Politik schürt Panik vor „Linksextremismus“. Geheimdienst, Polizei und Forschungs­institute arbeiten an massenhafter Überwachung von abweichenden Meinungen

Vorboten einer neuen Hatz

„Liebe Geschwister im Glauben“, redete Bischof Stefan Oster, Oberhirte der Diözese Passau, seinen zweifelnden Schäfchen in seiner jüngsten Botschaft ins Gewissen. Ihm sei bewusst geworden, dass „der Einfluss linker, vor allem linksextremer politischer Strömungen“ die Gesellschaft polarisiere. Da sei Gott vor, leben wir doch in einem „freiheitlichen Rechtsstaat“, die „Staatsform, die wir alle die letzten mehr als sieben Jahrzehnte in unserem Land genießen durften“.

04 A4b Bischof Stefan Oster SDB Offizielles Bischofsportrait Pressestelle Bistum Passau - Vorboten einer neuen Hatz - Haldenwang, Hatz, Kommunistenverfolgung, Linksradikal, Nancy Faeser, Pakt für den Rechtsstaat, Überwachung und Geheimdienste, Verfassungsschutz - Politik
Bischof Stefan Oster (Foto: Schmidt316 / Wikimedia / CC BY-SA 4.0 Deed / Bearb.: UZ)

Ergebenheitsadressen machen nur Sinn, wenn sie schnell erfolgen. Seit der Festnahme des früheren RAF-Mitglieds Daniela Klette und einem brennenden Strommast in Brandenburg darf sich nicht nur der Klerus, sondern endlich auch wieder die AfD freuen, bei der Hatz auf „Links“ in der ersten Reihe zu stehen. Deren Parlamentarischer Geschäftsführer im Bundestag, Bernd Baumann, ist sich mit dem Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm (CDU), brandmauerübergreifend einig: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) muss jetzt schnellstens einen „Aktionsplan gegen Linksextremismus“ vorlegen. Zum Halali bläst auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, der von Faeser binnen der nächsten drei Monate ein „Schutzkonzept“ erwartet.

Am 7. März trat die Bundesinnenministerin vor die Presse: „Da muss jetzt hart gehandelt werden.“ Schon 24 Stunden nach der Pressekonferenz lagen neue Papiere und Zahlen auf dem Tisch. Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang präsentierte sein druckfrisches Kompendium „Darstellung ausgewählter Arbeitsbereiche und Beobachtungsobjekte“ und zog den großen Rahmen von der Repression nach innen („Säulen unserer wehrhaften Demokratie“) bis zum globalen Zusammenhang. Feinde lauern überall, denn „nicht nur die erklärten Feinde unserer Verfassung bedrohen unsere höchsten Werteprinzipien. Zusätzlich schaden fremde Mächte der Bundesrepublik Deutschland.“ Der Verfassungsschutz registriert einen „Anstieg des linksextremistischen Personenpotenzials um 5,2 Prozent auf 36.500 Personen“. „Beobachtungsobjekte“ wie DKP und SDAJ haben in der neuen Haldenwang-Fibel ihren Platz, auch die „Rote Hilfe“, über die man lesen kann: „Als wichtige Unterstützerin potenzieller Straf- und Gewalttäter wirkt die RH damit stabilisierend für nahezu die gesamte linksextremistische Szene.“ Ziel erkannt, Feind gebannt.

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Geheimdienstchef Haldenwang (Foto: Bundesamt für Verfassungsschutz)

Welche Choreographie steckt hinter dem Ruf nach einem Aktionsplan, den Drohungen Faesers und der wiederentdeckten medialen Hatz im Sinne des wehrhaften Staatswohls? Jedenfalls kein bloßer Aktionismus wild gewordener Sicherheitsbehörden, sondern eher vorausschauende Planung.

Zeitgleich mit der Veröffentlichung des Haldenwang-Kompendiums deckte in Wiesbaden der von den Bundesministerien des Innern sowie Bildung und Forschung mit 14,4 Millionen Euro geförderte Verbund „Monitoringsystem und Transferplattform Radikalisierung (MOTRA)“ die Karten des weiter geplanten Demokratieabbaus auf. MOTRA ist ein – bislang wenig bekannter – Zusammenschluss von universitären Forschungsinstituten, der Premiumpartner von Bundeskriminalamt (BKA) und Verfassungsschutz, wenn es um die Ausspähung und Datensammlung staatswohlgefährdender Organisationen und Einzelpersonen geht. Hier werden alle Daten aus politischen Strafverfahren, Auswertungen verdächtiger Publikationen und Internetplattformen sowie „Daten zur Biografie“ zusammengeführt, „die über bereits öffentlich bekannte Informationen hinausgehen“. Nach Auswertung erfolgt der Transfer der Ergebnisse an BKA und Verfassungsschutz.

MOTRA produziert damit unter klarer Umgehung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Geheimdiensten einen reichhaltigen Informationspool für die Verfolger abweichender Meinungen, nutzbar „in prognostischer und präventiver Absicht“. BKA-Chef Holger Münch zeigte sich zufrieden: „Dank MOTRA sind wir in der Lage, frühzeitig zu erkennen, worauf Polizei und Gesellschaft reagieren müssen, um entsprechende Maßnahmen einzuleiten“.

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"Vorboten einer neuen Hatz", UZ vom 15. März 2024



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