Da haben zwei die Bank ausgeraubt, die mich seit 30 Jahren ausgeraubt hat.“ So schildert ein alter Farmer dem ermittelnden Sheriff Marcus Hamilton, was er und seine Kumpels soeben aus der gegenüber liegenden Kneipe beobachtet haben. Hamilton (Jeff Bridges in einer seiner besten Rollen), der ohnehin kurz vor der Pensionierung steht, weiß, dass er von diesen Männern keine Hilfe zu erwarten hat. Die braucht er auch kaum, denn die beiden Täter, Tanner und Toby Howard, haben bereits eine breite Spur durch Texas gezogen. Ihrer Farm, von der Mutter hoch verschuldet hinterlassen, droht die Übernahme durch die Texas Midland Bank, und so haben die Brüder beschlossen, mit Tanners Knasterfahrung und immer neuen Fluchtautos solange Filialen dieser Bank heimzusuchen, bis sie die geforderten 43000Dollar beisammen haben.
Man kennt die Bilder. Saloons, kleine Läden und Filialen, weite, fast menschenleere Ebenen, Männer in Stiefeln und Cowboyhüten – es ist das Texas der klassischen Western. Doch es ist der Schotte David Mackenzie, der dieses typischste aller Hollywoodgenres ins 21. Jahrhundert holt, schon äußerlich erkennbar an den Autotypen, aber vor allem den Reklametafeln am Straßenrand, die statt Zigaretten und Whisky nun Umschuldungen und Superkredite für Farmer anpreisen. „Was ist schon der Überfall auf eine Bank gegen die Eröffnung einer Bank“ fragte schon Bert Brecht. „Es war uns ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen“ sagt der förmlich freundliche Filialleiter zu Toby, als der seine Schulden bezahlt, aber man kann ahnen, dass das Vergnügen recht einseitig war. Und Tobys Sohn erklärt seinem Vater ungerührt, dass er die Farm sowieso nicht übernehmen will. Die Farmer haben das Land, das ihre Vorfahren den Indianern raubten, nun selber an die Öl- und Finanzwirtschaft verloren.
Natürlich ist Mackenzies Film immer noch dem Genre verhaftet, zwar ohne Pferde, aber mit viel Pulverdampf und Blut und dem unvermeidlichen Showdown. Die Musik von Nick Cave und Warren Ellis und die unendlich weiten Totalen von Kameramann Giles Nuttgens tun ein Übriges, die vertraute Western-Stimmung aufkommen zu lassen. Doch schon die Figurenkonstellation von Drehbuchautor Taylor Sheridan weicht das klassische Gut-Böse-Muster sichtbar auf. Da hat Sheriff Hamilton einen Kollegen namens Alberto Parker, den er wegen seiner halbindianischen Herkunft ständig ganz unkorrekt frotzelt, aber in Wirklichkeit sind beide beste Freunde. Die Howard-Brüder könnten gegensätzlicher kaum sein: Toby, geschiedener Familienvater, ist ganz der rechtschaffene, aber in der Zwangslage sich zur Wehr setzende Bürger. Aber auch der schießwütige Tanner ist kein hirnloser Killer. Als ihm Toby das Zimmer zeigt, in dem er allein die Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt hat, während Tanner im Gefängnis saß, wendet sich die Kamera diskret ab von seiner sichtlichen Rührung. Wie um seine Schuld gegenüber Bruder und Mutter zu kompensieren, unternimmt er schließlich einen Überfall im Alleingang, der prompt zur Katastrophe führt.
So sensibel und differenziert Regie und Buch die Hauptfiguren zeichnen, so liebevoll und treffend skizzieren sie auch die Nebenfiguren. Wie eine verschworene Gemeinde von klammheimlichen Bewunderern der Howard-Brüder begegnen viele der Staatsmacht, was Hamilton & Parker immer wieder zu spüren bekommen. Unvergesslich die schrullige alte Bedienung in der Bar, die den beiden Gesetzeshütern ihre in vierzig Jahren bewährten Bestellregeln erklärt und keinen Widerspruch duldet. Ihre jüngere Kollegin im Diner weiß, wie das reichlich überhöhte Trinkgeld gemeint ist, das ihr Toby vor seinem Verschwinden zusteckt – nicht einmal als amtliches Beweisstück will sie es Hamilton herausrücken.
Doch die beinahe idyllische Western-Harmonie hat ihre Grenzen auch und vor allem in Texas, wo viele das verfassungsmäßige Recht, eine Waffe zu tragen, fast als Pflicht ansehen. Diese Waffen-Narrheit führt bei Tanners blindwütigem Alleingang zu einer verblüffenden, aber auch irritierenden Szene. Anders als zuvor ist diesmal die Filiale der Bank voll mit Kunden, als Tanner wild schreiend in den Raum stürmt. „Hast du eine Waffe?“ bellt er einen alten Mann an, der seinem Kommando nur zögerlich gefolgt ist, nun aber mit einem stolzen „Darauf kannst du wetten!“ sich doch entwaffnen lässt. Doch kaum rennt Tanner zum Fluchtauto, ist ihm gleich die ganze Meute schießender Bankkunden auf den Fersen. Ob der anfangs geschilderte Farmer, der seit 30 Jahren sich von der Bank ausgeraubt sieht, wohl unter den Verfolgern ist?