BRD schiebt Palästinenser und pro-palästinensische Studierende ab

Vorwärts in die Vergangenheit

Leon Wystrychowski

Die Repression gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung in der BRD verschärft sich weiter: Seit dem 7. Oktober 2023 haben die Behörden ihr gegen diese Bewegung eingesetztes Repertoire an Zwang und Zensur stets erweitert. Es reicht von der Untersagung von Begriffen wie „Genozid“ und der Kriminalisierung von Parolen wie „From the River to the Sea, Palestine will be free“ über Demo- und Teilnahmeverbote, gesprengte Kongresse, aufgelöste Camps, tausende Strafanzeigen und massive Polizeigewalt bis hin zu Vereinsverboten. Seit Kurzem gehören auch Abschiebungen sowohl von Palästinensern als auch von pro-palästinensischen ausländischen Studierenden dazu. Letzte Woche wurde bekannt, dass vier Studierende aus den USA, Irland und Polen wegen ihres palästinasolidarischen Engagements ausgewiesen wurden. Weniger bekannt ist, dass in den letzten Monaten bereits Palästinenser in die Elendslager Griechenlands abgeschoben wurden und weiteren dasselbe Schicksal droht.

Auch wenn die Inspiration dazu vermutlich aus den USA kam, wo die Trump-Regierung in den letzten Wochen hunderte ausländische Studierende ausgewiesen hat, die sich für Palästina einsetzen, kann die Bundesrepublik diesbezüglich aus ihrer eigenen Geschichte schöpfen: 1972/73 nämlich wurden tausenden Palästinensern und Arabern die Aufenthaltserlaubnis für die BRD entzogen bzw. die Einreise verwehrt. Das ganze war auch damals begleitet von einer zutiefst rassistischen und hysterischen Hetzkampagne.

Vom „Schwarzen September“ …

Im September 1970 begann die jordanische Armee mit einem Großangriff auf die palästinensischen Flüchtlingslager im eigenen Land, in denen hunderttausende Menschen lebten. Nach erbitterten Kämpfen und 20.000 Toten auf Seiten der Palästinenser gelang es dem jordanischen Regime, die PLO aus dem Land zu drängen. Dieser Krieg ging als „Schwarzer September“ in die Geschichte ein. Eine ebenso benannte Geheimorganisation, die der Fatah nahe stand, begann kurz darauf mit Vergeltungsoperationen. Im November 1971 tötete der „Schwarze September“ den jordanischen Premierminister Wasfi al-Tall. Kurz darauf scheiterte ein Attentat auf den jordanischen Botschafter in London.

Auch die BRD, die sowohl Israel als auch Jordanien mit Waffen belieferte, wurde Operationsgebiet des „Schwarzen September“. Im Februar 1972 verübte er einen Sabotageakt auf das Hamburger Rüstungsunternehmen Strüver. Die bekannteste Operation allerdings war die Geiselnahme der israelischen Olympiamannschaft im September desselben Jahres. Das Unternehmen wird im deutschen Diskurs fälschlicherweise als „Attentat“ oder „Anschlag“ bezeichnet. Den palästinensischen Kämpfern ging es aber gar nicht darum, die Israelis zu töten. Vielmehr wollten sie mit ihnen hunderte palästinensische Gefangene freipressen. Außerdem erklärten sie, dass Israel genauso von der Olympiade hätte ausgeschlossen werden müssen wie die Apartheidregimes Südafrikas und Simbabwes. Dass die Operation in einem Blutbad endete, war vor allem darauf zurückzuführen, dass aus Tel Aviv die Anweisung kam: „Mit Terroristen wird nicht verhandelt!“ Die Bundespolizei lockte Palästinenser wie Israelis in eine Falle und eröffnete das Feuer. Am Ende waren elf Israelis, fünf Palästinenser und ein Polizist tot.

Unmittelbar nach den Ereignissen von München begann eine antiarabische Kampagne in den westdeutschen Medien. Hatte man „die Araber“ fünf Jahre zuvor, als Israel seine Nachbarländer überfallen und ganz Palästina sowie Teile Syriens, Ägyptens und Libanons besetzt hatte, in den westdeutschen Medien noch verhöhnt und Israels „Blitzkrieg“ als eine Art Hommage an den Wehrmachtsgeneral Rommel gefeiert, waren die arabischen Staaten jetzt zum gefährlichen Feind mutiert: „Die Bundesrepublik befindet sich im Krieg. Mit den arabischen Terroristen und mit den Regierungen jener Länder, in denen sie ihre Mordpläne ungehindert aushecken können“, polterte etwa der Stern-Herausgeber Henri Nannen. Und er forderte: „Da niemand von uns prüfen kann, welche Araber friedlich und welche verkappte Terroristen sind“, sollten „alle Staatsangehörigen jener arabischen Staaten, die das Treiben der palästinensischen Terrororganisationen fördern, fristlos aus dem Bundesgebiet“ ausgewiesen werden. „Leider“, so fügte er hinzu, würden „davon auch Unschuldige betroffen“ sein, doch in Kriegszeiten gelte eben die Devise, lieber zehn Unschuldige zu treffen, als einen Schuldigen davonkommen zu lassen. Ähnlich äußerte sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Wischnewski: „Bürger aus Ländern, die Terror dulden und unterstützen, können in unserem Land weder arbeiten noch studieren. Wir wissen, dass wir dabei bedauerlicherweise auch Unschuldige treffen.“

Die Brandt-Regierung folgte diesen Rufen. Noch Ende September fanden Razzien in Wohnheimen und Treffpunkten arabischer Arbeiter und Studierender statt. Dabei wurden hunderte Menschen verhaftet, stundenlang verhört und teilweise misshandelt. Bis Anfang Oktober wiesen die Behörden rund 300 Personen aus und verweigerten bis zu 2.000 Arabern die Einreise in die BRD. Außerdem wurde die Visumspflicht auf Marokko, Tunesien und Libyen ausgeweitet, aus denen man zuvor „Gastarbeiter“ angeworben hatte. Anfang Oktober dann verbot das Bundesinnenministerium die Generalunionen Palästinensischer Studierender (GUPS) und Palästinensischer Arbeiter (GUPA). Zusammen sollen dort bis zu 2.000 Palästinenser organisiert gewesen sein, darunter nahezu alle palästinensischen Studierenden in der BRD. Daraufhin erfolgte die nächste Abschiebewelle gegen Araber. Der Soziologe Björn Pätzoldt, damals Gastprofessor an der FU Berlin, schrieb 1974, dass „seither weit mehr als 1.000 abgeschoben worden“ seien.

… zum 7. Oktober

Die Parallelen zwischen heute und damals sind unübersehbar, vom Auslöser – einer spektakulären und blutigen Militäroperation des palästinensischen Widerstands – über die Verbote von GUPS und GUPA damals und Samidoun und Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) heute bis hin zu Wischnewskis „Wir werden auch Unschuldige treffen“ 1972 und Scholz’ „Wir müssen im großen Stil abschieben“ 2023. Ein wesentlicher Unterschied hingen ist, dass es damals breiten Protest gegen diese Repressionen gab, sowohl in der BRD als auch international.

Obwohl man also nicht von einem Novum sprechen kann, erreicht die antipalästinenssche Repression aktuell mit der neuen Welle von Abschiebungen wieder die äußersten Grenzen dessen, was in einem bürgerlich-liberalen Staat noch zu machen ist. Auf dem 46. Strafverteidigertag in Bochum wurde kürzlich konstatiert, dass das Ende des Rechtsstaats in Deutschland mittlerweile absehbar sei. Und der Verfassungsrechtler Ralf Hohmann vertritt in UZ vom 4. April die Meinung, die Rede vom „Abbau der Grundrechte“ sei bereits veraltet: Es handle sich vielmehr um eine „militärische Zeitenwende“ nach innen.

Allerdings zeigen die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD, das noch Luft nach unten ist: Die bereits im Oktober 2023 von bürgerlichen Medien und der Ampel – und nicht erst im Dezember von der AfD und anderen Rechtsradikalen (!) – geforderte „Aberkennung“ der deutschen Staatsbürgerschaft für Deutsche mit zwei Pässen soll ebenso „geprüft“ werden“ wie der Verlust des passiven Wahlrechts für Personen, die wiederholt wegen „Volksverhetzung“ verurteilt wurden. Dazu muss man wissen, dass in diesem Land derzeit Menschen wegen Volksverhetzung von der Polizei angezeigt werden, weil sie „From the River to the Sea“ oder „Kindermörder Israel“ rufen oder von einem Genozid in Gaza sprechen. Und schließlich bleibt noch die Haftstrafe, die bisher für Meinungsdelikte extrem selten ist. Aber würde es noch irgend jemanden wundern, wenn die deutsche Staatsanwaltschaft bald die ersten Haftstrafen fordert, weil jemand ein freies Palästina vom Fluss bis zum Meer fordert?

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"Vorwärts in die Vergangenheit", UZ vom 11. April 2025



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