Dass das Handels- und Investitionsschutzabkommen CETA mit Kanada in Gänze verabschiedet wird, ist inzwischen unwahrscheinlich. Dass es in weiten Teilen „vorläufig“ in Kraft gesetzt werden wird, aber auch. Mit einer Kombination aus künstlichem Zeitdruck und Vernebelung wird versucht, möglichst viel von dem unnötigen Abkommen dauerhaft vorläufig Geltung zu verschaffen.
Dass CETA irgendwann als Ganzes verabschiedet wird, ist unwahrscheinlich, weil dafür alle Regierungen und Parlamente zustimmen müssten. Das ist auch gut so. Die speziellen Schiedsgerichte für Investoren in CETA sind weniger schlecht als die Schiedsstellen, die es bisher gibt. Die Anreize, zugunsten der Investoren zu entscheiden, sind deutlich weniger krass und offensichtlich, aber sie sind immer noch da. Dort wo EU-Länder bereits Abkommen mit Kanada haben, brächte der Abschluss von CETA in dieser Hinsicht eine Verbesserung. Aber die kann man auch haben, indem man das alte schlechte Abkommen kündigt.
Die EU-Kommission und die Mehrheit der nationalen Regierungen, einschließlich der von SPD-Minister Gabriel vertretenen Bundesregierung, wollen die Teile von CETA, die nach ihrer Ansicht keine nationalen Zuständigkeiten berühren, im Schnellverfahren vorläufig in Kraft setzen. Die nationalen Parlamente würden dann nicht gefragt. Nur das willfährige EU-Parlament darf seinen Segen geben. Formal wäre das dann ein korrektes Vorgehen, wenn einerseits sichergestellt wäre, dass diese Teile auch wirklich nicht nationale Zuständigkeiten berühren, und außerdem die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine vorläufige Anwendung gegeben wären. Das zweite ist nicht der Fall. Über die erste Bedingungen kann es keine ernsthafte politische und juristische Diskussion mehr geben, wenn der künstliche Zeitdruck akzeptiert wird, dass der EU-Ministerrat die vorläufige Inkraftsetzung bereits Anfang Oktober beschließen soll, damit sie bei einem Gipfel mit Kanada Ende Oktober unterschrieben werden kann.
Die Investorengerichte hat die Kommission fürs Erste aufgegeben. Sie sollen vorläufig nicht kommen. Aber das Investitionskapitel zur Gänze will die Kommission nicht fahren lassen. Insbesondere die Regeln zum freien Marktzugang sollen vorläufig angewendet werden. Das gibt den Investoren dann Rechte, die sie bei normalen Gerichten durchsetzen können. Diese Investorenrechte gehen weit über ein Diskriminierungsverbot hinaus. Sie schließen aus, dass zum Beispiel Kommunen oder Länder die Erlaubnis zu einem Unternehmenskauf von Auflagen abhängig machen. Kapitalverkehrskontrollen werden ausgeschlossen. Das ist eine beträchtliche Einschränkung der staatlichen Gestaltungsfreiheit. Die Kommission räumt selbst ein, dass es schwer sein wird, die Marktzugangsrechte und die Investorenrechte zu trennen, verlangt aber von den Mitgliedstaaten hier „Pragmatismus“ bei der Beurteilung, ob nationale Vorrechte tangiert sind. Schließlich habe die Kommission ja auch Pragmatismus bewiesen, indem sie von ihrer (rechtlich völlig unhaltbaren) Position abgerückt sei, CETA sei ein Abkommen, das vollständig und ausschließlich in EU-Zuständigkeit falle. „Pragmatismus“ darf man in solchen Umständen ohne weiteres als „Bereitschaft zum Rechtsbruch“ übersetzen.
Norbert Häring ist Redakteur des „Handelsblatt“.
Der Text ist seinem Blog „Geld und mehr“ unter „norberthaering.de“ entnommen.