Großdemonstration in Dortmund erinnert an Polizeimord an Mouhamed Lamine Dramé vor einem Jahr

Wache Nord – das war Mord!

1.500 Menschen haben nach Angaben der Veranstalter am Samstag in Dortmund an den Polizeimord an Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 erinnert. Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed, ein Netzwerk gedenkpolitischer Initiativen aus Dortmund, hatte bundesweit zu dieser Demonstration mobilisiert. Teils bei Starkregen skandierten die Demonstranten Parolen wie „Wache Nord – das war Mord!“, „Justice for Mouhamed“, aber auch „Deutschland, Frankreich, USA – Alle raus aus Afrika!“ Immer wieder applaudierten Passanten dem Demozug.

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Auftaktkundgebung an der Katharinentreppe vor dem Dortmunder Hauptbahnhof (Foto: Uwe Bitzel/r-medabase.eu)

Ein Betreuer der katholischen Jugendeinrichtung St. Antonius in der Dortmunder Nordstadt hatte am Nachmittag des 8. August letzten Jahres die Polizei verständigt, weil der suizidgefährdete 16-jährige Dramé mit einem Messer alleine auf dem geschlossenen Innenhof der Jugendhilfeeinrichtung saß. Die herbeigerufenen Polizisten der Polizeiwache Nord schalteten weder ein Kriseninterventionsteam noch einen Dolmetscher ein. Stattdessen besprühten sie den Jugendlichen mit abgelaufenem Reizgas und setzten dann zwei mal eine Distanz-Elektroimpulswaffe ein. 0,717 Sekunden nach dem zweiten Taser-Einsatz mähte ein Polizist Dramé mit fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole nieder. Dramé starb kurz darauf im Krankenhaus.

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Die Polizei – Dein Freund und Helfer? Ein Demonstrant widerspricht. (Foto: Uwe Bitzel/r-mediabase.eu)

Der Todesschütze muss sich demnächst wegen Totschlags vor Gericht verantworten, drei weitere Beamte wegen gefährlicher Körperverletzung, und der Einsatzleiter wegen Anstiftung zu gefährlicher Körperverletzung.
„Die große Trauer, Wut und Verzweiflung ist auch nach einem Jahr ungebrochen und wir sind überwältigt von dieser breiten Beteiligung“, erklärte Anna Neumann, Pressesprecherin des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed.

Mitorganisator William Dountio verlas ein Grußwort der Familie Mouhamed Dramés auf der Auftaktkundgebung. Seine Mutter weine noch immer jeden Tag um Mouhamed, schrieb dessen Bruder Sidy Dramé. Er und weitere Mitglieder der Familie Dramé verfolgten die Demonstration im Live-Stream. Dountio kritisierte, weder Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) noch Polizeipräsident Gregor Lange habe sich bei Familie Dramé gemeldet. „Es gab keinen Brief, kein Telefonat, nicht mal eine E-Mail“, das habe ihm die Familie Mouhameds mitgeteilt.

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William Dountio vom Netzwerk Justice4Mouhamed spricht auf der Demo anlässlich des Jahrestages des Polizeimords an Mouhamed Dramé in Dortmund. (Foto: Jochen Vogler/r-mediabase.eu)

Die Familie verlange die volle Aufklärung des Mordes an Mouhamed. Der Solidaritätskreis hat bereits Flugtickets für sie gebucht, damit sie dem Prozess als Nebenkläger beiwohnen können. Familie Dramé möchte den Ort sehen, an dem Mouhamed ermordet wurde, den Tätern Fragen stellen und eine Entschuldigung von ihnen hören. Der Solidaritätskreis fordert von der Stadt Dortmund, dafür zu sorgen, dass die Familienmitglieder kostenlos und unbürokratisch die zur Einreise notwendigen Visa erteilt bekommen.

Mitorganisationen der Demo verurteilten polizeiliche Repression im Vorfeld wie die Auflage, vor der Wache Nord nicht zum stehen zu kommen. Die Zwischenkundgebung auf dem Freiherr-vom-Stein-Platz war so gut besucht, dass dennoch Menschen vor der Wache Nord stehen mussten. Die wurde von mehreren Dutzend Polizisten in Kampfmontur von der friedlichen Demonstration „abgeschirmt“. Kritik entzündete sich auch daran, dass Polizeibeamte in Zivil entgegen einer anderslautenden Abmachung unangemeldet die Demo infiltrierten.

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So, so, so viele Einzelfälle: Transparent mit Namen von Menschen, die in Deutschland von der Polizei getötet wurden (Foto: Jochen Vogler/r-mediabase.eu)

Viele der Rednerinnen und Redner erinnerten an zahlreiche weitere Opfer rassistischer Polizeigewalt. Die Bochumer Initiative „Tode bei Polizeieinsätzen aufklären“ (TOPA) hat alleine für das Jahr 2022 36 Todesfälle infolge von Polizeigewalt gezählt.

„Seit unserem letzten Grußwort für diese Demo sind über dreißig Todesfälle dazugekommen. Damit niemand nachhakt, heißt es dann oft, die Betroffenen seien vor ihrer Tötung aggressiv gewesen, in einer psychischen Krise oder unter dem Einfluss irgendwelcher Drogen“, erklärte die Kampagne Death in Custody. Auch nach der Ermordung Mouhamed Dramés hatten Polizei und manche bürgerlichen Medien Mouhamed als „aggressiven Angreifer“ dargestellt.

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Die Demonstranten in Dortmund fordern Gerechtigkeit für Mouhamed Dramé. (Foto: Uwe Bitzel/r-mediabase.eu)

„Wofür wir kämpfen ist, dass dieser institutionelle Rassismus der Polizei- und Justizbehörden endlich gesehen wird“, bekundete die Initiative Ahmed Ahmad. „Wir fordern einen strukturellen Wandel der Behörden. Das Wegsehen, wenn jemandem massives Unrecht widerfährt, muss ein Ende haben – genau das ist leider eine tödliche Realität mit Kontinuität. Aber wir wollen und werden uns nicht an diesen Normalzustand gewöhnen.“

Die Sozialwissenschaftlerin Vanessa E. Thompson stellte in ihrer Rede Rassismus und Gewalt in der Polizei in den Kontext deutscher Kolonialgeschichte. Mehrere Redner forderten, die Militärs der imperialistischen Länder müssten sich endlich aus Afrika zurückziehen.

Just am Jahrestag der Ermordung Mouhamed Dramés hatte die Stadt Dortmund eine Flugblattaktion des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed auf dem Nordmarkt gewaltsam abgebrochen. Ein Aktivist erlitt massive Prellungen. „Diesen Vorfall werden wir in naher Zukunft erneut thematisieren. Heute steht jedoch das Gedenken an Mouhamed im Fokus“, sagte Anna Neumann.

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