Am vergangenen Samstag fand in Vorbereitung des 23. Parteitags eine Beratung der DKP zu internationalen Fragen in Frankfurt statt. Dort sprachen Günter Pohl, Leiter der Internationalen Kommission des Parteivorstandes, zu „Die Außenpolitik der Russischen Föderation – objektiv antiimperialistisch?“ und Prof. Dr. Eike Kopf, seit 2003 Mitarbeiter beim Nationalen Volkskongress Chinas und Mitarbeiter an der Marx-Engels-Gesamtausgabe, „Zur Situation und Rolle der Volksrepublik China – ein Land auf dem Weg zu einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft?“.
Zur Einschätzung der Außenpolitik Russlands warf Pohl in seinem Impulsreferat zuerst die Frage auf, warum wir diese Debatte überhaupt führen. Er führte aus, dass es im Kapitalismus immer nur erzwungene Abwesenheiten von Krieg gibt. Der Krieg sei ein „Normalzustand, der weder im Interesse der Völker im Ganzen liegt, noch in dem von Regierungen, die dem Imperialismus Einhalt gebieten wollen“. Ein falsche Einschätzung führe, so Pohl, zu einer falschen Strategie im Friedenskampf. Ein Beispiel hierfür sei der Krieg gegen Syrien, wenn davon ausgegangen werde, Russland sei dort aus imperialistischem Interesse. In diesem Zusammenhang verwies Pohl auf die UN-Charta, in der nationale Souveränität, Selbstverwaltung, Nichteinmischung und Freiheit der Wahl einer Gesellschaftsordnung festgelegt seien und die es zu verteidigen gelte. Die Suche nach einer Strategie im Friedenskampf basiere auf der Analyse, dass nicht alle kapitalistischen Staaten automatisch imperialistische Staaten seien.
Pohl ging daher kurz auf die Begrifflichkeiten ein, die er seinem Vortrag zu Grunde legte. „Objektiv antiimperialistisch“ bedeutet dem folgend „de facto antiimperialistisch“, dies sei nicht zu verwechseln mit dem Einschlagen eines sozialistischen Wegs. Diese Bewertung bedeute keine Suche nach einer kategorialen Ordnung, wie zum Beispiel die Definition eines Landes als kapitalistisch oder imperialistisch. Antiimperialismus ist, so Pohl, eine „politische Haltung beziehungsweise eine politische Praxis, die auch veränderbar ist in relativer Unabhängigkeit von der politökonomischen Verfasstheit eines Landes“. Nötig sei daher eine politische, weniger eine ideologische Debatte. Im Folgenden ging Pohl auf die Leninsche Imperialismusdefinition ein, nach der er die Russische Föderation zwar als kapitalistischen Klassenstaat, aber mit wenig privaten, sondern vor allem staatskapitalistischen Monopolen und einem erheblich wichtigeren Waren- als Kapitalexport eben nicht als imperialistischen Staat einschätzte. Allein dies bedeute jedoch nicht automatisch einen „objektiven Antiimperialismus in der Außenpolitik“.
Im Weiteren ging Pohl auf die derzeit antiimperialistische Rolle der russischen Außenpolitik ein. Als Beispiele nannte er unter anderem die Rolle Russlands in der Ukraine und im Donbass, wo sie der NATO-Expansionspolitik Grenzen aufgezeigt hat, genauso wie in Syrien. „Zu dieser Bewertung kommt die Sonder- und nie dagewesene Situation eines Landes, das eine ehemalige sozialistische Macht ist, die zudem ihre Verteidigung und ihre internationalen Kontakte intakt gehalten oder erneuert hat. Nachdem die Regierung die Exzesse der Oligarchen gebremst und zu einer souveränen Politik hinsichtlich der Naturressourcen zurückgekehrt war, bemerkt man nun, wie das Gewicht in der Außenpolitik ansteigt – im Falle Syriens auch in politischer Übereinstimmung mit der VR China.“
Diese Entwicklung der russischen Außenpolitik wurde eingeleitet mit der Rede Putins bei der Sicherheitskonferenz 2007, zuvor hat sich Russland imperialistischen Interessen nicht in den Weg gestellt. Orientierungspunkte für die Einschätzung der Außenpolitik Russlands sind für Pohl auch die Kooperationen mit anderen Ländern. So spricht China in seinem Weißbuch von einer „strategischen Partnerschaft“ mit der RF, wird Venezuela regelmäßig nicht nur mit Medikamenten und landwirtschaftlichen Produkten beliefert, sondern erhält auch Unterstützung in den Bereichen Energie und Militärtechnik, es gibt eine militärtechnische Kooperation mit Kuba, Zusammenarbeit mit Vietnam, und Russland ist Mitgliedsland in der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit. Zum Ende seines Vortrags ging Pohl auf die Einschätzung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation ein, die – bei aller Kritik an der aktuellen Innenpolitik – der Außenpolitik der RF „positive Verschiebung der Prioritäten“ attestiert.
In der Debatte wurde deutlich, dass nicht alle Teilnehmer der Konferenz die Einschätzung Russlands als nicht imperialistisch teilten. So sagte ein Diskussionsteilnehmer, er komme zu einer anderen Schlussfolgerung, die Außenpolitik Russlands habe sich geändert, da sich Russland aus der Rolle als quasi US-Kolonie gelöst habe. Die heutige antiimperialistische Außenpolitik geschehe im Interesse der russischen Bourgeoisie. Eine andere Teilnehmerin wies darauf hin, dass der Begriff des „objektiven Antiimperialismus“ zwar nicht falsch sei, aber genau zu solchen Diskussionen führe. Besser sei eine klare Trennung und die Formulierung, „russische Außenpolitik stützt objektiv antiimperialistische Kämpfe“.
Eine Genossin meinte, dass die Aussage „Russland verfolgt auch eigene Interessen“ zerstörerisch in der Friedenspolitik sei, denn sie leiste der Äquidistanz Vorschub. Die Frage müsse stets sein „Wer wird angegriffen?“.
In einem weiteren Diskussionsbeitrag wurde auf den antiimperialistischen Charakter des Völkerrechts hingewiesen. Natürlich habe Russland die Tendenz, sich zum Imperialismus zu entwickeln, die imperialistischen Kräfte hielten jedoch dagegen. So könne Russland seine Interessen momentan nur im Einklang mit dem Völkerrecht durchsetzen, um nicht in das Stadium eines Entwicklungslands zurückgedrängt zu werden.
Im zweiten Teil der Konferenz widmete sich Eike Kopf der Frage, ob China ein sozialistisches Land sei. Er ging zuerst auf die Geschichte Chinas ein, beschrieb die dortigen Arbeitsbedingungen der 1850er-Jahre und ging ausführlich auf die Arbeiten von Marx und Engels besonders zur Ökonomie und der Lage der arbeitenden Klasse ein.
Danach wandte er sich der VR China im Konkreten zu: „In der 1949 gegründeten Volksrepublik China, die sich vor allem in den 1950er-Jahren mit Hilfe der Sowjetunion stark entwickelte, setzten sich 1989 die Führungskräfte durch, die Studenten und anderen Protestierenden erklärten, dass man schlecht über die Verbesserung des Sozialismus diskutieren kann, wenn man ihn zunächst beseitigt.“
In der KPCh habe sich seit 1978 die Position Deng Xiaopings durchgesetzt, dass sich China seit Gründung der Volksrepublik zunächst 100 Jahre lang, also bis 2049, in der Anfangsphase des Sozialismus befinden werde.
„Die Partei beschloss auf ihrem 13. Parteitag 1987, an den vier Grundprinzipien festzuhalten: 1. am sozialistischen Weg, 2. an der demokratischen Diktatur des Volkes, 3. an der Führung des Landes durch die KPCh sowie 4. am Marxismus-Leninismus und den Ideen Mao Zedongs. Gleichzeitig wurde die Erkenntnis vom Anfangsstadium des Sozialismus, in dem sich China befindet, systematisch dargelegt. Seit dem XIV. Parteitag 1992 beschleunigte China die Politik der Reform, der Öffnung und der Modernisierung.“
Zum Schluss kam Kopf zu der Einschätzung, „Die Volksrepublik China verwirklicht seit dem Untergang der UdSSR 1991 am stärksten den Inhalt der 1917 eingeleiteten weltweiten Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus und hilft diesbezüglich praktisch Kuba, Vietnam, Laos, Kambodscha und der Demokratischen Volksrepublik Korea sowie zahlreichen Ländern in Afrika und Amerika. Die Beziehungen zur Russischen Föderation und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie Ländern des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe sind intensiv und vielgestaltig wie nie zuvor.“
In keinem Land gebe es so viel Volkseigentum an Grund und Boden, Produktions-, Verkehrs- und anderen Einrichtungen sowie Banken mit internationalem Einfluss wie in der VR China.
In China schaffe sich ein Volk, das planmäßig und bewusst von einer circa 90 Millionen Mitglieder zählenden Kommunistischen Partei geführt wird, täglich sein Leben und erfülle mit seiner 2013 entwickelten Seidenstraßen-Initiative tatsächlich seinen Anteil an der schöpferischen Nutzung des 6-Bücher-Plans von Marx aus dem Jahre 1859 und der mit Engels seit 1845/46 gewonnenen Erkenntnis, dass es Kommunismus kaum in einigen Ländern geben könne, während in anderen Ländern Hunger und Elend herrschen.
In der folgenden Debatte wurde kritisch die ab 1992 erfolgte Stärkung der Marktwirtschaft angemerkt. Eine Genossin fragte nach der Rolle der Frau in der Gesellschaft, die auch Zeichen für den Fortschritt der gesellschaftlichen Entwicklung sei.
Ein Diskussionsteilnehmer mahnte Vorsicht in der Bewertung an, die Dialektik der Entwicklung berge immer auch die Gefahr, den ursprünglichen Anspruch (also in diesem Fall die Entwicklung des Sozialismus) umzustoßen. Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass die DKP ihre Diskussion über China nicht mit dem 23. Parteitag beenden darf, denn, so ein Teilnehmer, der nochmals auf die Eingangsfrage Pohls nach dem Frieden zurück kam: „Wir verteidigen Russland, weil es bedroht ist. Wenn wir China als sozialistisch einschätzen, verteidigen wir es nicht, weil es bedroht ist, sondern weil es das größte Land des Fortschritts ist. Das ist eine entscheidende Orientierung für die Partei.“
In seinem Schlusswort zeigt sich Eike Kopf verwundert über die Debatte: Wer außer China könne denn dem US-Imperialismus etwas entgegensetzen? Zu fragen, ob China, das sich selbst noch zwanzig Jahre in der Anfangsphase des Sozialismus sieht, sozialistisch sei, sei wie zu „fragen, ob ein Frühchen ein Mensch sei“.