Die Bundesregierung hat beschlossen, dass neue Stromtrassen künftig vor allem unterirdisch verlegt werden sollen. Indem Erdkabeln Vorrang gegenüber Freileitungen gegeben wird, soll die Akzeptanz unter Bürgern für den dringend notwendigen Netzausbau erhöht werden. Das wird allerdings teuer erkauft und schafft neue Unsicherheiten.
Der Beschluss des Bundeskabinetts sieht vor, dass Freileitungen künftig in der Nähe von Wohngebieten verboten sein sollen. Ausnahmen soll es demnach nur geben, wenn bereits Freileitungen bestehen, die weiter genutzt werden können, wenn der Naturschutz gegen eine Verkabelung im Erdreich spricht oder wenn betroffene Gebietskörperschaften dies begründet verlangen.
Die drei Parteichefs der Regierungskoalition, Angela Merkel (CDU), Sigmar Gabriel (SPD) und Horst Seehofer (CSU), hatten sich bereits am 1. Juli darauf verständigt, dass zwei neue große Stromtrassen quer durch Deutschland nicht als Freileitung, sondern überwiegend als Erdkabel verlegt werden. Dieser Kompromiss wird vor allem dem Engagement Seehofers zugeschrieben. Vor zwei Jahren hatte er, veranlasst durch Bürgerproteste gegen neue Stromtrassen, damit begonnen, die Planungen des Bundes für den Netzausbau zu unterlaufen. Dass auch der Bundesrat diesen Plänen zugestimmt hatte, störte Seehofer dabei keineswegs. Nun macht der ehemalige Grünen-Abgeordnete im Bundestag, Hans-Josef Fell, in einer Erklärung darauf aufmerksam, dass es Seehofer aber nicht um die Erdkabel oder die Bürgerproteste ging. Denn als die Gesetzesnovelle für den Leitungsausbau 2013 beschlossen werden sollte, stimmte Seehofer noch gegen den Vorrang von Erdkabeln, weil diese zu teuer seien. Jetzt hätte er dagegen den Beschluss des Bundeskabinetts mit den Worten kommentiert: „Das sollten uns Mensch und Natur wert sein.“
Der nun beschlossene Kompromiss wird für den Stromverbraucher teuer. Wie es scheint, werden aber diesmal ausnahmsweise einmal die indus-triellen Verbraucher stärker belastet als die privaten. Laut Handelsblatt (6.10.2015) belaufen sich die Mehrkosten der beiden Stromautobahnen „Suedlink“ und „Gleichstrompassage Südost“ auf „insgesamt drei bis acht Milliarden Euro“. Bezahlen müssen das die Verbraucher über ihre Stromrechnung. Für einen Privathaushalt macht das im Jahr eine Mehrbelastung zwischen 3,40 und 9,10 Euro, und ein Industriekunde, der direkt an das Hochspannungsnetz angeschlossen ist, müsste nach den Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums mit einer Erhöhung der Netzentgelte von „neun bis 24 Prozent“ rechnen.
Verantwortlich dafür ist die Technologie, die verwendet werden soll. Sie ist bisher in Deutschland nicht üblich und der Blick in andere Länder zeigt nur wenige Vorbilder. Beide Stromtrassen sollen mit der Gleichstromtechnik gebaut werden – ein novum für Deutschland. Sie soll es ermöglichen, dass große Strommengen über weite Distanzen verlustarm transportiert werden können. Zwar wird diese Technik in China seit langem eingesetzt, aber auch dort nur als Freileitung. Hinzu kommt, dass die Teilstücke des Erdkabels höchstens einen Kilometer lang sein können, und dann muss das Teilstück an ein anderes gekoppelt werden. Entsprechend würde „Suedlink“ aus etwa 600 Stücken bestehen. Branchenmanager warnen nun laut Handelsblatt davor, dass gerade die Verbindungsstellen zwischen den Einzelteilen extrem anfällig sind. Außerdem seien Reparaturen aufwändig und langwierig. „Wenn so eine Leitung ausfällt, geht in Bayern das Licht aus“, wird Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) vom Handelsblatt zitiert.
Je länger sich der Neubau der Stromtrassen hinzieht, umso teurer wird es für den Stromverbraucher. Fell schreibt in einer Mitteilung, dass ein schneller Ausbau notwendig wäre, um den im Norden produzierten Ökostrom zu den Verbrauchern im Süden zu transportieren. Doch weil nicht genug Leitungen vorhanden sind, kann die Energie nicht an ihren Bestimmungsort gelangen. Weil aber die Stromproduzenten nicht für die Netz-engpässe verantwortlich sind, müssen sie entschädigt werden – vom Stromkunden. Allein in diesem Jahr summieren sich die so entstandenen Kosten auf eine Milliarde Euro.
Um den Bedarf des Netzausbaus und die damit verbundenen Kosten zu verringern, hat nun die Monopolkommission der Bundesregierung vorgeschlagen, die Energieunternehmen sollen sich an den Kosten beteiligen. In einem Sondergutachten, das die Kommission vergangene Woche vorgelegt hat, wird deshalb angeregt Anreize zu einer verbrauchsnäheren Erzeugung zu schaffen. Der Kommissionsvorsitzende Daniel Zimmer meinte, ob die Energieunternehmen „elektrische Energie einen Kilometer oder aber 500 Kilometer vom Verbrauchsort entfernt einspeisen – in keinem Fall werden sie mit Netzkosten belastet“. So bestehe für die Firmen kein Anreiz, die Kosten des Netzes bei ihren Standortentscheidungen zu berücksichtigen. Durch bestimmte Instrumente solle schließlich der Zubau von Wind- und Solarstromanlagen so gesteuert werden, dass die durch den Zubau ausgelösten Netzkosten gering gehalten werden.