Am 25. Februar 2022 jährt sich zum 125. Mal der Geburtstag von Wilhelm Hammann, der als Kommunist, Lehrer und Buchenwald-Häftling nicht nur in Hessen großes Ansehen besitzt und in der Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt wird. Die Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/Freundeskreis e. V. wird gemeinsam mit politischen und gesellschaftlichen Gruppen und Initiativen im Kreis Groß-Gerau diesen Jahrestag angemessen öffentlich begehen. UZ dokumentiert aus diesem Anlass einen redaktionell bearbeiteten und gekürzten Beitrag aus der „Glocke vom Ettersberg“.
Der Lebensweg Wilhelm Hammanns war nicht vorgezeichnet. Er musste sich – geboren in Biebesheim und aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie – durchbeißen, bevor ihm auf Empfehlung eines Lehrers die Möglichkeit eröffnet wurde, eine Lehrerausbildung zu absolvieren. Da er selbst erlebt hatte, welche Unterstützung er für diesen Weg brauchte, setzte er sich in seiner beruflichen Tätigkeit von Anfang an mit großem Engagement für die sozial Schwächeren und diejenigen ein, denen ansonsten viele Wege verschlossen waren. Auch lehnte er – anders als viele seiner damaligen Kollegen – die Prügelstrafe in der Schule als Disziplinarmaßnahme konsequent ab. Dass er seinen pädagogischen Auftrag auch als gesellschaftspolitische Verpflichtung verstand und sich daher – unter anderem ab 1927 als Abgeordneter im Hessischen Landtag – für die Kommunistische Partei engagierte, war damals ebenfalls ungewöhnlich und brachte ihm viele Schwierigkeiten. Schon vor 1933 wurde er aus dem Schuldienst entlassen. Seine Wähler honorierten sein Engagement, indem sie ihn auch 1932 wieder in den Landtag wählten.
Da Wilhelm Hammann nicht nur zur Bildungspolitik sprach, sondern die sozialen Ungerechtigkeiten anprangerte und sich deutlich gegen den Vormarsch der NSDAP und den faschistischen Straßenterror positionierte, war es nicht überraschend, dass er nach der Machtübertragung an die Nazis sehr weit oben auf der Verhaftungsliste stand. Im April 1933 wurde er in Darmstadt zum ersten Mal verhaftet und über acht Monate gefangen gehalten, ohne dass ihm irgendwelche strafrechtlichen Vorwürfe gemacht werden konnten. Gut ein Jahr später – im Februar 1935 – wurde er erneut unter dem Vorwurf „Vorbereitung zum Hochverrat“ verhaftet und im Sommer 1935 zu drei Jahren Haft verurteilt, die er im Zuchthaus Marienschloss in Rockenberg verbüßte.
Nach Verbüßung der Haft wurde Hammann nicht entlassen, sondern von der Gestapo in das KZ Buchenwald überführt. Hier erlebte er eine andere Form der Solidarität, indem das politische Netzwerk der Mithäftlinge ihn, der kein Handwerker war, in die Reparaturschlosserei der Deutschen Ausrüstungswerke übernahm.
Da der Arbeitseinsatz Teil der Auseinandersetzungen im Lager zwischen den politischen Häftlingen und den Trägern des „Grünen Winkels“ (die teilweise mit der SS zusammenarbeiteten) war, blieb es nicht aus, dass auch Hammann mehrfach sein Arbeitskommando wechselte und als Steineträger oder bei der Entwässerung eingesetzt wurde. Erst Ende 1942 konnte er aufgrund seiner Qualifikation und politischen Zuverlässigkeit in der Häftlingsschreibstube untergebracht werden. Dieses Kommando war für das Überleben der Häftlinge von großer Bedeutung, konnte doch durch die Manipulation von Transportlisten und die Zusammenstellung von Arbeitskommandos im Sinne der Häftlinge gearbeitet werden. Auch liefen hier Informationen zusammen, die in vielen Fällen die Rettung von Mithäftlingen vor dem Terror der SS ermöglichten.
Seine größte Aufgabe erhielt Hammann Anfang 1945, als er im Auftrag der illegalen Lagerleitung als Kapo den Kinderblock 8 übernahm. Es war den politischen Häftlingen gelungen, sowjetische und polnische Kinder im Lager in einem eigenen Block zusammenzulegen, angeblich um ihnen „deutsche Ordnung und Disziplin“ beizubringen. Anfangs betreute der österreichische Kommunist Franz Leitner diesen Block. Als der jedoch von der SS abgesetzt wurde, suchte man einen neuen Blockältesten, der mit Kindern umgehen könnte, und fand den ehemaligen Lehrer Hammann. Er stellte sich dieser Aufgabe mit großem Engagement und viel Einfühlungsvermögen, wie Kinder und Mithäftlinge bestätigten. Seine sicherlich bedeutendste Tat war sein mutiger Einsatz zur Verhinderung der Deportation der Kinder dieses Blocks in den letzten Tagen des Lagers, als die SS plante, alle jüdischen Häftlinge auf Todesmärsche zu schicken.
Als Hammann nach Groß-Gerau zurückkehrte, zeigte sich, dass er politisch unvergessen war. So wurde er von dem durch die Besatzungsmacht eingesetzten Bürgermeister als Landrat vorgeschlagen und am 17. Oktober 1945 „auf Lebenszeit“ zum Landrat ernannt. Da er sich jedoch auch gegenüber US-amerikanischen Offizieren für die Menschen in diesem Kreis einsetzte, geriet er schon bald in Konflikt mit der Besatzungsmacht. Daraufhin wurde er abgesetzt und einige Zeit später verhaftet und in ein Internierungslager überführt. Der absurde Vorwurf lautete, er habe im Lager Buchenwald Verbrechen gegen Mithäftlinge begangen. Zu diesem Zweck wurde er sogar in das ehemalige KZ Dachau überführt, wo die US-Administration den Buchenwald-Prozess gegen SS-Obergruppenführer Josias zu Waldeck und Pyrmont vorbereitete. Es bestand die Gefahr, dass Hammann in diesem Prozess als Angeklagter behandelt werden würde. In dieser Situation setzten seine Kameraden der VVN und aus Buchenwald Himmel und Hölle in Bewegung, um einen solchen politischen Skandal zu verhindern. Versammlungen, Briefe aus dem In- und Ausland, Eingaben und – trotz Vorzensur – Artikel in der Presse sorgten dafür, dass Hammann im Mai 1947 (nach anderthalb Jahren) nach Groß-Gerau zurückkehren konnte. Man bescheinigte ihm, dass alle Vorwürfe gegenstandslos seien – in seine Funktion als Landrat wurde er dennoch nicht wieder eingesetzt.
Nun arbeitete er hauptamtlich für die KPD im Kreis und auf hessischer Ebene. Unermüdlich war er unterwegs – gegen die zunehmenden Angriffe im Kalten Krieg setzte er sich für seine antifaschistisch-demokratischen Vorstellungen ein, unter anderem als Beauftragter des gesamtdeutschen Arbeitskreises der gegenseitigen Bauernhilfe. Bei der Rückfahrt von einem politischen Termin prallte er Ende Juli 1955 nachts auf einen unbeleuchteten US-Panzer und starb noch am Unfallort.
Die große Anteilnahme bei seiner Beerdigung zeigte noch einmal die hohe Wertschätzung, die Hammann in der Region besaß.
Dennoch ist es ein weiteres trauriges Kapitel, wie mit der Erinnerung an Wilhelm Hammann im Kreis Groß-Gerau viele Jahrzehnte umgegangen wurde. Bis Anfang der 1980er Jahre stießen alle Vorschläge und Ideen einer öffentlichen Ehrung auf taube Ohren. Während in der DDR Schulen seinen Namen trugen, die „Deutsche Lehrerzeitung“ ihn mit einer mehrteiligen Artikelserie ehrte und in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald und deren Veröffentlichungen sein Name präsent war, gab es in seinem Heimatkreis keine Bereitschaft der politischen Gremien für eine Ehrung. Es bedurfte eines Anstoßes von außen, nämlich der Arbeit einer Schülergruppe aus Kassel, die sich – unterstützt von der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora – für eine Würdigung Hammanns als „Gerechter unter den Völkern“ in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem einsetzte. Gleichzeitig unterstützte die DKP mit einer eindrucksvollen Broschüre, in der zahlreiche Menschen aus der Region Zeugnis über Hammanns Arbeit ablegten, die Erinnerungsarbeit. Die Ablehnung der politischen Gremien und die monatelangen Versuche der Verhinderung einer solchen Ehrung sind an Peinlichkeit nur schwer zu überbieten, zeigen aber, dass der Kalte Krieg auch bei einer Würdigung eines verdienten Buchenwald-Häftlings nicht haltmachte.
Heute ist eine solche Blockadehaltung glücklicherweise überwunden, aber die positive Beschäftigung mit Hammann führt trotzdem immer noch zu antikommunistischen „Beißreflexen“, wie der Streit um den Wilhelm-Hammann-Preis zeigte. Auch die Anerkennung seines Ehrengrabes war nur nach Überwindung bürokratischer Hürden möglich.
Und so ist nicht nur die Biografie von Wilhelm Hammann ein Hinweis auf die in der BRD oftmals vergessene Geschichte des antifaschistischen Widerstands, sondern auch der Umgang mit der Erinnerung an diesen mutigen Menschen ein Musterbeispiel für die geschichtspolitische Auseinandersetzung in unserem Land. Für uns ist und bleibt Wilhelm Hammann ein Vorbild in bestem Sinne des Wortes.
Dazu gehörte auch, dass er sich mit „Herr Hammann“ und nicht „Herr Lehrer“ anreden ließ. Seine Begründung: „Man sagt ja auch nicht ‚Herr Tischler‘ oder ‚Herr Fleischer‘.“ Überhaupt vermittelte er den Kindern einen kritischen Umgang mit tradierten Autoritäten und Hierarchien. So fiel bei ihm das übliche Gebet vor dem Unterrichtsbeginn weg. Stattdessen sangen sie Volks- und Arbeiterlieder. (…)
Als weitere Besonderheit ist zu nennen, dass er sich bemühte, alle Kinder gleichermaßen zu fördern. Bei bis zu vierzig Jungen und Mädchen in einer Klasse musste er die Stärkeren schon mal mit schriftlichen Aufgaben beschäftigen, um sich den Schwächeren besser widmen zu können. Er kontrollierte alle Hausaufgaben, nicht um Benotungen zu finden, sondern um zu sehen, welche Kinder seiner Hilfe bedurften. (…) Wilhelm Hammann war Pädagoge mit Leib und Seele, dem vor allem das Fortkommen der ihm anvertrauten Kinder am Herzen lag.
In aller Deutlichkeit brandmarkte er (…) die erstarkte NSDAP als „Terrororganisation gegen die werktätigen Volksmassen. Die nationalsozialistische Partei ist nur eine Henkerorganisation im Dienste des Kapitals.“
Nicht allein wegen solch klarer Worte war Wilhelm Hammann den Faschisten verhasst.
(Aus der unten genannten Neuerscheinung)
Geert Platner/Ulrich Schneider:
Wilhelm Hammann. Lehrer – Kommunist – „Retter der Kinder“ in Buchenwald – „Gerechter unter den Völkern“.
Hrsg. von der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/Freundeskreis e. V., 84 Seiten mit zahlreichen Abbildungen,
Ruhr-Echo-Verlag Bochum 2021, 6,– Euro
Erste Verhaftung durch die Nazis
Im April 1933 wurde er von SA-Leuten am Darmstädter Bahnhof abgefangen und zum Gefängnis geprügelt. Eine Zeugin erinnert sich: „Ich war damals beim Kaufhaus Rothschild als Verkäuferin beschäftigt. Eines Tages wurde das Kaufhaus von der SA blockiert und niemand wurde hereingelassen. Da sah ich plötzlich eine Meute vorbeiziehen. In der Mitte Wilhelm Hammann. Er musste ein Hitlerfähnchen tragen. Neben ihm SA-Leute mit Armbinden, die haben die ganze Zeit auf ihn eingetreten, auf ihn eingeschlagen und haben ihn bespuckt, und der ganze Zores zog hinterher. Ich habe meine Kolleginnen herbeigerufen und ihnen gesagt: ‚Das ist mein Lehrer Hammann!‘ Ich habe den ganzen Tag geweint. Dass man diesem Mann so etwas antun musste!“
(Aus einer Broschüre der DKP Groß-Gerau von 1984)
Der Lehrer Wilhelm Hammann
Über seine Lehrertätigkeit gibt es eine Vielzahl von Aussagen früherer Schülerinnen und Schüler. Es sind beeindruckende Zeugnisse. Übereinstimmend hoben alle hervor, dass er sich als fortschrittlich und humanistisch gesinnter Pädagoge von Anfang an gegen die noch weit verbreitete Prügelstrafe eingesetzt hat. Einer der Schüler betonte: „Er hat uns souverän geführt. Er hat nicht geschimpft und nicht geschlagen. Alles hat er uns mit gutem Beispiel beigebracht.“
Der Kommunist Wilhelm Hammann
Wie er sich in der Schule um die schwächeren Schüler kümmerte, so trat er in der Gemeindevertretung für die Arbeiterfamilien und die Erwerbslosen ein. Da es die heutigen sozialen Sicherungssysteme nicht gab, waren Lebensmittelhilfen, Gesundheitsfürsorge und Wohlfahrtserwerbslosenhilfe auf anderen Wegen zu organisieren. Seine kommunalpolitische Arbeit erledigte er mit so großem Einsatz und Erfolg, dass er 1927 über die Liste der KPD in den Landtag des Volksstaats Hessen in Darmstadt gewählt wurde. Dort wirkte er als Sprecher der KPD-Landtagsfraktion sowie als Abgeordneter im Provinzialtag von Starkenburg. Hammann nutzte den Hessischen Landtag jedoch nicht als Bühne zur politischen Agitation, sondern forderte im Auftrag seiner Partei eine Verbesserung der Lebenslage der arbeitenden Bevölkerung. Allein in der ersten Legislaturperiode bis 1931 ergriff er in 70 der 125 Sitzungen das Wort. Dabei spielten Fragen der Schul- und Bildungspolitik für ihn eine herausragende Rolle. (…)