Manfred Sohn hat vordergründig Recht: Die Operation Bagration (22. Juni 1944) liegt vom Ablauf her nach der Operation Overlord (6. Juni 1944). Er hat allerdings nicht Recht, wenn er meint, die zeitlich spätere hätte die erstere daher nicht maßgeblich beeinflussen können. Die Entscheidung für die Zweite Front und noch mehr ihre Terminierung hat eine ausgesprochen komplexe Geschichte mit sehr unterschiedlichen Akteuren und widerstreitenden Interessen (bis hin zu einem Separatfrieden im Westen), die hier nicht darstellbar ist. Völlig unstrittig ist dabei, dass die Erfolge der Roten Armee in Stalingrad und Kursk den Druck auf die Westalliierten verstärkten und dass dieser Druck mit der großen Sommeroffensive 1944 (Bagration) zwingend wurde, wollten die Westalliierten das Kriegsende nicht südlich der Alpen erleben. Natürlich wussten Churchill und Roosevelt von den Planungen für Bagration. Diese Operation diente ja – auch – als Entlastungsoffensive für Overlord. Es gab seit Langem strategische Abstimmungen und in deren Rahmen ein für die SU bitteres Ringen um die Zweite Front (s. auch Valentin Falin „Zweite Front. Die Interessenkonflikte in der Anti-Hitler-Koalition“). Die Vorstellung, die Sohns Einwurf erweckt, dass Churchill und Roosevelt quasi nur reaktiv auf die eintreffenden Nachrichten von der Front und ohne strategische Planung vorgegangen sein sollen, ist abseitig. Selbstverständlich hat das Wissen um die große Sommeroffensive der Roten Armee, mit der ihre Fähigkeit zum alleinigen Sieg über Nazideutschland manifest werden würde, die Entscheidung für den Start von Overlord beeinflusst, lange bevor Bagration Realität wurde.
Vorher heißt nicht wegen
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