Vorwand für den faschistischen Terror

Von Kurt Baumann

Am 27. Februar, kurz nach 21 Uhr, brannte der Reichstag. Wie zufällig waren die Naziführer schnell vor Ort. Den ebenso schnell erschienenen Journalisten erklärten Joseph Goebbels und Hermann Göring, die Brandstiftung könne nur das Werk der Kommunisten sein. Adolf Hitler bezeichnete den Brand als ein Zeichen Gottes, ein Signal dafür, dass der Kommunismus in Deutschland vernichtet werden müsse. „Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr.“

Noch in der Nacht begann die Razzia des faschistischen Staates. Auf Grundlage von bereits unter der sozialdemokratisch regierten preußischen Polizei angelegten Listen wurden Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und bürgerliche Antifaschisten in großer Zahl verhaftet. Ernst Schneller, einer der Teilnehmer der Ziegenhalser Tagung, der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Carlo Mierendorff und die Schriftsteller Egon Erwin Kisch, Erich Mühsam und Carl von Ossietzky waren darunter. Die Nazis setzten vorbereitete Presseverbote um: die gesamte sozialdemokratische und kommunistische Presse wurde verboten.

Am Tag darauf wurde auf der Grundlage des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung die „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ in Kraft gesetzt (zum Artikel 48 siehe Teil 3 unserer Reihe). Diese Notverordnung ist das Kernstück von über 460 Sondergesetzen und Verordnungen, die diese Phase des Aufbaus und der Stabilisierung der faschistischen Diktatur rechtlich absichern.

Die bisher nicht festgenommenen Funktionäre der KPD wurden nun per Haftbefehl gesucht, darunter Mitglieder des Zentralkomitees, Bezirkssekretäre und (von den Gesetzen der Weimarer Republik angeblich geschützte) Mitglieder des Reichstages und der Landtage. Die Haftbefehle wurden per Funk an die Polizeidienststellen des ganzen Landes durchgegeben. Bei Festnahmen sollte sofort das Polizeipräsidium Berlin, Abteilung I (Politische Polizei) benachrichtigt werden. Gesucht wurden unter anderem die Teilnehmer der Ziegenhalser Tagung Wilhelm Pieck, Johnny Schehr, Ernst Thälmann und Walter Ulbricht.

Das Zentralkomitee reagierte in zwei Aufrufen auf diese Eskalation. Zerstreut und unter dem Druck der faschistischen Verfolgung war es zu dieser taktischen Leistung fähig, weil die Analyse der Kommunistischen Internationale, des Zentralkomitees und besonders Thälmanns so genau gewesen war, diese Eskalation vorauszusehen – die Phase der Halblegalität und die folgende Phase der Illegalität wurden bereits früh vorbereitet. Ausgehend von der Analyse, dass der gegenwärtig auch den Arbeitern bewusste Hauptwiderspruch die Verschärfung der politischen Lage war, formulierte das Zentralkomitee den Aufruf an den Parteivorstand der SPD und den Bundesvorstand des ADGB zu Kampfaktionen und zum politischen Generalstreik. Die Forderungen waren: Aufhebung sämtlicher Presse- und Versammlungsverbote, Aufhebung des Schießerlasses Görings für die Polizei sowie der Schutzhaftverfügungen, die die Einkerkerung von Antifaschisten auf fast unbestimmte Zeit ermöglichten. Die geeinte Kraft der Arbeiter sollte sich gegen den faschistischen Terror richten. Sie sollte damit die Bedingungen für den Abwehrkampf gegen die von der Hitler-Regierung beabsichtigten Angriffe auf die materielle Lage der Arbeiter verbessern und so – wie bereits von Thälmann in Ziegenhals ausargumentiert – den Sturz des faschistischen Hitler-Regimes ermöglichen.

Der Parteivorstand der SPD sowie der Bundesvorstand des ADGB standen jedoch voll im Zeichen der legalistischen Illusion. Hitler werde abwirtschaften, erklärte man, er würde sich an die Verfassung halten müssen.

Das zeigt, wie gering der Einfluss der KPD auf die Arbeiterbewegung insgesamt war, trotz – oder gerade wegen der richtigen Einschätzungen des Zentralkomitees und Thälmanns – springt dieser Widerspruch einer richtigen Politik, die nicht zum Kampfplan der Arbeiterklasse und des Volkes gemacht werden konnte, ins Auge. Diesen Widerspruch aufzulösen wurde zur zentralen theoretischen Aufgabe kommunistischer Entwicklung von Strategie und Taktik seit diesem Zeitpunkt.

Dieser Beitrag ist ein Auszug des sechsten Teils der Artikelserie „Die KPD im antifaschistischen Abwehrkampf“, die in UZ zwischen 2022 und 2023 erschienen ist.

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