Inge Humburg aus Hamburg meint, im Sozialismus stellt sich immer wieder die Klassenfrage

Vorwärts oder rückwärts? Wo stehen wir?

Inge Humburg

Wolfram Elsner bezeichnet in der Antwort auf Paul Rodermund den sowjetischen Weg im Unterschied zum chinesischen als „eben nicht so erfolgreich“. Ich nehme an, dass er nicht den ungeheuren Sprung der nachholenden Produktivkraftentwicklung in den 1930er Jahren bestreitet, der in zwei Fünfjahresplänen die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Ausrüstung einer siegreichen Armee gegen die Speerspitze des Imperialismus erreicht hat. Für spätere Jahre der Sowjetunion ist ein Tempoverlust bis hin zur Stagnation allerdings nicht zu bestreiten. Was war dessen Ursache? Unzureichende „Reform und Öffnung“ à la China, würde Elsner wohl sagen. „People’s Daily“ – Auslandsblatt des ZK der KP Chinas – analysierte am 7. August 2020: „Öffentliches Eigentum, Planwirtschaft und Verteilung nach Arbeit wurden mechanistisch umgesetzt. Es bildete sich ein stark zentralisiertes Wirtschaftssystem und verlor so an Vitalität.“ Die Schlussfolgerung für China: „Wir mussten erkennen, dass das einseitige Streben nach dem Egalitarismus und der Produktion nach Planungsdirektive auf längere Sicht zu einer zu langsamen Entwicklung der Produktivkräfte führt.“

Etwa so dürftig habe ich das in der Schule gelernt: Zentralverwaltungswirtschaft hat in rückständigen Ländern Erfolg. Dann wird sie zu komplex für Planung und es zeigt sich die Überlegenheit flexibler Marktinstrumente und des privaten Gewinnstrebens als Triebfeder.

Demgegenüber müsste eine marxistische Analyse klarmachen, dass Tempoverlust nach anfänglichen riesigen Erfolgen nur eine Erscheinungsform der Tatsache ist, dass die Produktionsverhältnisse beginnen, die Entwicklung der Produktivkräfte zu hemmen. So geht auch Josef Stalin 1951 in „Ökonomische Probleme des Sozialismus“ an die Frage heran:

Das „kollektivwirtschaftliche Gruppeneigentum und die Warenzirkulation“ beginnen, „die machtvolle Entwicklung unserer Produktivkräfte zu hemmen, insofern sie der völligen Erfassung der gesamten Volkswirtschaft, insbesondere der Landwirtschaft, durch die staatliche Planung hindernd im Wege stehen“. Stalin schlussfolgert: Aufhebung der verbliebenen unterschiedlichen Eigentumsformen und des Austausches der Produkte als Waren und Verbesserung der Bedingungen dafür, dass die Mitglieder der Gesellschaft stärker deren aktive Gestalter werden können. Abschließend schreibt er gegen die revisionistische Linie in der Partei: „Diese (…) tiefgreifendste ökonomische Veränderungen erheischende Aufgabe auf die rationelle Organisation der Produktivkräfte reduzieren zu wollen, (…) hieße an die Stelle des Marxismus (…) Unsinn zu setzen.“

Gegensätzlicher können die beiden Analysen – der KP Chinas und Stalins – der auftretenden Stagnation und die Schlussfolgerungen daraus kaum ausfallen. Zugleich sind diese beiden gegensätzlichen Positionen typisch für eine Gesellschaft im Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus. Die in ihr noch vorhandenen Elemente des Kapitalismus und die schon existierenden Elemente einer kommunistischen Gesellschaft geraten mit der fortschreitenden Entwicklung der Produktivkräfte notwendig in Widerspruch zueinander. Es gibt immer drei Möglichkeiten, mit diesen objektiven Widersprüchen umzugehen: Zurück in Richtung Kapitalismus, die Probleme aussitzen oder Kurs halten auf den Kommunismus durch weiteres Zurückdrängen der Muttermale des Kapitalismus.

Deshalb bedarf die Arbeiterklasse einer kommunistischen Partei, die trotz eventuell notwendiger Umwege Kurs zur Weitereinwicklung der Produktionsverhältnisse in Richtung Kommunismus hält. Der genannte objektive Widerspruch und seine Widerspiegelung auch in den Köpfen der Parteimitglieder sind der Grund dafür, dass die Konterrevolution im Sozialismus und auch in der Partei immer noch siegen kann.

Schlimm, dass sich der Parteivorstand im China-Antrag mit einer falschen Analyse auf die falsche Seite stellt. Hoffentlich finden wir auf dem Parteitag zu unseren kommunistischen Wurzeln zurück.

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"Vorwärts oder rückwärts? Wo stehen wir?", UZ vom 27. Januar 2023



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