandenen Spannungen in Europa aufrechtzuerhalten. „Wir behaupten nicht, dass die Führung einer Seite entschieden hätte, in den Krieg zu ziehen oder dass es ein militärischer Konflikt unausweichlich wäre – aber dass es Tatsache ist, dass sich das Profil der Übungen verändert hat …“

Sie stellen fest, dass sich „in den letzten 18 Monaten … vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen erheblich verschlechtert“ haben, geben aber allein Russland die Schuld, sprechen von einer von Russland „angezettelten“ gefährlichen „Politik des äußersten Risikos“, die zu gefährlichen militärischen Begegnungen zwischen den Kräften Russlands und der NATO sowie ihrer Partner geführt habe. Ein weiterer Aspekt sei der erhöhte Umfang und die Größe der militärischen Übungen. „Die Übungen der beiden Seiten haben ähnliche Merkmale – schnelle Mobilisierung und Verlagerung der Kräfte in weit entfernte Gebiete bei Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft, während die Landstreitkräfte durch die Luft- und Seestreitkräfte bei gemeinsamen Übungen zur Luft- und Seeüberlegenheit unterstützt werden.“

Sowohl Russland als auch die Nato legen – so die Sicherheitsexperten des ELN – bei den Manövern ihren Schwerpunkt auf Osteuropa: Die Nato konzentriert sich auf das Baltikum und Polen, Russland auf die Arktis, den Norden, Kaliningrad, die Krim und seine Grenzen zu den Nato-Staaten Estland und Lettland.

Die jüngsten Manöver würden zeigen, so das ELN, dass beide Seiten mit Blick auf die Fähigkeiten der jeweils anderen Seite und vermutlich sogar mit Kriegsszenarien im Hinterkopf trainierten. Die Übungen gäben Anlass zur Sorge und trügen mit dazu bei, die durch den Ukraine-Konflikt entstandenen Spannungen in Europa aufrechtzuerhalten.

„Wir behaupten nicht, dass die Führung einer Seite entschieden hätte, in den Krieg zu ziehen, oder dass ein militärischer Konflikt unausweichlich wäre – aber dass es Tatsache ist, dass sich das Profil der Übungen verändert hat“.

Die Gefahr eines Krieges in Europa wächst.

Der ELN-Bericht kann im englischen Original nachgelesen werden unter http://www.europeanleadershipnetwork.org/

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"Wachsende Spannungen", UZ vom 21. August 2015



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