Die Türkei war eine der treibenden Kräfte im Krieg gegen Syrien. Sie verhängte Sanktionen, besetzte Teile des Landes und wurde nur mit Mühe von Russland in den Angriffen auf die kurdischen Kräfte und die syrische Armee gebremst. Nun scheinen Verhandlungen mit Syrien unausweichlich.
Erdogan wollte Syrien als Vilâyet, als Provinz eines neuen osmanischen Reiches, annektieren. Doch dieser Versuch misslang und seit der Rückkehr Syriens in die Arabische Liga hat auch die unbedingt antisyrische Politik der Türkei ihr Ende gefunden. Schon lange werden Mutmaßungen über ein Treffen zwischen dem syrischen und dem türkischen Präsidenten angestellt. Verstärkt wurden sie mit den Ausschreitungen gegen syrische Migranten. Viele türkische Wähler machen die Syrer für soziale und wirtschaftliche Probleme in der Türkei verantwortlich. Zwar wächst die Wirtschaft. Doch eine Inflationsrate von 60 Prozent oder mehr ist für viele Menschen nicht mehr erträglich. Der Protest dagegen richtete sich wieder gegen die Falschen: Anfang des Monates wurden mehrere türkische Städte erneut von anti-syrischen Protesten erschüttert.
Aber auch die AKP, die Partei Erdogans, bekam die Unzufriedenheit der Wähler zu spüren. Die Kommunalwahl brachte ihr eine Niederlage. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte landete sie bei landesweiten Wahlen nicht auf dem ersten Platz – den nahm die kemalistische CHP ein.
Hatte die türkische Regierung einmal geplant, viele der 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge in den eroberten Gebieten Syriens anzusiedeln, muss sie jetzt mit der syrischen Regierung verhandeln. Abzug der türkischen Soldaten, Ende der Unterstützung für die Dschihadisten – das sind Forderungen der syrischen Seite vor einem Treffen zwischen Assad und Erdogan. Und womöglich kommt es für Erdogan noch schlimmer: Vielleicht wird der Vorsitzende der oppositionellen CHP, Özgür Özel, vor ihm nach Damaskus reisen. Sollte es endgültig zu einem Kurswechsel kommen, wird sich Erdogan fragen lassen müssen: Wozu dieser Krieg gegen Syrien, mit all der Zerstörung und den Toten, Verstümmelten und Traumatisierten? Für die Menschen in Syrien aber reicht mehr politische Anerkennung und selbst ein Abzug der türkischen Truppen nicht aus: sie brauchen Aufbauhilfe – und ein Ende der Sanktionen.