Die Kosten der Abgasaffäre soll die Belegschaft tragen

VW baut um

Von Klaus Stein

Im September 2015 entdeckte die US-amerikanische Umweltschutzbehörde in VW-Dieselfahrzeugen Manipulationen zur Umgehung der Abgasnormen. Die betreffende Software war in elf Millionen Fahrzeugen eingebaut. Aber auch in Europa zugelassene Autos waren betroffen, zudem Audi und Porsche. Ein Skandal. Unverzüglich musste VW-Vorstandsvorsitzender Martin Winterkorn zurücktreten. Sein Nachfolger Matthias Müller versprach am 25. September 2015: „Meine vordringlichste Aufgabe wird es sein, Vertrauen für den Volkswagen-Konzern zurückzugewinnen durch schonungslose Aufklärung und maximale Transparenz“. Da kam aber nichts. Dennoch wurde bald bewiesen, dass die Maßnahmen den Verantwortlichen bekannt und mit Bedacht angeordnet waren. Die Kosten sind schon abzuschätzen. Sie sind hoch, VW wird dafür zahlen. Unabsehbar sind die ökologischen Schäden.

Unbeeindruckt bestreitet Volkswagen (FAZ 3.11.2016) unterdessen, dass die Stickoxid-Emissionen von Diesel-Pkw gesundheitsschädlich seien. „Eine seriöse Ermittlung von Krankheitszahlen oder sogar Todesfällen für bestimmte Bevölkerungsgruppen ist nach unserem Kenntnisstand aus wissenschaftlicher Sicht nicht möglich.“ Der Konzern sieht in der Abgasaffäre keinen Verstoß gegen EU-Gesetze und glaubt, mit diesem Einwand Schadenersatzzahlungen in Deutschland und Europa vermeiden zu können. Die eingebaute Software stelle nach Ansicht des Konzerns „keine unzulässige Abschalteinrichtung nach europäischem Recht dar“. Schadenersatzansprüche von Kunden bestreitet VW energisch.

Der Vorstand der IG Metall wiederum will „Neue Abgasnormen als Chance nutzen“ (Ffm, Oktober 2016). Denn ein Strukturwandel der Autoindus­trie könne nur dann gelingen, wenn er gleichermaßen die umwelt-, die industrie- und die beschäftigungspolitischen Ziele im Blick habe. Ohnehin wolle die EU-Kommission die Typenzulassung europäisch neu regulieren. Grund hierfür seien die Manipulationen der Dieselabgase durch Volkswagen, aber auch die in diesem Zusammenhang öffentlich gewordenen erheblichen Abweichungen von Test- zu Realbetrieb.

Bekannt ist: damit wir aus Nahrung Energie gewinnen können, benötigen wir Sauerstoff. Den geben Pflanzen ab, die wiederum Kohlenstoffdioxid aufnehmen, das wir ausatmen. Aber es reichern Verbrennungsprozesse in Industrie und Verkehr im Übermaß die Atmosphäre mit Kohlenstoffdioxid an. Nicht erst seit der VW-Abgasaffäre wird über die Abschaffung von Verbrennungsmotoren diskutiert. Insgesamt verursachen Automobile 18 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen – sobald sie fahren. Vorher schon, bei der Herstellung eines Fahrzeugs von 1,5 Tonnen Gewicht schlagen 70 Tonnen Material in die Ökobilanz. Hernach transportiert das Fahrzeug allenfalls ein Zehntel des eigenen Gewichts. Es wird im Schnitt von 1,3 Menschen für zwei Stunden am Tag genutzt. Die übrigen 22 Stunden steht es herum, selbstverständlich erst nach Entdeckung einer Parklücke. Der Anteil des Suchverkehrs kann sich schon mal an Vorweihnachtswochenenden von 40 auf 90 Prozent erhöhen. Zudem erweist sich in Wahrheit unter den gegenwärtig herrschenden Bedingungen die ersehnte Parklücke als Marktlücke. Von den Staus, die immerhin schnelle Cabrios, SUVs und zuckelige Kleinwagen gleichermaßen und statusnivellierend betreffen, soll hier mal nicht die Rede sein. Aber all diese Hemmnisse gehören in die Bilanz, wenn die widrigen Verhältnisse bewertet werden, in denen sich die Produktivkraft namens Mobilität zu entfalten hätte.

Im Oktober einigte sich VW mit den amerikanischen Behörden auf einen Kompromiss. Er kostet 13,5 Milliarden Euro, betrifft aber nur die 2-Liter-Dieselautos. Strittig sind noch die Zahlungen über die 3-Liter-Modelle. Da werden weitere, wenn auch geringere Milliardensummen fällig – abgesehen von den Strafzahlungen an die US-Regierung.

Die Affäre ist Ausdruck und Wirkung einer Krise der Autoindustrie, nicht nur der deutschen. Im Januar hatten sich schon Exporteinbrüche angedeutet. Die vergangenen Monate bestätigten einen solchen Trend noch nicht. Indes fielen die Oktoberzahlen ungünstig aus. Die Neuzulassungen sanken nach Angaben des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) um sechs Prozent im Verhältnis zum Vorjahresmonat auf 262 700, der Export um acht Prozent auf 364 700 und die Produktion um elf Prozent auf 472 800 PKW.

Die Krise macht die Zukunft der Autoproduktion unsicher. Einerseits wird die Produktivität forciert. Zum anderen soll die E-Mobilität ausgebaut werden. „In China, das beim Umbau zur Elektromobilität der führende Markt sein wird, wird über die vollmundigen europäischen Bekenntnisse zur Digitalisierung oft nur milde gelächelt“, merkt die FAZ am 27. Oktober an.

Die Kosten der Abgasaffäre soll die Belegschaft tragen. Die Rechnung wird ihr als „Zukunftspakt“ präsentiert. Bis 2020 werden 14 000 Arbeitsplätze ganz wegfallen, weitere 23 000 „sozialverträglich und entlang der demografischen Kurve“ abgebaut. Der Vorstand verspricht, betriebsbedingte Kündigungen für die nächsten neun Jahre (bis 2025) auszuschließen. „Niemand im Stamm“ müsse Angst um seinen Arbeitsplatz haben. Die Altersteilzeitangebote würden ausgebaut. Das Unternehmen will in der Verwaltung bis Ende 2020 einen dreistelligen Millionenbetrag sparen. In der Verwaltung „kann“ die Arbeitszeit „in einzelnen Bereichen“ „in Abstimmung mit dem Betriebsrat“ und „befristet“ auf 40 Stunden steigen.

Die Zahl der Leiharbeiter soll deutlich sinken.

Es ist eine Steigerung der Produktivität um 25 Prozent bis 2020 vereinbart. Damit will das Unternehmen ganz offen den Gewinn um mehrere Milliarden Euro verbessern. „Bei Volkswagen galt und gilt, dass Wirtschaftlichkeit und Beschäftigung gleichrangige Unternehmensziele sind.“ sagt der Betriebsratsvorsitzende Osterloh und richtet die Hoffnungen auf die E-Mobiltät. „Mit diesen Autos werden wir uns an die Spitze der Indus­trie setzen. Der Betriebsrat hat in den Verhandlungen um den Zukunftspakt dafür gesorgt, dass diese Zukunftsautos in Deutschland gebaut werden. So sichern wir langfristig Beschäftigung.“ Auch in den anderen Zukunftsbereichen wie Digitalisierung, autonomes Fahren und Mobilitätsdienstleistungen entstünde „auf Druck des Betriebsrats“ zusätzliche – 9 000 Arbeitsplätze sollen es werden – Beschäftigung.

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"VW baut um", UZ vom 2. Dezember 2016



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