Vieles im Schulalltag wird dem Leistungsdruck geopfert

Von Traumschule weit entfernt

Von Janis Lindwardt

Es ist Montag, 8.00 Uhr. Physik. Knapp vor dem Klingeln schaffe ich es noch in den Raum und blicke in die verschlafenen, noch viel zu wenig auf Unterricht eingestellten Augen meiner Mitschüler. Aber es hilft nichts, in der kommenden Stunde steht die nächste Arbeit an und das bedeutet jetzt aufpassen, mitarbeiten, konzentrieren.

Danach geht es weiter, Stunde um Stunde. In jedem Fach ist dieser Druck allgegenwärtig. Klausuren, Tests, mündliche Leistungskontrollen, Referate: Das sind die Dreh- und Angelpunkte im Schulalltag, unter die sich alles Andere bitte schön unterzuordnen hat. Was zählt, sind die Leistungen des Einzelnen. Dafür wird viel gegeben, schließlich geht es um die eigene Zukunft, die stark vom Abschluss und damit auch von den eigenen erbrachten Leistungen abhängt. Viele Lehrerinnen und Lehrer lächeln nur noch, wenn sie gefragt werden, ob man nicht zu diesem Thema freiwillig einen Vortrag halten oder zu jenem Unterrichtsinhalt eine mündliche Leistungskontrolle absolvieren könnte. Das bedeutet natürlich zusätzliche Arbeit und Stress. Doch für viele ist es die einzige Möglichkeit, ihren Notendurchschnitt zu verbessern.

Projekte, Ausflüge, Arbeitsgemeinschaften, organisierte Interessenvertretung, außerschulische Angebote, kurzum all das, was den Schulalltag interessanter und erträglicher macht, steht ständig im Fadenkreuz des vorgeschriebenen Leistungsdrucks.

Es ist 15.00 Uhr. Ein langer Tag – in viel zu großen Klassen, mit viel zu gestressten Lehrern, in viel zu kleinen Räumen, unter Nutzung von viel zu alten und maroden Lernmaterialien – geht zu Ende. Also jetzt Freizeit? Für die Wenigsten.

Da sind die einen, die ihren Nachmittag freiwillig für Nachhilfe opfern, um zumindest zu versuchen, im Unterricht am Ball zu bleiben. Da sind die Anderen, die das eigentlich auch müssten und sogar gerne würden, die sich aber schon rein finanziell keine professionelle Nachhilfe leisten können. Für sie bleibt häufig nur zu improvisieren und sich von solidarischen Mitschülern helfen zu lassen.

Auch wer nicht auf Nachhilfe angewiesen ist, kann die Schule in der Freizeit nicht einfach ausblenden. Die vielen Arbeiten und Tests fordern selbstständiges Lernen. Hinzu kommen die Hausaufgaben. Sie sind zeitintensiv, wenn man sie ordentlich macht, und stressintensiv, wenn man sie nicht (ordentlich) macht. Denn Hausaufgaben dienen in den wenigsten Fällen einfach nur der Wiederholung. Sie sind Vermittlung des in der Stunde nicht geschafften Unterrichtsinhalts, Vorbereitung auf kommende Leistungskontrollen und Voraussetzung für die nächste Stunde.

Ach ja, wir reden immer noch von der „Freizeit“. Eigentlich die Zeit, um seinen Hobbys nachzugehen oder um Freunde zu treffen. All diese Beschäftigungen werden jedoch durch die Schule eingeschränkt.

Viele Schülerinnen und Schüler haben außerhalb der Unterrichtszeit Nebenjobs. Hinzu kommen bei nicht wenigen Aufgaben in der Familie, sei es zu kochen oder auf die kleinen Geschwister aufzupassen. Auch diese Tätigkeiten stehen im Widerspruch zur geforderten Vorbereitung auf den Unterricht und eines von beiden zieht immer den Kürzeren.

Am nächsten Tag beginnt alles wieder von vorn und so geht es weiter bis Freitag. Aber auch das Wochenende bleibt natürlich nicht verschont von Hausaufgaben und Lernstress. Oft ist es sogar die einzige Möglichkeit, die in einer vollen Schulwoche angestauten Arbeiten nachzuholen.

„Ihr lernt für das Leben, nicht für die Schule“, sagte neulich mal jemand zu mir. Aber wer so viel für die Schule lernen mus, hat zum Lernen für das Leben gar keine Zeit mehr.

Bei all dem Schlamassel gibt es immerhin eine gute Nachricht: Wir können uns gegen den Leistungsdruck wehren! Wie das am besten gehen könnte, darüber kann man auf dem diesjährigen Festival der Jugend vom 2. bis 5. Juni in Köln diskutieren. In den Workshops „Unser Weg zur Traumschule“ und „Voice Of Pupils – Aktiv(werden) an der Schule!“, Samstag um 13.00 Uhr und Sonntag um 16.30 Uhr auf dem Festivalgelände. Schaut vorbei!

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Von Traumschule weit entfernt", UZ vom 28. April 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit