Fünf Mal haben CDU und SPD 2019 katastrophal verloren: bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, zur Bremischen Bürgerschaft sowie zu den Landtagen von Brandenburg und Sachsen. Insofern lässt sich sagen, dass die Große Koalition indirekt abgewählt wurde. Vielleicht hat das Auswirkungen auf die Stichentscheidung um den Vorsitz der SPD. Olaf Scholz ist geschwächt. Sollte er nicht Parteivorsitzender werden, könnte das in den Augen des linken Flügels wie eine Art Aufbruch aussehen, die Mainstream-Medien würden anschließend aber eine Destabilisierung der SPD daraus machen. Vielleicht beginnt diese Kampagne – zur Abschreckung – bereits schon während der Stichwahl, Scholz und seine Mitkandidatin Klara Geywitz würden es doch noch schaffen, die Große Koalition bliebe und die SPD stürzte weiter ab. Es gibt in der Politik eben Situationen, in denen man nichts mehr falsch und nichts mehr richtig machen kann.
In der CDU ist Annegret Kramp-Karrenbauer noch mehr angeschlagen, da könnte, wenn es um Kanzler-Kandidatur von 2021 geht, einiges auf Friedrich Merz zulaufen.
Die Partei „Die Linke“ ist bei der Europawahl sowie in Brandenburg und Sachsen eingebrochen, hat in Bremen hinzugewonnen und in Thüringen triumphiert. Ergibt sich hieraus ein interpretationstaugliches Muster?
Die Verluste bei der Europawahl sowie in den Flächenstaaten Brandenburg und Sachsen könnten auf eine existenzbedrohende Erosion des WählerInnenpotentials der Linkspartei hindeuten, besonders im Osten, wo sie die von ihr immer nur widerwillig angenommene Rolle als Protestpartei an die AfD abgegeben hat. Andererseits hat sie offenbar das Zeug dazu, intellektuelle urbane Mittelschichten an sich zu binden: Berlin 2016 und Bremen 2019.
Kommen wir zu dem ungewöhnlichen Ergebnis von Thüringen. Es ist ein ostdeutscher Flächenstaat, dennoch hat „Die Linke“ hinzugewonnen und stellt erstmals die stärkste Fraktion. Hier wirkte nicht nur ein Amtsbonus, sondern unverkennbar auch das persönliche politische Format Bodo Ramelows. Seine Regierung hat seit 2014 und vor allem zuletzt einige gute Entscheidungen getroffen: Immerhin bemühte sie sich wenigstens um eine Reform des so genannten Verfassungsschutzes, und sie ließ ein Vergabegesetz verabschieden, das die Erteilung von Staatsaufträgen an Tariftreue sowie einen Mindestlohn von 11,42 Euro bindet.
Gegen den allgemeinen Trend haben auch die Grünen in Thüringen verloren. Somit ist die AfD die einzige Partei, die in allen fünf Wahlen des Jahres 2019 gewonnen hat. Der Anstieg der Beteiligung ist darauf zurückzuführen, dass Höcke bisherige NichtwählerInnen für sich mobilisieren konnte. Koalitionen aus CDU, SPD und Grünen 2016 in Sachsen-Anhalt, 2019 Brandenburg und Sachsen sind Notbündnisse gegen die AfD, könnten diese weiter stärken und schränken die Möglichkeiten der beteiligten Parteien zur eigenständigen Politikentwicklung ein. In Thüringen reicht es aufgrund der starken Ultra-Rechten nur zu einer geschäftsführenden Minderheitsregierung. Die Bombe tickt weiter.